Kurznachrichten Libyen - 15.09.2020

Libyen. Anhaltende Unruhen /Rücktritt der Übergangsregierung /Stämme lehnen im Ausland getroffene Abmachungen ab und stellen sich hinter Protestierer / Neuer UN-Sondergesandter

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Unruhen auch im Osten Libyens und Rücktritt der Übergangsregierung in Tobruk

14.09.: Die gesamte libysche Übergangsregierung (Tobruk) unter der Leitung von Abdullah ath-Thinni hat beim Parlamentspräsidenten Aguila Saleh ihren Rücktritt eingereicht.

Die Abdankung erfolgte aufgrund von anhaltender
Protesten in ostlibyschen Städten, die sich gegen die politische Elite, die schlechten Lebensbedingungen, die anhaltenden Stromausfälle, den Kraftstoffmangel und das Fehlen öffentlicher Dienstleistungen richten.

Nicht nur in Bengasi, sondern auch in al-Baida und in al-Mardsch kam es zu Protestkundgebungen, sowie in der südlibyschen Stadt Sebha. In Bengasi setzten Demonstranten den Regierungssitz in Brand.

Die Proteste hatten Ende August in Tripolis ihren Anfang genommen und wurden dort mit brutaler Gewalt unter Einsatz von scharfer Munition niedergeschlagen. Dessen ungeachtet erfolgte der Aufruf zu weiteren Demonstrationen; vor dem Sitz der 'Einheitsregierung' in Tripolis fanden bereits neue Proteste statt.

In der ostlibyschen Stadt al-Mardsch sollen die Proteste in Gewalttätigkeiten umgeschlagen haben, so dass die LNA ebenfalls mit Gewalt gegen Protestierende vorging. Es soll ein Todesopfer und mehrere Verletzte gegeben haben. Die UN-Sondermission hat das Vorgehen der Sicherheitskräfte in al-Mardsch gegen "friedliche Demonstranten" streng verurteilt.

Dazu schreibt al-Marsad: "Das ständige Messen mit zweierlei Maß der UN-Sondermission und die verschwommenen Stellungnahmen bei Vorkommnissen in Tripolis und in Gebieten, die von der 'Einheitsregierung' kontrolliert werden - sowie die Besorgnis auslösenden Angriffen auf Demonstranten in Tripolis und die mangelhafte Kritik daran, wenn Schlüsselfiguren wie Fathi Bashagha [Innenminister], Fayez as-Sarradsch, syrische Söldner und die verschiedenen Milizen beteiligt sind, stimmen bedenklich, wenn man sie mit den Stellungnahmen zu Brandanschlägen im Osten des Landes, die wie im Fall von al-Mardsch offensichtlich von gewalttätigen Demonstranten verursacht wurden, vergleicht."

Währenddessen erklärte der Sprecher der LNA, man schütze das Recht auf Demonstrationen, warnte aber gleichzeitig davor, das Demonstrationsrecht durch Gewalt und Zerstörung öffentlichen Eigentums zu missbrauchen. Es bestehe die Gefahr, dass die Proteste durch Mitglieder der Moslembruderschaft infiltriert würden.
http://en.alwasat.ly/news/libya/295412
https://almarsad.co/en/2020/09/13/unsmil-condemns-al-marj-security-directorate-for-resisting-peaceful-arsonists/
http://en.alwasat.ly/news/libya/295407

Es wäre angebracht, dass die 'Einheitsregierung' in Tripolis unter Sarradsch dem Beispiel der Übergangsregierung in Tobruk folgen und ebenfalls geschlossen ihren Rücktritt erklären würde.

Der Oberste libysche Stammesrat lehnt im Ausland erzielte Gesprächsergebnisse ab und bekundet Solidarität mit den landesweit Protestierenden

15.09.: Es seien bei den Verhandlungen in Marokko nicht alle libyschen Parteien vertreten gewesen, so dass der Wille des libyschen Volkes nicht wirklich zum Ausdruck gekommen sei: "Wir lehnen alle Ergebnisse ab, die auf sektiererischen Quoten beruhen und die Einheit des Landes gefährden." In der Erklärung wurde auch bekräftigt, dass sich der Rat weiterhin für die Auflösung der Milizen und die Vertreibung ausländischer Söldner aus Libyen einsetze. Der Stammesrat erklärte seine Solidarität mit den Protestierenden, die landesweit für eine Verbesserung der Lebensbedingungen demonstrieren.
In seiner Erklärung warnte der Rat davor, Personen aus den gegenwärtigen Regierungen wieder in eine zukünftige Regierungsposition zu berufen, da d
ie derzeitigen Regierungen für das Leid der Menschen verantwortlich seien, indem sie es versäumten, das nationale Interesse und die Souveränität des Landes zu schützen.
Der Rat betonte auch die Notwendigkeit, die Vorbereitungen für die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu beschleunigen.
Wahlen könnten verhindern, dass ausländische Einmischung die libyschen Konflikte weiter verschärften.
https://libyareview.com/?p=6519

Neuer UN-Sondergesandter für Libyen

13.09.: Nach neunmonatiger Vakanz und internen Querelen hat sich der UN-Sicherheitsrat endlich auf einen neuen UN-Sondergesandten für Libyen geeinigt. Es handelt sich dabei um den bulgarischen UN-Diplomat Nickolai Evtimov Mladenov,
Die UN-Sondermission für Libyen soll bis zum 15. September 2021 verlängert werden und eine neue Führungsstruktur mit einer Doppelspitze bekommen. Der neue Leiter soll
für den Austausch und die Vermittlung zwischen libyschen und internationalen Akteuren verantwortlich sein, während die neu geschaffene zweite Stelle für die laufende Geschäftsführung mit ihren 200 (!) Mitarbeitern zuständig ist.
Mladenov war von 2010 bis 2013 bulgarischer Außenminister
unter dem damaligen Premierminister Boyko Borisov, von 2007 bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments und vom 27. Juli 2009 bis 27. Januar 2010 Verteidigungsminister. 2013 wurde Mladenov zum UN-Sonderbeauftragten für den Irak und zum Leiter der UN-Hilfsmission für den Irak ernannt. 2015 wurde Mladenov UN-Sonderkoordinator für den Nahost-Friedensprozess.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58895

https://almarsad.co/en/2020/09/13/unsc-to-finally-designate-a-un-envoy-and-coordinator-to-libya/
Mit Krieg kennt er sich also aus, der neue UN-Gesandte für Libyen. Es ist davon auszugehen, dass seine Mission in Libyen genauso viel "Erfolg" aufweist, wie im Irak oder beim Nahost-Friedensprozess. Aufgrund seines bisherigen Werdegangs darf man sicher sein, dass er die Interessen des Westens bestens vertreten wird.

Weitere Nachrichten

+ 15.09.: Laut dem Präsidialrat der 'Einheitsregierung' wird Fayez as-Sarradsch den Befehlshaber der libyschen Nationalarmee, Feldmarschall Khalifa Haftar, „weder in naher noch in ferner Zukunft, unabhängig von der internationalen Vermittlung, treffen.”
https://www.addresslibya.co/en/archives/58907

+ Heise.de: "Die türkische Lira ist im kontinuierlichen Abwärtstrend. Der Währungsverfall hat weitreichende Folgen: Einfuhren verteuern sich, Unternehmensgewinne sinken, die Kaufkraft nimmt ab. Die Inflationsrate liegt bei zwölf Prozent. Experten machen Präsident Erdogan dafür verantwortlich. Die Regierungspartei AKP verliert immer mehr an Wählergunst."
https://www.heise.de/tp/features/Tuerkische-Lira-stuerzt-weiter-ab-4893718.html

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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