Kurznachrichten Libyen – 17.05.2020

Libyen. Verbrechen und Terror – Militärische Lage – Libysche Stämme und Städte – ‚Einheitsregierung/Milizen/Türkei – Coronakrise – Migranten – Verschiedenes

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Verbrechen und Terror

+ Scheich Abdullah Makhlouf, Vorsitzender des Gemeinderats von Kabaw (im Westen Libyens, nahe Zinten), wurde von Unbekannten zunächst entführt und anschließend erschossen. Grund dürften seine Unterstützung für die Libysche Nationalarmee (LNA) und seine Verurteilung der Entsendung syrischer Söldner nach Libyen gewesen sein. Die libysche Übergangsregierung in Tobruk sprach den Angehörigen ihr tiefes Beileid aus.
https://twitter.com/Libyancitizen6/status/1261492223666982912
https://almarsad.co/en/2020/05/16/the-libyan-government-says-sheikh-makhlouf-sacrificed-his-life-resisting-turkeys-project-in-libya/

+ Ein ziviler Minibus, der auf dem Weg von Sebha nach Tripolis war, wurde von der ‚Einheitsregierung‘ beschossen. Alle vier Insassen kamen ums Leben.

+ Türkische Drohnenanschläge der ‚Einheitsregierung‘ bombardieren weiterhin Versorgungsfahrzeuge, nach Gemüse-, Eier-, Schaf- und Hühner-Lastwagen wurde nun auch ein Wassertransporter getroffen. Außerdem wurde bei Bani Walid am 14.05. erneut ein Tanklastwagen beschossen. Am 16.05. nahmen türkische Drohnen ein weiteres mal Nahrungsmitteltransporter ins Visier.

+ Der Vorsitzende des Exekutivrats der Gemeinde Qasr bin Ghashir, Lotfy al-Kabir, bestätigte, dass die systematische Bombardierung der Gemeinde durch die ‚Einheitsregierung‘ Schäden verursachte, die dazu geführt haben, dass Qasr bin Ghashir die Hauptstadt Tripolis nicht mehr mit Wasser versorgen kann. In Qasr bin Ghashir befindet sich der Hauptsitz der Industrial River Verwaltung. Bei den Bombardements wurden auch Häuser zerstört und Zivilisten getötet. Die Zivilbevölkerung unterstütze die LNA in ihren Bemühen, in Libyen wieder Sicherheit und Stabilität herzustellen. Al-Kabir forderte die internationale Gemeinschaft auf, sich für den Schutz der Zivilbevölkerung einzusetzen.
https://libyareview.com/?p=2775

+ Die Generalstaatsanwaltschaft in Libyen hat einen Haftbefehl für Abdulhakim Belhadsch erlassen. Es werden ihm Verbindungen zu einem geheimen libyschen Ableger der palästinensischen Hamas zur Last gelegt. Das libysche Strafgesetzbuch sieht in den Artikeln 166 und 171 vor, dass jeder Bürger, der ausländische Organisationen finanziert oder mit ihnen in Kontrakt tritt, mit lebenslanger Haft bestraft werden kann oder sogar mit der Todesstrafe rechnen muss.
Belhadsch kämpfte einst für al-Kaida in Afghanistan, war in Libyen an Attentatsversuchen auf Muammar al-Gaddafi beteiligt, verließ Libyen, wurde im Februar 2004 in Malaysia verhaftet, nach Bangkok deportiert, dort von CIA und MI6 verhört, um anschließend nach Libyen abgeschoben zu werden. Dort saß er ein Jahr im Abu-Salim-Gefängnis in Tripolis ein. Anschließend stand er unter Hausarrest, der 2008 aufgehoben wurde. 2011 war er an vorderster Front im Kampf gegen die Dschamahirija-Regierung beteiligt. Er befehligte die dschihadistische Miliz LIFG (Libyen Islamic Fighting Group), wurde schnell zum Millionär. Schon bald gehörte ihm eine ganze Flugzeugflotte, die heute wohl auch dazu eingesetzt wird, syrische Söldner nach Libyen zu bringen. Er war Vorsitzender der libyschen Watan-Partei und Kommandant der Militärregierung in Tripolis. Vom Westen wurde Belhadsch in den Jahren 2014/15 als neuer starker Mann Libyens hofiert und durfte sich als „Diplomat“ in den französischen Medien präsentieren.
Nun wird Belhadsch vorgeworfen, bei einem Treffen mit dem Hamas-Chef in Libyen dabei gewesen zu sein, dessen Zweck es war, geheime Waffenlieferungen nach Gaza und an ägyptische Dschihadisten im Sinai zu organisieren. Ebenfalls bei den Treffen anwesend waren der Libyer Mohamed Sawan von der Partei für Gerechtigkeit und Wiederaufbau sowie führende Politiker der tunesischen Ennahda-Partei. Beide Parteien gehören der Moslembruderschaft an.
Der libysche Zweig der Hamas in Libyen wurde 2011 von dem Palästinenser Marwan Alaschqar gegründet. Alaschqar wurde Anfang letzten Jahres zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Zelle in Tripolis verhaftet und sitzt seitdem, trotz mehrmaliger Befreiungsversuche, im Gefängnis auf dem Luftwaffenstützpunkt Mitiga ein. Quellen von Al-Marsad zufolge wurde der Sondergesandte des türkischen Präsidenten Erdogan in Libyen, Emrullah Isler, vom türkischen Geheimdienst gebeten, sich um die Freilassung dieser Gefangenen zu bemühen. Isler ist Vorsitzender des Sicherheits- und Geheimdienstausschusses des türkischen Parlaments.
Die nun aufgetauchten Beweise gegen Belhadsch stammen von Computerdateien, die neben Dokumenten auch Sprachaufzeichnungen und Videoclips mit Einzelheiten über Waffenkäufe, Finanzierungen und Lieferungen umfassen. Sie belegen die Verbindungen zwischen Hamas und bestimmten Libyern und libyschen Organisationen, insbesondere der LIFG, der Muslimbruderschaft und der tunesischen Ennahda.
Es wird erwartet, dass die weitere Auswertung der Beweismittel zur namentlichen Nennung prominenter libyscher Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Militär und Politik führen wird.
https://almarsad.co/en/2019/01/05/belhaj-accused-of-links-with-hamas/

Militärische Lage

+ Bei den militärischen Auseinandersetzungen kommt es immer wieder zur Tötung von Zivilisten.

+ Am 16.05. konnte die Luftverteidigung der LNA vier türkische Drohnen der ‚Einheitsregierung‘ beim LNA-Militärstützpunkt al-Watija abschießen. Bereits die Tage vorher wurde der Abschuss mehrerer türkischer Drohnen durch die LNA gemeldet.

+ Die LNA führt am 15.05. Luftschläge auf Gharian im westlichen Libyen aus.

+ Am 14.05. nahm die LNA das „Banana-Projekt“ in Zentraltripolis unter Beschuss.
Die LNA hat in Tripolis in den Stadtvierteln Salah al-Din, al-Hadaba, Airport Road, Ain Zara, Wadi al-Rabi und am Stadtrand von Garabulli Posten bezogen.

+ Laut LNA haben ihre Streitkräfte einen Angriff von Milizen der ‚Einheitsregierung‘ im Süden von Tripolis am 13.05. zurückgeschlagen. Ein Munitionslager der ‚Einheitsregierung‘ wurde im Gebiet Ain Zara im Süden Tripolis beschossen.

Libysche Stämme und Städte

+ Scheichs und Führer von ar-Radschban erhöhen den sozialen Schutz und verstoßen all jene, die sich gegen die LNA stellen.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1261277419367026688

+ Der Vorsitzende des Versöhnungsausschusses im Obersten Rat der Stämme Libyens, Zidan Maatouq Al-Zadmah, sagte bezüglich einer Einladung zum Dialog von as-Sarradsch der Londoner Zeitung Asharq Al-Awsat: „Der Präsidialrat ist nicht frei, eine Entscheidung zu treffen, weil die bewaffneten Milizen und terroristischen Gruppen, die die Hauptstadt in Geiselhaft halten, auch ihn kontrollieren. Wie können wir auf einen Dialog mit einer Regierung vertrauen, die von der Türkei und Katar in Geiselhaft genommen wurde?“
Die meisten Libyer unterstützen nach wie vor die LNA in deren Bemühen, die Hauptstadt zurückzugewinnen und die Souveränität Libyens wieder zu erlangen.
https://almarsad.co/en/2020/05/14/al-zadmah-how-can-we-trust-dialogue-with-a-government-that-has-been-hostage-to-turkey-and-qatar/

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei

+ Am 16.05. forderte der türkische Außenminister die Nato auf, den Vormarsch der LNA in Tripolis zu stoppen.

+ Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) erklärte, dass Pro-Ankara-Milizen in Syrien Jugendliche unter 18 Jahren zum Kämpfen an der Seite der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ nach Libyen entsenden. Das Foto eines 15-jährigen Jungen, der bei den Kämpfen in Libyen getötet worden war, sei von den Eltern im Internet entdeckt worden. SOHR schätzt, dass etwa 120 Jugendliche unter 18 Jahre unter den Kämpfern seien.
Die Zahl der Todesopfer unter den in Libyen kämpfenden Syrern habe 287 erreicht, darunter befänden sich 16 Kinder unter 18 Jahren. Es sollen sich immer noch 3.550 Syrer und Rekruten anderer Nationalitäten in der Türkei zur Ausbildung für den Kampf in Libyen befinden.

+ Die Turkish Petroleum Corporation (TPAO) fordert von der ‚Einheitsregierung‘ in Libyen die Berechtigung zur Exploration im östlichen Mittelmeerraum. Im November hatte die ‚Einheitsregierung‘ein bilaterales Abkommen mit der Türkei geschlossen, in dem es um die Einrichtung einer ausschließlichen Wirtschaftszone von der Südküste der Türkei bis zur Nordostküste Libyens ging. Diesem Abkommen, das ohne die davon betroffenen Staaten wie Griechenland, Zypern und Ägypten abgeschlossen wurde, fehlt jede rechtliche Grundlage, da es zum einen internationalem Recht widerspricht und ihm zum anderen vom libyschen Parlament nicht zugestimmt wurde.
https://libyareview.com/?p=2706

+ In einem Interview sagte der türkische Außenminister Çavuşoğlu, dass „die beste und einzige Lösung [in Libyen] eine politische Lösung ist, eine militärische Lösung konnte nicht erreicht werden. Hätten wir das Gleichgewicht des Krieges nicht verändert, wäre die LNA in Tripolis eingezogen, und der Konflikt hätte noch weitere zehn Jahre andauern können“.
Diese Logik erschließt sich nicht, denn wenn die LNA Tripolis erobert hat, wird auch der Konflikt bald beendet sein.
https://libyareview.com/?p=2712

+ Auf Twitter wurde ein Vertrag veröffentlicht, der zeigt, dass die ‚Einheitsregierung‘ monatlich 150.000 US-$ an die Beraterfirma Mercury zahlt, die im Zuge ihrer Lobbyarbeit die terroristischen Verbindungen der ‚Einheitsregierung‘ verschleiern und die LNA und das Parlament diskreditieren soll.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1261310281411637253

Coronakrise

+ Die Gesamtzahl der mit dem Coronavirus infizierten Fälle in Libyen beträgt 64, davon sind 28 Personen wieder gesundet, 33 noch erkrankt und drei verstorben.
Der Leiter des Libyschen Nationalen Zentrums für Seuchenkontrolle (NCDC), Badr Al-Din Al-Nadschjar, gab bekannt, dass eine gemeindebasierte, epidemiologische Erhebung durchführen wird, um die Prävalenz der Covid-19-Infektion im Land abzuschätzen. Es soll festgestellt werden, ob das Land in den kommenden Tagen seine Vorsichtsmaßnahmen lockern kann oder noch daran festhalten muss.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass wie immer bei Krieg, Katastrophen und Seuchen die Schwächsten der Gesellschaft am stärksten betroffen sind und die Frauen am meisten an Last schultern müssen.

Migranten

+ Die IOM gab am 13.05. bekannt, dass in den vergangenen zwei Wochen mindestens 650 Migranten aus Libyen in Italien und Malta angekommen sind. Weitere 77 Migranten wurden auf See abgefangen und nach Libyen zurückgebracht.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1260628602674126849

Verschiedenes

+ In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica sagte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 14.05., dass das Militärbündnis „bereit ist, die libysche Regierung unter Führung von Fayez as-Sarrasch zu unterstützen“. Weiter führte er aus, dass die Türkei ein wichtiger Nato-Partner bleibe. Er fuhr fort: „Gegen Libyen wurde ein Waffenembargo verhängt, das von allen Parteien respektiert werden muss.“ Dies bedeute jedoch nicht, „die von Khalifa Haftar geführten Streitkräfte und die Regierung von Fayez as-Sarradsch, die als einzige von der UNO anerkannt ist, auf die gleiche Stufe zu stellen sind“.
Das libysche Parlament und die libyschen Stämme spielen bei der Nato überhaupt keine Rolle, auch nicht, dass das Skhirat-Abkommen wegen mangelnder Parlamentszustimmung nie in Kraft getreten und inzwischen auch ausgelaufen ist. Diese Stellungnahme von Stoltenberg dürfte auch nicht die Zustimmung aller dreißig Nato-Mitgliedstaaten finden.
http://en.alwasat.ly/news/libya/283228

+ Das griechische Außenministerium hat sich unverzüglich gegen die Aussage von Stoltenberg gestellt: „Der Inhalt seines jüngsten Interviews in einer italienischen Zeitung, so wie es veröffentlicht wurde, bringt offensichtlich nicht die Positionen des Bündnisses zum Ausdruck“, da diese Positionen einstimmig festgelegt werden müssten. Die Zeitung GreekCityTimes meint dazu: Sollte diese Aussage zutreffen, würde die Nato eine dschihadistische Regierung unterstützen, die darauf abzielt, dem Nato-Mitglied Griechenland seine Hoheitsgewässer zu stehlen.
https://greekcitytimes.com/2020/05/15/greek-ministry-of-foreign-affairs-stoltenbergs-comments-do-not-express-the-positions-of-the-alliance/

Zweifel bestehen nach wie vor, und nur Stoltenberg oder eine offizielle Erklärung der NATO zu ihrer Haltung zu Libyen kann Klarheit in die Angelegenheit bringen.

+ Am 13.05. fand eine Videonachfolgekonferenz zur Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 unter dem Vorsitz von Italien und der amtierenden Sonderbeauftragten für Libyen, Stephanie Williams, statt. Es nahmen achtzehn Delegierte aus verschiedenen Ländern sowie regionale und internationale Organisationen teil, darunter auch die Arabische Liga, die das nächste Treffen vorbereiten wird.
Der italienische Außenminister Luigi di Maio sagte: „In Libyen gibt es weiterhin massive Einmischung von außen auf Seiten beider Konfliktparteien, sei es durch ausländische Kämpfer, die ins Land gebracht werden, oder durch die Entsendung modernster Waffen.“ Di Maio ist der Meinung, dass „keine der beiden Seiten die Fähigkeit hat, sich militärisch durchzusetzen“. Deshalb habe „der jüngste politische Vorschlag von Aqila Saleh, bei dem es sich um einen Acht-Punkte-Fahrplan handelt, den Vorteil, wieder in den Dialog einzutreten und an den Verhandlungstisch zurückzukommen. Dies könnte eine gute Gelegenheit sein, aus der Sackgasse herauszukommen“. Italien werde den Vorschlag des Parlamentspräsidenten „sehr sorgfältig prüfen“.
https://libyareview.com/?p=2699

+ Parlamentspräsident Aqila Saleh wurde am 14.05. vom italienischen Außenminister nach Rom eingeladen.

+ In einer am 15.05. veröffentlichten Erklärung forderte die Föderation afrikanischer Journalisten (FAJ) die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die türkische Militärintervention in Libyen zu stoppen.

+ Russland diskutiert mit den Botschaftern Deutschlands, Frankreichs und Italiens die Lage in Libyen.
https://libyareview.com/?p=2742

+ Seit dem 2. März ist die Stelle der UN-Sondergesandten für Libyen nach dem Rücktritt von Ghassan Salamé unbesetzt, da sich die Vereinten Nationen nicht auf einen neuen Kandidaten verständigen konnten. Jetzt ist die ehemalige Außenministerin von Ghana, Hanna Teteh, im Gespräch. Derzeit ist sie Sonderbeauftragte des Generalsekretärs bei der Afrikanischen Union und Leiterin des Büros der UN bei der Afrikanischen Union (UNOAU).
https://libyareview.com/?p=2764

+ Nachdem die Temperaturen in den südlichen und westlichen Regionen Libyens auf über 40° C anstiegen, kam es am 14.05. zu einem stundenlangen, totalen Stromausfall.

+ Karikatur: http://en.alwasat.ly/news/caricature/283087

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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