Libanon: Haftbefehl gegen Saif Islam Gaddafi

Libanon/Libyen. Es geht dabei um das Verschwinden des Imams Moussa Sadr und seiner zwei Begleiter im August 1978. Der im Juni 1972 geborene Saif war zu diesem Zeitpunkt 6 Jahre alt.

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Ein neuer Versuch, die Rückkehr von Saif al-Islam Gaddafi auf die offizielle politische Bühne so schwer wie nur möglich zu machen – auch um den Preis, dass sich die gesamte libanesische Gerichtsbarkeit der Lächerlichkeit preisgibt.

Ein libanesischer Richter hat am 23. Juli 2019 einen Haftbefehl gegen Saif al-Islam Gaddafi und neun weitere Libyer ausgestellt. Es geht dabei um das Verschwinden des Imams Moussa Sadr und seiner zwei Begleiter im August 1978. Die Haftbefehle sollen an Interpol weitergeleitet werden.

Eine skurrile Geschichte. Denn Saif al-Islam Gaddafi war zum Zeitpunkt des Verschwindens von Sadr und seiner Begleiter ganze sechs Jahre alt. Saifs Bruder Hannibal wird unter den gleichen Anschuldigungen seit 2015 im Libanon festgehalten. Wie Gaddafi-Anwälte immer wieder beteuern, fehlen für die erhobenen Vorwürfe alle Beweise und jede rechtliche Grundlage.

Gegen Saif al-Islam wird auch immer noch die Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufrechterhalten, obwohl die Anwälte von Saif al-Islam Gaddafi am 5. Juni 2018 beim IStGH eine Unzulässigkeitsklage mit der Begründung eingereicht hatten, dass Saif al-Islam Gaddafi am 12. April 2016 aufgrund eines libyschen Amnestiegesetzes aus dem Gefängnis in Zinten entlassen worden ist. Da der Fall vor einem libyschen Gericht verhandelt worden war, sei der IStGH nicht mehr zuständig.

Die Anklage des IStGH ist insgesamt mehr als fragwürdig. Laut dem Spiegel hatte der damalige Chefankläger Ocampo nicht vor Ort ermittelt, um forensische und dokumentarische Beweise zu sammeln, sondern stattdessen parteiisch für den Westen Stellung bezogen. Belegt ist ein Telefongespräch mit dem französischen Außenministerium, in dessen Verlauf er Informationen weitergab, die nur für den Gerichtshof bestimmt waren. Der Spiegel: „In der Depesche schrieben die Franzosen einen für Ocampo fatalen Satz: >Der Chefankläger versteht sich nicht als unabhängiger Staatsanwalt, sondern als ein juristisches Organ, das den Anweisungen des Sicherheitsrats Folge leistet.< […] Aus Ocampos Schriftverkehr geht hervor, dass er mit den Franzosen und Briten Absprachen traf und sich als Teil der Anti-Gaddafi-Koalition gerierte.“

Saif al-Islam Gaddafi wies alle gegen ihn vom IStGH erhobenen Vorwürfe zurück.

Schon seit Januar 2015 wird Saifs Bruder Hannibal Gaddafi nach seiner Verschleppung aus Syrien im Libanon gefangen gehalten. Auch er sollte Hinweise über den Verbleib von Musa al-Sadr und seiner Begleiter geben. In einem von der Gruppe Amal Movement veröffentlichten Video musste der durch Folterspuren gezeichnete Hannibal in einer Botschaft fordern, dass alle Beweise bezüglich des Falles Mussa Sadr unverzüglich offen gelegt werden. Hannibal Gaddafi war zur Zeit des Verschwindens von Musa-al-Sadr gerade einmal zwei Jahre alt. Erst im Nachhinein, im August 2016, reichte die Familie des vermissten Sadrs eine Klage gegen Gaddafi und dessen Rolle beim Verschwinden von Moussa Sadr ein. Hannibal wurde Anfang 2019 zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis sowie zur Zahlung von zwei Millionen libanesischer Lira wegen Missachtung der Justiz verurteilt.

Vordergründig geht es dabei um die Aufklärung des Verbleibs von Musa al-Sadr, der im Libanon 1974 die Amal-Bewegung ins Leben gerufen hatte, und im August 1978 zusammen mit seinen Begleitern Muhammad Jacob und Abbas Badreddine während eines offiziellen Besuchs in Libyen verschwand. Muammar al-Gaddafi erklärte damals, die Verschwundenen seien in Libyen in ein Flugzeug gestiegen und nach Rom geflogen. In Rom hieß es, sie seien dort nie angekommen. Am 31. August 2001 veröffentlichte Amnesty International einen ersten Bericht über die Vorgänge um das Verschwinden des Imams und stützte die Behauptung Libyens, dass der Imam und seine Begleiter Libyen verlassen hätten. Doch die Amal-Bewegung wirft Libyen heute noch vor, damals für das Verschwinden verantwortlich gewesen zu sein und sich bei der Aufklärung des Falles nicht kooperativ zu zeigen.

Wie auch immer, ein Zwei- und ein Sechsjähriger dürften mit dem Verschwinden des Imams wohl kaum etwas zu tun gehabt haben. Eine an Lächerlichkeit nicht zu überbietende Farce, die das Verhältnis zwischen Libyen und dem Libanon weiter verschlechtern dürfte.

Bereits im Januar 2019 war die Situation eskaliert, als ein Sprecher der libanesischen schiitischen Amal-Partei der libyschen Delegation die Einreise in den Libanon zu einem am 19./20. Januar 2019 stattgefundenen arabischen Gipfeltreffen für wirtschaftliche und soziale Entwicklung untersagte und dies in Libyen einen Proteststurm auslöste.

Die Kandidatur Saifs al-Islam Gaddafis für das Präsidentenamt wird so jedenfalls nicht verhindert werden.

https://m.aawsat.com/english/home/article/1828756/libyans-close-saif-al-islam-gaddafi-he-was-little-boy-when-sadr-disappeared
https://www.freitag.de/autoren/gela/hannibal-gaddafi-gefangener-des-libanon
https://www.freitag.de/autoren/gela/streit-zwischen-libanon-und-libyen-eskaliert
https://www.freitag.de/autoren/gela/libyen-und-internationaler-strafgerichtshof
Der Spiegel 40/2017, „Auf der falschen Seite“, von Sven Becker, Marian Blasberg, Dietmar Pieper
https://www.freitag.de/autoren/gela/eine-philippika-von-saif-al-islam-gaddafi

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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