Libyen: Finanzzentrum der Moslembruderschaft

Libyen/Moslembruderschaft Zaghafter Versuch des libyschen Premierministers der ‚Einheitsregierung‘, Fayez as-Sarradsch, die ihm entglittene Kontrolle über die libyschen Finanzen zurückzuerlangen.

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Forderung nach Aufklärung des Verbleibs libyscher Öleinnahmen

Laut dem libyschen Aktivisten Mohamed al-Fatah lässt sich aus Erklärungen der Libyschen Zentralbank der ernstzunehmende Verdacht ableiten, dass sich aus den an die Öffentlichkeit gelangten monatlichen Abrechnungen zwischen der National Oil Corporation (NOC) und der Libyschen Auslandsbank (LFB) seit Jahren Unstimmigkeiten nachweisen lassen.[1] Dies bedeutet, dass für einen Teil des durch die NOC exportierten Erdöls keine Zahlungen auf den Konten der LFB eingegangen sind. Und dies wiederum bedeutet, dass das Erdöl widerrechtlich abgezweigt wurde und die Ölgelder auf anderen Konten landeten. Den Verbleib dieser Öleinnahmen aufzudecken ist eine dringende Forderung.

Seit Jahren behauptet die UN-Sondermission für Libyen (UNSMIL), dass sie ein internationales Unternehmen mit der Prüfung der Konten der CBL in den Städten Tripolis und al-Baida beauftragen wird. Dies ist niemals geschehen. Nachdem Finanztransaktionen der CBL stark umstritten waren, enthob 2014 das dazu bevollmächtigte Parlament den Vorsitzender der CBL, al-Kebir, seines Amtes. Kebir weigerte sich, seinen Posten aufzugeben. In dieser Situation rief Parlamentspräsident Aguila Saleh die internationale Gemeinschaft dazu auf, Siddik al-Kebir von seinem Posten zu entfernen, damit ein Wechsel an der Spitze der CBL erfolgen könne. Kebir hat den Posten als Vorsitzender der CBL bereits seit 2011 inne. Seine Ernennung soll auf Betreiben des libyschen Botschafters in der Türkei, Abdul Razzaq Mukhtar, ebenfalls ein hochrangiges Mitglied der Moslembruderschaft, erfolgt sein.

Personalsumpf im libyschen Finanzwesen

Wie bekannt, steht inzwischen das gesamte libysche Bankensystem mittels der Personalpolitik mit Hilfe von Siddik al-Kebir weitgehend unter Kontrolle der Moslembruderschaft. So wird beispielsweise die unter Korruptionsverdacht stehende Libysche Investitionsbehörde (LIA) von in der Türkei ansässigen, libyschen Islamisten verwaltet.

Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen al-Kebir und der Moslembruderschaft nicht immer ganz klar. So forderten die Moslembrüder auch schon die Entlassung al-Kebirs, um dann aber wieder in Verhandlungen mit ihm zu treten. Es stellt sich die Frage, ob die Moslembruderschaft absichtlich dieses Chaos mit seinen katastrophalen wirtschaftlichen Folgen für Libyen verursacht oder ob sie al-Kebir je nach Bedarf für ihre politischen Zwecke einsetzt. Wahrscheinlich beides.

In dem Versuch, die Übermacht der Moslembrüder im libyschen Finanzsektor zu brechen, stimmte der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘, Fayez as-Sarradsch, kürzlich für die Abberufung des Moslembruders Mustafa al-Manea als Vorstandsmitglied der Libyschen Investitionsbehörde (LIA), die die libyschen Staatsfonds verwaltet. Neu in dieses Amt wurde Ali Bani berufen. Über diesen Schritt Sarradschs zeigte sich Siddik al-Kebir mehr als verärgert und legte Protest ein, ist al-Manea doch auch sein Rechtsberater bei der Libyschen Zentralbank (CBL).

Mustafa al-Manea

Das nun abgesetzte LIA-Vorstandsmitglied Mustafa al-Manea war seinerzeit beschuldigt worden, dem Terroristen Emad asch-Schaqaabi einen Diplomatenpass ausgestellt zu haben. Auch Maneas Brüder und sein Vater sind innerhalb der Moslembruderschaft wichtige Führungspersonen mit Verbindungen zu extremistisch-dschihadistischen Kreisen. Nasser al-Manea war 2011 Leiter des vom katarischen Militärgeheimdienstes initiierten Libysch-katarischen Krisenmanagementzentrums, zunächst mit Sitz in Bengasi, dann am Mitiga-Luftwaffenstützpunkt in Tripolis, der unter Aufsicht des gefährlichen Dschihadisten Abdelhakim Belhadsch stand. Nasser a-Manea vermittelte Bankgeschäfte zwischen der CBL und türkischen Banken, insbesondere der Ziraat Bankasi, auf der die CBL Gelder in Höhe von 1,5 Milliarden US-$ deponierte, trotz oder wegen der großen Finanzprobleme des türkischen Bankensektors.

Fathi Agoub

Ein weiterer Statthalter der Moslembruderschaft im libyschen Finanzwesen ist Fathi Agoub. Er stand wegen seiner terroristischen Aktivitäten in Kairo während der Gaddafi-Zeit auf der polizeilichen Fahndungsliste. Heute ist Agoub Sekretär der CBL und gleichzeitig eines der aktivsten Mitglieder der Moslembrüder, der Schura-Räte und der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau, dem politischen Arm der Moslembruderschaft. Agoub pflegte Umgang mit hochrangigen Moslembrüdern und fundamentalistischen Predigern wie Ould al-Dadou und Sadiq al-Gharyani, machte nie einen Hehl für seine Bewunderung der islamistischen Ideologie des Sayyid Qutb und unterstützte den dschihadistischen Libya Dawn (Fadschr Libya). Bei der später geschaffenen Zentralbehörde für die Islamische Bankenaufsicht (CAIBO) hatte Agoub eine Exekutivmitgliedschaft.

Es wird vermutet, dass Agoub seine Position in der CBL auch zur Finanzierung des Terrorismus eingesetzt haben könnte. Einen Hinweis darauf gibt die Nachverfolgung ungedeckter Schecks, die zum Schura-Rat der Revolutionäre von Bengasi führen, die auch in Verbindung mit Katar und der Türkei stehen. AlMarsad: „Letztere ist die erste Anlaufstelle für Geldwäsche aus dem Devisen- und Goldschmuggel. Falsche Bankkonten werden zur Deckung von Bankkrediten verwendet, eines der gefährlichsten schwarzen Löcher in Libyens angeschlagener Wirtschaft.“

Suleiman Abdel Gader

Erwähnenswert ist auch Suleiman Abdel Gader. Ohne Spezialkenntnisse im Finanzsektor, dafür einflussreicher Moslembruder, kontrolliert er das Institut für Bankenstudien (IBS) in Tripolis, das zukünftige Banker ausbildet. Libyen soll so zum führenden regionale Finanzzentrum der Moslembruderschaft ausgebaut werden.

Die Rolle Katars

Katar, der führende Finanzier der Moslembruderschaft, spielt bei all dem keine geringe Rolle. Zur Libyschen Zentralbank bestehen sogar familiäre Bindungen: Ein Mitglied des CBL-Kuratoriums, Yousef al-Megarief mit Wohnsitz in Doha, ist Vorstandsvorsitzender von Silatech. Vorsitzende des Silatech-Kuratorius ist Scheikha Moza, Gemahlin des ehemaligen Emirs von Katar und Mutter des jetzigen Emirs, Scheich Hamid bin Khalifa al-Thani.

Der Bedeutung Katars innerhalb des libyschen Bankenwesens war sich zumindest der ehemalige Leiter der UNSMIL, Martin Kobler, bewusst, der in einem Tweet am 24. Oktober 2017 schrieb: „Wie immer konstruktives und unterstützendes Treffen mit MBA Al-Thani über die Frage, wie Mittel von der Zentralbank an den PC [ Präsidialrat] und die Regierung in Tripolis weitergeleitet werden können“.

Mit Hilfe al-Kebirs wuchs Einfluss Katars und der Türkei

Anstatt 2014 seinen Platz zu räumen hat al-Kebir immer mehr an Einfluss gewonnen. Allem Anschein nach zahlt al-Kebir für den Verbleib auf seinem Posten einen hohen Preis in Form von immer größerem Einfluss, den er der Moslembruderschaft und ihren Netzwerken gewährt, die ihrerseits mit libyschen Ölgeldern extremistische Milizen und terroristische Gruppen unterstützen. Die ‚internationale Gemeinschaft‘ sollte sich hinsichtlich dieser Entwicklung mehr als besorgt zeigen.

https://almarsad.co/en/2020/11/20/sarraj-overthrows-muslim-brotherhoods-al-manea-from-the-lia/

https://almarsad.co/en/2020/11/21/al-jadi-sarraj-believes-the-muslim-brotherhood-controls-libyas-financial-institutions/

[1]

https://gela-news.de/wp-content/uploads/2020/11/2020-Bankauszüge-Lib.CB_.jpeg

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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