Libyen im Herbst: Oktober 2014

Zur Situation Ein Interview mit Mohammed Al-Fatah (II)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mohammed Al-Fatah (55) ist in Tripolis geboren und aufgewachsen. Er gehört sowohl dem Warfala- als auch dem Gaddafi-Stamm an. Zur Zeit des Umsturzes arbeitete er in Europa, wo er sich auch heute aufhält. Einige seiner Familienmitglieder kamen bei Kämpfen gegen die Milizen ums Leben.

Frage: „Die Ereignisse in Libyen überschlagen sich, während man in unseren Medien nur sehr wenige Informationen dazu erhält. Deshalb zunächst die Frage: Wie stellt sich im Moment die Lage in Libyen dar?“

Al-Fatah: „Viele Takfir-Führer sind gestern aus Tripolis über den Metiga-Airport in den Sudan geflüchtet, in Bengasi gibt es nur noch wenige Orte, die noch gesäubert werden müssen. Ich rechne damit, dass bald alles vorbei sein wird und alle nach Hause gehen können. Die libysche Zivilbevölkerung hat es übernommen, die Städte zu befreien. Dies stellt eine große Hilfe für die Stämme dar.

Die legale Regierung und das Parlament befinden sich in Tobruk. Alle Entscheidungen werden dort getroffen und im restlichen Land übernommen. Die nationale Armee untersteht der Regierung und nimmt nur von ihr Befehle entgegen. Diese Regierung wird auch international anerkannt.“

Frage: „Laut Presseberichten befindet sich Tripolis immer noch in der Hand der Milizen. Wie sieht die weitere Strategie aus?“

Al-Fatah: „Die Stämme arbeiten daran, wieder alles unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie sind vor Ort und schlagen schnell zu. Täglich führen sie Befreiungsaktionen durch.“

Frage: „Wer beherrscht augenblicklich den Flughafen von Tripolis?“

Al-Fatah: “Es gibt nur noch einen Flughafen und das ist der Militärflughafen Metiga. Bis jetzt ist er unter der Kontrolle von Katar, der „Libysche Morgenröte“ (Libyan Dawn), Belhaj (Dash) al-Kaida und djihadistischen Söldern, die von den Vereinigten Staaten über Katar, Saudi Arabien und die Türkei finanziert werden.“

Frage: „Das Parlament in Tobruk hat nach internationaler Hilfe gerufen. Können Sie sich vorstellen, dass ähnliche Bombardements gegen Stellungen der Milizen durch die USA und eine „Allianz der Willigen“ erfolgen, ähnlich wie es jetzt in Syrien geschieht – ohne Zustimmung der UNO?“

Al-Fatah: „Wir haben um Hilfe nachgefragt, nicht um eine Intervention.“

Frage:“Könnten Sie sich ein solches Eingreifen mit einem UNO-Mandat vorstellen?“

Al-Fatah: „Eben weil wir uns das vorstellen können, haben wir nur um Hilfe beziehungsweise Rat nachgefragt, aber keinesfalls um eine Intervention gebeten. Wir haben ja gesehen, was im Jahr 2011 passiert ist.“

Frage: „Hat sich die schlechte Lage für die Bevölkerung in Tripolis zwischenzeitlich entspannt?“

Al-Fatah: „Nein. Die gesamte Infrastruktur ist zerstört. Es kommt zu stundenlangen Stromausfällen und niemand traut sich auf die Straße, um zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gehen, nur die unbedingt nötigen Dinge werden schnellstmöglich erledigt.“

Frage: „Wie ist die Lage in Bengasi? General al-Hafter soll dort Militärlager von Islamisten zurückerobert haben. Konnten diese gehalten werden? Ebenfalls will al-Hafter den Hafen von Bengasi blockieren, um die Waffeneinfuhr zu kontrollieren. Kann ihm das gelingen?“

Al-Fatah: „Eigentlich arbeitet niemand von den Stämmen mit ihm, da sie al-Hafter für einen amerikanischen Spion halten, und so wird bei dieser Sache nichts Gutes herauskommen. Al-Hafter mag erkannt haben, dass es ein Fehler war, 2011 die Intervention zu unterstützen. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht immer noch eine amerikanische Marionette und ein Spion ist und dass von ihm nichts Gutes zu erwarten ist.“

Frage: „Strebt die Cyreneika immer noch die Unabhängigkeit an?“

Al-Fatah: „Nein, wir versuchen sie zu schützen. Wir sind alle vereint und möchten keine Spaltung unseres Landes.“

Frage: „Im August hat das libysche Parlament in Tobruk beschlossen, dass der Staatspräsident zukünftig nicht mehr von den Abgeordneten, sondern direkt gewählt werden soll. Halten Sie dies für eine vernünftige Lösung?“

Al-Fatah: „Ja, weil dadurch der Wille des Volkes zum Ausdruck kommt.“

Frage: „Ende August hat Premier Thinni in Tobruk zusammen mit der gesamten Übergangsregierung seinen Rücktritt erklärt. Wer regiert jetzt das Land?“

Al-Fatah: “Er arbeitet mit der Regierung von Tobruk zusammen.“

Frage: „Zwischenzeitlich gibt es in Libyen neben dem in Tobruk ein zweites Parlament: Das alte „islamische“ Parlament tagt in Tripolis und hat Omar al-Hasi zum Premierminister gewählt. Wie steht es um deren Legitimität?“

Al-Fatah: „Die einzige legitime Regierung ist jene in Tobruk. Für einen Premierminister al-Hasi besteht keine Legitimität, da diese Regierung nicht vom Volk gewählt wurde.“

Frage: „Wer sind die Fajir-Libya-Kämpfer und welche Aktionen gehen von ihnen aus?“

Al-Fatah: “Das sind Söldner, die von al Kaida, Isis, Anshar Sharaia, Daash, LIFG, Muslim Bruderschaft, aus den USA, Katar, Saudi Arabien und der Türkei kommen. Man unterstellt ihnen, Tripolis zu beherrschen. Tatsächlich morden, kidnappen, vergewaltigen sie. Sie besetzen Häuser, rauben Banken aus. Das alles geschieht tagtäglich.“

Frage: „Selbst wenn die Milizen besiegt sind, würden sich dann nicht die politischen und bewaffneten Konflikte weiter fortsetzen, weil die USA/CIA, Ägypten oder andere arabische Staaten einen wichtigen Einfluss auf Libyen ausüben möchten?“

Al-Fatah: “Sehen Sie sich das Video mit Belhaj, dem Führer von Lifg and Daash, auf CNN an: https://www.youtube.com/watch?v=ZPZwQU3sJxQ

Wenn wir Libyen von diesem Abschaum befreien, bin ich sicher, dass ihn Amerika, Katar, Saudi Arabien und die Türkei woanders einsetzen werden.“

Frage: „Im Falle eines Sieges über die Milizen und den Misrata-Clan (Libyan Dawn): Welche Strategien für den Aufbau eines wieder funktionierenden Staates gibt es und was sind die langfristigen Pespektiven für Libyen? Was sind die politischen Ziele?“

Al-Fatah: „Die Ziele sind der Wiederaufbau des Landes und die Rückkehr der Menschen aus dem Exil, zurück nach Libyen. Die Wiederherstellung der libyschen Infrastruktur und die Säuberung Libyens von Extremisten.“

Frage: „Und noch eine letzte Frage, die viele Menschen interessiert: Wie geht es den politischen Gefangenen? Welche werden noch gefangen gehalten? Welche sind wieder in Freiheit? Was macht Saif al-Islam?“

Al-Fatah: “Es gibt noch mehr als 20.000 Gefangene, die in illegalen Gefängnissen festgehalten werden. Wir haben Beweise, dass die Wärter dieser von Extremisten unterhaltenen Gefängnissen Ausländer sind. Sie kommen aus Saudi Arabien, Katar, der Türkei, Tunesien, Syrien, dem Irak und Afghanistan, das heißt von überall auf der Welt, wo es Unterstützung für diese in Libyen tätigen Extremisten gibt. Im von den Stämmen kontrollierten Osten gibt es keine Gefangenen. Saif al-Islam ist in Sicherheit und es wird gut für ihn gesorgt.“

aus dem Englischen: Angelika Gutsche

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden