Libyen im Januar

Libyen. Was geschah… eine unvollständige Auflistung.

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Ihre Freitag-Redaktion

Januar 2016

01.01. Die Regierung von Abdullah al-Thenni (Tobruk) hat den Vertreter Libyens bei den Vereinten Nationen, Ibrahim Debbeshi, abberufen. Als offizielle Begründung wurde eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Chef der Nationalen Ölgesellschaft und Debbeshi genannt, der ein Ölgeschäft verhindert haben soll. Allerdings wird diese Entscheidung voraussichtlich von den Vereinten Nationen ignoriert werden, da diese die al-Thenni-Regierung nicht länger als die legitime Regierung Libyens anerkennen. Der UN-Sicherheitsrat erkannte vor einer Woche die Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord) von Faiez Serraj als die libysche Regierung an. Allerdings hat diese noch keinen UN-Vertreter Libyens bestimmt.
Der tatsächliche Grund für die Abberufung Debbeshis, der bisher stets loyal zur Tobruk-Regierung stand, dürfte aber in dessen öffentlicher Erklärung liegen, er sähe nunmehr als einzige legitime Regierung die neue Regierung der Nationalen Einheit von Faiez Serraj an. Eigentlich hat Libyen nun keinen Vertreter mehr bei der UN.

01.01.Der in London von einer NGO veröffentlichte „Libyan Body Count“ gibt 1.523 durch Gewalteinwirkung zu Tode gekommene Personen im Jahr 2015 in Libyen an. Dies ist etwa die Hälfte weniger als im Jahr 2014, dem Jahr, in dem der Bürgerkrieg heftig tobte. Ein Drittel der Todesfälle bezog sich auf die Stadt Bengasi (491), gefolgt von Sirte (235) und Sebha (172). Daneben kamen 2015 in Libyen 2.542 Emigranten ums Leben.
www.libyaherald.com/wp-content/uploads/2016/01/2-Libya-Body-count-totals-for-2015-2-010116.jpg

01.01.Nach einem Treffen mit dem Präsidenten Agila Salah der Tobruk-Regierung zeigte sich der UN-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler, davon überzeugt, dass auch die Tobruk-Regierung den Widerstand gegen die Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord) aufgeben und diese unterstützen würde.
Kobler führte auch Gespräche mit Stammes- und Ratsführern, die zwar prinzipiell für eine Regierung der Nationalen Einheit waren, dafür allerdings etliche Bedingungen stellten, wie zum Beispiel: Khalifa Hefter solle weiterhin die Libysche Nationalarmee (LNA) führen und diese LNA solle die einzige legitime Streitmacht bleiben; keine irregulären Milizen dürften anerkannt werden; die UN müsse das Waffenembargo gegen die LNA aufheben; Terrorismus müsse bekämpft werden; ausländische Mächte dürften Libyen nicht ihren Willen aufzwingen; Libyen müsse ein souveräner Staat bleiben.

02.01.Das Bemühen Martin Koblers, den General National Congress GNC (Tripolis) für die Unterstützung der geplanten neuen Regierung der Nationalen Einheit (GNA) zu gewinnen, endete in einem Desaster. Nach dem Treffen mit dem stellvertretenden GNC-Präsidenten Awad Abdul Saddik erklärte dieser in einer anschließenden Pressekonferenz, es käme unter keinen Umständen zu einer Unterstützung der in Marokko ausgehandelten Einheitsregierung. Koblers Pläne, selbst vor die Presse zu treten, wurden vom Pressesprecher für Auswärtiges, Jamal Zubia zunichte gemacht, als dieser Kobler die Erlaubnis für Pressegespräche entzog.
Kobler lehnte den konkurrierenden Libyen-Libyen-Dialog, den Abdul Saddik favorisiert, ab.
Begleitet wurde Kobler bei seinem Tripolis-Besuch von dem Sicherheitsberater General Paolo Serra. Der GNC-Präsident verurteilte auch die UN-Verhandlungen, die zwischen General Serra und libyschen Militärangehörigen geführt werden und dafür sorgen sollten, dass die neu zu installierende GNA-Regierung sicher in Tripolis ihren Sitz nehmen könne.
Als Kobler vor seinem Abflug am Flughafen Mitiga eine eigene Pressekonferenz abhalten wollte, wurde ihm kurzerhand der Strom abgestellt mit der Begründung, es läge für eine Pressekonferenz keine Genehmigung vor. Daraufhin eilte Kobler fluchtartig aus der Flughafenhalle und bestieg das wartende Flugzeug, das ihn aus Libyen hinausbrachte.

Gegen den stellvertretenden GNC-Präsidenten Saleh Mekhzoum wurde ein Ausschlussverfahren aus dem GNC (Tripolis) eingeleitet, da er bei den in Marokko stattgefundenen Gesprächen, die zu einer Einheitsregierung führen sollten, ohne Zustimmung des GNC für diese Vereinbarung gestimmt hatte.

02.01.Das sogenannte Government of National Accord (GNA) hält seine erste Versammlung in Tunis (Tunesien) ab.
Libyen als Versammlungsort scheint wenig angeraten. Dies ist nun also eine dritte Regierung Libyens, die parallel zu den beiden anderen existiert. Das Spezielle an ihr ist, dass sie nicht einmal in Libyen tagen kann, sondern ihren Sitz im Ausland hat. Zählt man noch den Libysch-Libyschen-Dialog hinzu, gibt es insgesamt vier „Vertretungen“ Libyens.

04.01.Der IS greift den Öl-Hafen es-Sider an. Auf das Ölverlade-Terminal wurde ein Selbstmordanschlag verübt, bei dem zwei Sicherheitsbeamte getötet wurden. Es kam zu Gefechten mit den Sicherheitsmannschaften.

05.01.Der IS musste sich nach Auseinandersetzungen mit Soldaten und Sicherheitskräften aus es-Sider zurückziehen. Einige IS-Kämpfer, darunter deren Anführer, wurden getötet. Auch unter den Sicherheitskräften sind Tote und Verletzte zu beklagen.
Bisher konnte der IS noch keine einzige Ölanlage in Libyen unter seine Kontrolle bringen. Für wen arbeitet der IS eigentlich? Von wem wird er gesteuert? Will er einen ausländischen Militäreinsatz provozieren? Braucht Europa diese Schlagzeilen, um endlich in Libyen intervenieren zu können?

05.01.Das House of Representatives (HoR) in Tobruk war schon wieder wegen mangelnder Teilnehmerzahl nicht beschlussfähig.

05.01.Ein Anschlag auf das Ras-Lanuf-Öl-Terminal führte zu einer starken Explosion.

07.01.Mit in einem Lkw versteckten Sprengstoff wurde in Zliten ein Selbstmordanschlag auf eine Polizeischule ausgeführt. Bei dem Blutbad kam es zu über 60 Toten und über hundert Verletzten. Sliten liegt etwa 160 km östlich der Hauptstadt Tripolis.In der Polizeischule werden Sicherheitskräfte der Küstenwache ausgebildet. Zunächst übernahm niemand die Verantwortung für das Attentat, später bekannte sich laut einer ominösen „Organisation zur Beobachtung terroristischer Aktivitäten Site“ eine sogenannte „Provinz Tripolis des IS“ zu dem Anschlag.

08.01.In Misrata kommt es zu Demonstrationen gegen die Verantwortlichen des Zliten-Attentats. Wer immer die auch sein mögen…

08.01.Auf den Bürgermeister der Stadt Gharian wird geschossen. Er erleidet nur leichte Verletzungen.

09.01.Unmittelbar nach dem schweren Anschlag auf die Polizeischule in Zliten berichten die deutschen Medien über Pläne, nach denen deutsche Soldaten zusammen mit italienischen Militärs in wenigen Monaten libysche Streitkräfte in Tunesien ausbilden werden. Bei diesem weiteren Auslandseinsatz sollen bis 200 Bundeswehrsoldaten zum Einsatz kommen. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hielt sich dazu bedeckt: Zuerst müsse eine libysche Einheitsregierung eine diesbezügliche Bitte an die Staatengemeinschaft stellen.

09.01.Unbekannte feuerten wenigstens vier Raketen auf zwei vom Roten Kreuz betreute Lager von innerlibyschen Flüchtlingen in Bengasi ab; dabei wurden drei Zivilisten getötet und sieben weitere, davon zwei Kinder, verletzt.
Dies berichteten zwei Augenzeugen den Mitarbeitern von Human Right Watch. Die erste Rakete hätte gegen 4.30 Uhr morgens das Camp getroffen, insgesamt hätte der Angriff etwa eine halbe Stunde gedauert. Ein Zeuge sagte, der Beschuss sei von der Region al-Kwarscha ausgegangen, die von islamistischen Milizen kontrolliert wird
Die Lagerinsassen stammen aus der im Westen Libyens gelegenen Stadt Tawerga, aus der im Jahr 2011 von Misrata-Milizen 35.000 Menschen mit Gewalt vertrieben wurden. Daneben sind in den Camps auch ehemalige Bewohner von Misrata und Tomina untergebracht.
Es wird in dem Artikel von VivaLibyaWorldpress darauf hingewiesen, dass alle Parteien des bewaffneten Konflikts in Libyen das Kriegsrecht zu achten hätten. Verletzungen des Kriegsrechts, die mit kriminellen Absichten ausgeführt werden, seien Kriegsverbrechen. Die UN-Resolution 2213, angenommen im März 2015, bestätigt, dass der UN-Rat gegen jene, die für Gewaltakte, die gegen das internationale Menschenrechtsgesetz, humanitäres Recht oder die verfassungsmäßigen Menschenrechte in Libyen verstoßen, verantwortlich sind, Sanktionen wie Einfrieren von Vermögen und Reiseverbote verhängen kann.

10.01.Libysche Medien melden, dass in der südlichen Oasenstadt Ubari erneut Kämpfe zwischen Tuareg und Tubu ausgebrochen sind. Bei den Kämpfen wird das historische Kastell zerstört. Die Internationale Jugendorganisation der Imuhar (Tuareg) hat sich mit einem Hilfeschrei wegen der ethnischen Säuberungen, denen die Tuareg in Ubari ausgesetzt sind, an die UN und die internationale Staatengemeinschaft gewandt.
Zwischen den Stämmen der Tubu und den Tuareg herrscht eine lange historische Feindschaft, die nun von Interessengruppen des heutigen politischen Libyens instrumentalisiert wird.

Siehe auch meinen Blog-Beitrag www.freitag.de/autoren/gela/neue-kaempfe-zwischen-tuareg-und-tubu-in-ubari

10.01.Mitglieder des libyschen Präsidialrates haben sich darauf geeinigt, dass General Khalifa Hefter dem neuen, aus fünf Mitgliedern bestehenden Militärrat vorstehen soll.

10.01.Die vor wenigen Tagen in der Stadt Sabratha entführten 30 Personen wurden wieder freigelassen.

13.01.Das Libyan Popular National Movement (LPNM) hat sich mit einem Brief an die Hisbollah-Führung und das libanesische Parlament gewandt und gegen die politisch motivierte Festnahme, die Folterung und den Pseudoprozess des libyschen Staatsbürgers Hannibal Gaddafi protestiert.
Anhänger der Dschamahirija sollen in Libyen zwei Libanesen in ihre Gewalt gebracht haben und den Austausch der Geißeln gegen den im Libanon festgehaltenen Sohn Muammar al-Gaddafis, Hannibal, fordern.
Siehe auch meinen Blog-Beitrag www.freitag.de/autoren/gela/das-mysterioese-verschwinden-des-imams-al-sadr

13.01.Ein Österreicher und ein Serbe wurden in Libyen freigelassen und konnten via Malta das Land verlassen. Beide, Alexander H. und Srdjan B. hatten für die Sicherheitsfirma Argus Secourity, die für diplomatische Vertretungen und Ölfirmen tätig ist, gearbeitet. Der Österreicher sowie zwei Jordanier seien im März vergangenen Jahres in Tripolis von Sicherheitskräften der „Tripolis-Regierung“ vorgeladen und anschließend festgehalten worden.
Srdjan B. war früher Mitglied einer serbischen Sonderpolizei-Einheit, der die Ermordung des prowestlichen Premiers Zoran Djindjic zur Last gelegt worden war. Srdjan B. war Zeuge im Prozess gegen Djindjic‘ Mörder.
Mindestens ein weiterer von einem Ölfeld entführter Österreicher namens Dalibor S. wird noch in Libyen festgehalten.

14.01.Südlich von Ras Lanuf, in Maradah, wurde vermutlich durch IS-Terroristen die Öl-Pipeline gesprengt sowie sechs Personen als Geiseln genommen.

15.01.Bei anhaltenden Kämpfen in Ubari fand ein Mensch den Tod und sieben wurden verletzt.

15.01.Der Regierungschef des GNC, Khalifa Gwell, ordnete in Tripolis die Inhaftierung von Mitgliedern des Sicherheitsteams, eingesetzt von der „Tunis-Regierung“ unter Faiez Serraj, an.
Das Sicherheitsteam sollte in Tripolis die Möglichkeiten für die Einrichtung einer „Grünen Zone“ prüfen. In diese grüne Zone soll später die „Einheitsregierung“, die im Moment in Tunis sitzt, wechseln. Bagdad lässt grüßen.

16.01.Ein Waffendepot außerhalb der zentrallybischen Stadt Hon wurde bei einer schweren Explosion zerstört.

18.01.Ein Geistlicher in Bengasi erliegt nach Schüssen in der Moschee seinen schweren Verletzungen.

18.01.Der ehemalige Militärkommandant Oberst Wanis al-Sehli wurde in Tripolis ermordet aufgefunden.

18.01.In einem Interview mit der Bildzeitung spricht sich Ursula von der Leyen für einen Ausbildungseinsatz der Bundewehr in Libyen aus. Deutschland müsse sich seiner Verantwortung stellen und einen Beitrag zur Stabilisierung Libyens und Afrikas leisten. Sie warnte vor „einer Achse des Terrors“ in Afrika.
Fast wortgleich warnt der UN-Sonderbeauftragte Kobler vor der Ausbreitung des IS in Libyen.
Die „Achse des Terrors“, Nachfolger der „Achse des Bösen“, die mit allen Mitteln immer und überall bekämpft werden muss! Das erinnert doch fatal an die bisherige US-amerikanische Außenpolitik. Frau von der Leyen baut wohl einer zu erwartenden Ablehnung einer Einheitsregierung durch die libyschen Politiker schon vor, um eine Intervention in Libyen auch ohne Zustimmung der Libyer zu ermöglichen. Zuerst bombte man 2011 Libyen in die Katastrophe, was zur völligen Destabilisierung des Landes führte, jetzt schickt man Militär ins Land, mit dem Vorwand, es stabilisieren zu müssen. Libyen soll in jedem Fall unter ausländischer Kontrolle gehalten und eine autonome, unabhängige libysche Regierung, die die Interessen ihres Landes vertritt, verhindert werden.

18.01.In Baida protestierten die Menschen vor der Nationalen Kommerzbank, da es keine Bargeldauszahlungen gibt. Im Stadtzentrum brannten Reifen. Auch aus Tobruk und anderen östlichen Städten liegen Berichte von langen Schlangen vor den Bankschaltern vor, da es auch dort zu Liquiditätsengpässen kam.

18.01.Der libysche Militärchef Khalifa al-Hefter lobt das russische Engagement zur Bekämpfung des islamischen Terrorismus in Syrien und würde ein ähnliches Engagement Moskaus auch in Libyen begrüßen.
So wie man einst auf die Frage, wer den Krieg zwischen den USA und dem Irak gewonnen hat, mit „der Iran“ beantworten konnte, könnte es durchaus sein, dass man in einiger Zeit auf die Frage, wer den Krieg zwischen Libyen und den USA mit seinen Verbündeten (und auch zwischen Syrien und den USA/seinen Verbündeten) gewonnen hat, mit „Russland“ beantworten.

19.01.Die in der Nähe von Jufra vor einigen Wochen entführten 20 Ägypter konnten von der Armee befreit werden und kehrten nach Ägypten zurück.

19.01.Der in Tunesien tagende Präsidentschaftsrat der neu zu installierenden Einheitsregierung gab bekannt, dass sich die Konfliktparteien auf eine Nationale Einheitsregierung mit 32 (!) Ministern geeinigt hätten. Allerdings haben nicht einmal alle Mitglieder des neunköpfigen Präsidentschaftsrats der Einigung zugestimmt und auch beide in Libyen agierenden Regierungen und Parlamente haben bisher die Zustimmung zur Einheitsregierung verweigert.
Daneben sind die Großen Stämme wie die Warfalla sowie Tubu und Tuareg gegen die Vereinbarung, von den verschiedenen Milizen gar nicht zu sprechen. Auch wurde der LPNM (Libyan Popular National Movement), der die zahlreichen einst Gaddafi-treuen Libyer vertritt, von denen sich allein 600.000 als Flüchtlinge in Tunesien aufhalten, nicht an den Gesprächen beteiligt.
Die Namen der an der neuen „Einheitsregierung“ beteiligten Personen, die nun Ministerposten bekleiden sollen, sind nicht einmal in Libyen bekannt. Besonders umstritten ist, dass nicht General Hefter, der Befehlshaber der libyschen Armee mit besonderem Rückhalt in Ägypten, das Amt des Verteidigungsministers zugesprochen wurde, sondern einem Armeekommandanten namens al-Bargathi.
Die Kreise um General Hefter stellen sich für Libyen wohl ein ähnliches Modell wie in Ägypten vor: Unter Führung eines „starken Mannes“, hier General Hefter, beherrscht eine korrupte, skrupellose Militärelite das Land, mit der das Ausland gute Geschäfte machen kann.
Hefter spielte schon beim Sturz Gaddafis eine ganz spezielle Rolle. Bekannt ist, dass Hefter von der CIA ausgebildet wurde. Für die USA ist er „unser Mann in Libyen“. Allerdings pflegt Hefter auch gute Kontakte zu Russland. Seine Rolle und Position in Libyen sind damit mehr als undurchsichtig. Ohne oder gegen ihn scheint in Libyen nichts zu gehen.

19.01.Die säkulare Regierung von Ministerpräsident al-Thenni wird aus Baida ausgewiesen, wo sie seit 2014 ihren Sitz hatte, nachdem islamistische Milizen die Macht in Tripolis mit Gewalt an sich gerissen hatten. (Das Parlament dieser Regierung tagt in Tobruk, deshalb auch der Name Tobruk-Regierung). Der in der Stadt aufgestaute Frust hatte solche Ausmaße angenommen, dass der Stadtrat von Baida in einem Brief an den Ministerpräsidenten al-Thenni die Regierungsmitglieder zu unerwünschten Personen erklärte, die die Stadt innerhalb von 24 Stunden verlassen müssten. Daneben sollten auch die Ministerien und angeschlossenen Institutionen die Stadt verlassen, dazu zählten der Rechnungshof und die staatseigene Fernsehanstalt. Ausgenommen wurde von dem Stadtverweis der Hauptsitz der Libyschen Zentralbank. Begründet wurde der Schritt durch der Unfähigkeit der Regierung, die Probleme der Stadt zu lösen; so gäbe es kein Benzin, dafür aber langanhaltende Stromausfälle und ein leeres Stadtsäckel.
Die Stadt Baida war eine der drei östlichen libyschen Städte, die als „Zeugen“ die politische Vereinbarung zur Bildung einer „Einheitsregierung“ am 23. Dezember in Marokko mitunterzeichneten.

20.01.Bei den in den letzten Tagen neu aufgeflammten Kämpfen in Bengasi wurde eine Frau getötet und mehrere Soldaten verletzt, als die Armee einen Milizen-Angriff zurückschlug.

20.01.Kämpfer des IS greifen den libyschen Hafen Ras Lanuf an, dabei geraten mindestens zwei Öllager in Brand. In Videobotschaften verbreitete der IS, er beabsichtige weitere libysche Häfen anzugreifen.
Die beiden Ölterminals Ras Lanuf und al-Sider, das Anfang des Monats angegriffen wurde, sind seit mehr als einem Jahr geschlossen. 50 Prozent des libyschen Erdöls wurden vorher hier umgeschlagen.

21.01.Neuerliche Kämpfe zwischen dem Stamm Al-Naaji und Milizen der Ali-Alkani-Brigade in der südlich von Tripolis gelegenen Stadt Tarhuna hinterlassen mindestens 15 Tote und viele Verletzte.

21.01.„Sputniknews“ meldet, dass die erste Gruppe russischer, britischer und US-amerikanischer Soldaten und Offiziere in Libyen eingetroffen sind. Der Großteil dieser Streitkräfte ist auf dem Militärstützpunkt Dschamal-Abdel-Nasser im Süden von Tobruk stationiert, eine kleine Truppe von US-Soldaten westlich von Tripolis.
Auf dem Stützpunkt Dschamal-Abdel-Nasser sollen in den vergangenen drei Wochen über 500 Soldaten angekommen sein. Französische Soldaten sollen in den nächsten Tagen folgen.
Ziel sei es, durch Ausbildung und das Sammeln von Daten die libysche Regierung
(welche???) beim Kampf gegen den IS zu unterstützen.
Siehe auch meinen Blog-Beitrag: www.freitag.de/autoren/gela/eine-intervention-des-westens

22.01.US-Generalstabschef Joseph Dunford befürwortet einen militärischen Einsatz gegen den IS in Libyen. Eine militärische Intervention könne in wenigen Wochen beginnen.
Laut der New York Times sollen Luftangriffe mit Einsätzen von Eliteeinheiten kombiniert werden. Großbritannien, Frankreich und Italien könnten dieses militärische Vorgehen unterstützen. Die New York Times sieht dieses Vorhaben allerdings als äußerst riskant an, da es sich zu einem großen Krieg ausweiten könnte, der auf angrenzende Staaten übergreift.
Nachbarstaaten von Libyen wie Tunesien (das sich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise befindet: http://monde-diplomatique.de/artikel/!5264210 ) haben eine nicht unbegründete Angst, dass sich die IS-Kämpfer in ihre Länder flüchten könnten, wenn sie durch eine militärische Intervention in Libyen in die Enge getrieben werden.

22.01.Der Ältestenrat von Stämmen in der Kyrenaika, darunter sind frühere Gaddafi-Vertraute zu verstehen, sprechen sich gegen die von der UN aufgezwungene „Einheitsregierung“ aus.

23.01.In ganz Libyen kommt es aufgrund des kalten Wetters zu flächendeckenden Stromausfällen.

23.01.Die libysche Luftwaffe führte Luftschläge gegen den IS in Ben Jawad aus.

25.01. Das libysche Parlament in Tobruk hat die Vereinbarung über das neu zu schaffende Government of National Accord GNA (Einheitsregierung) mit großer Mehrheit endgültig abgelehnt!
89 der 104 Abgeordneten stimmten gegen den UN-Plan, zudem lehnten 84 Parlamentarier eine politische Einigung mit der islamistischen „Regierung“ in Tripolis ab. Damit fehlt der in Tunis sitzenden „Einheitsregierung“ die Autorisierung. Besonders kritisiert wurde die Entmachtung des Armeechefs General Khalifa Hefter und die hohe Zahl der Minister. Die Anzahl der Ressorts müsse von 32 auf 10 gekürzt werden.
Bei der Ablehnung dürfte auch CIA-Mann General Hefter nicht unbeteiligt gewesen sein, der mit dieser neuen „Einheitsregierung“ praktisch entmachtet werden sollte.
Die Europäer haben aufgrund des Flüchtlingsstroms von Schwarzafrikanern nach Italien und der Nähe des IS zu Europa natürlich ein starkes Interesse, dass sich die Lage in Libyen wieder stabilisiert. Aber ist dies auch im Interesse der USA?
Die von außen aufgezwungene und von der UN, den Europäern und den USA durchgepeitschte „Einheitsregierung“ mit Sitz in Tunis ist somit noch vor ihrer Konstituierung gescheitert. Die Anerkennung dieser „Einheitsregierung“ durch die UN-Resolution 2259, noch bevor sie die Zustimmung der libyschen Gremien hatte, war in jedem Fall verfrüht und einem Wunschdenken geschuldet. Seit dem Jahr 2011 quält sich Libyen endlos von einem „Übergangsrat“ zu einer „Übergangsregierung“ und „Übergangsverfassung“ zur nächsten. Dieser Zustand sollte nun wiederum verlängert werden, denn auch die „Einheitsregierung“ wäre wiederum nur eine übergangsmäßige gewesen.
Die UN-Resolution 2259 hatte die UN-Mitgliedsstaaten im Dezember dazu aufgefordert, jeden offiziellen Kontakt mit Parallelinstitutionen zu der neuen „Einheitsregierung“ einzustellen. Mit wem will die UN jetzt verhandeln?
Der Versuch des UN-Sondergesandten Martin Kobler, die Libyer in eine Einheitsregierung zu zwingen, die keiner will und von der maßgebliche Gruppen und Stämme ausgeschlossen waren, ist komplett gescheitert.

26.01. Fayez al-Serray, der ebenfalls gescheiterte neue Präsident der „Tunis-Regierung“, lässt ausrichten, er werde dem Auftrag des Parlaments entsprechen und in zehn Tagen die Namen eines verkleinerten Kabinetts vorlegen.

26.01.Milizen halten in Tripolis eine Parade ab und sagen allen fremden Interventionstruppen in Libyen den Kampf an.

26.01.Das HoR-Mitglied (House of Representatives – Tobruk) Mohamed Raied wird auf dem Weg zum Flughafen von Milizen entführt. Mit der Geiselnahme sollen zwei in Misrata wegen Drogendelikten Gefangene freigepresst werden.

26.01.Marokkanische Medien berichten, dass Marokko von den USA um logistische Unterstützung bei Anti-IS-Operationen in Libyen gebeten worden sei.

26.01.Bei einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, die der NATO und den USA nahesteht, zur Strategischen Lage des Jahres 2016 sprach der Leiter der Abteilung Politik im Verteidigungsministerium von Geyr unter anderem auch von Libyen. Seiner Meinung nach müssten bei einer Intervention in Libyen eine „Grüne Zone“ in Tripolis eingerichtet, die Milizen in die Sicherheitsstrukturen eingebunden, der IS direkt bekämpft und die Mittelmeeroperation „Sophia“ ausgeweitet werden, in dem Sinne, als Streitkräfte auch in den Territorialgewässern Libyens und an Land aktiv sein könnten.
Die Bundesregierung gerät immer tiefer in den Sumpf der völkerrechtlich nicht legitimierten, neokolonialistischen Kriege in den arabischen Ländern. Nach Afghanistan und Syrien rückt ein Einsatz der Bundeswehr in Libyen erschreckend nahe.

27.01.Das Pentagon hat zugegeben, Truppen nach Libyen entsendet zu haben, um militärische Möglichkeiten auszuloten. Deren Sprecher Peter Cook sagte, eine kleine Anzahl von Militärs sei entsandt worden, um sich im Gespräch mit den örtlichen Militärs ein klareres Bild über die Vorgänge in Libyen zu verschaffen. Geheimdienstoperationen werden vorbereitet, „entschiedene militärische Maßnahmen ergriffen“.
Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Berichte über das Auftauchen von Drohnen und Aufklärungsflugzeugen über den libyschen Küstengebieten.
Da ist sie also, die nun unmaskierte Intervention ausländischer Truppen in Libyen, der neue Kolonialismus, seines Mäntelchens der „Einheitsregierung“ beraubt! Den USA ist es also gelungen, in Libyen ihre Truppen zu stationieren. Der von den USA ausgerufene, unendliche „Kampf gegen den Terror“ rechtfertigt jeden illegitimen und völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz!

27.01.Libyschen Nachrichten zufolge, hat der IS mit der Einnahme von Sirte auch die Banken mit einem Vermögen von rund 8 Millionen Dollar unter seine Kontrolle gebracht.
Allerdings dürften diese 8 Millionen Dollar nicht bar vorhanden gewesen sein und könnten deshalb wohl gesperrt werden. Schreckensnachrichten über den IS dienen im Momentl dazu, eine ausländische Intervention in Libyen zu rechtfertigen.

27.01.Laut italienischer Küstenwache wurden allein am gestrigen Tag 1271 Menschen vor der libyschen Küste aus Seenot gerettet, die mit Schlauch- und Fischerbooten auf dem Weg nach Europa waren.

28.01.Zum ersten Mal hat ein potentieller Teilnehmer an einem Angriff auf den IS in Libyen gesagt, es wäre ein solcher militärischer Einsatz von US- und EU auch ohne Zustimmung einer „Einheitsregierung“ möglich. Die italienischeVerteidigungsministerin RobertaPinotti äußerte sich entsprechend in einem Interview in der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“. Sie berief sich dabei auf einen „Notfall“ und betonte die Zusammenarbeit mit den USA, Großbritannien und Frankreich.
Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass dies nicht dem Völkerrecht entspräche, sondern einen einseitigen Eingriff in einen Bürgerkrieg bedeuten würde. Eine militärische Intervention des Westens wird vor allem nach dem Nato-Krieg 2011 mit dessen dramatischen Folgen in Libyen äußerst kritisch gesehen. Allerdings steht Italien unter besonderen Druck, weil die Flüchtlingswelle über das Mittelmeer von Libyen aus nach Italien unvermindert anhält, auch wenn dies in den westlichen Medien nicht mehr thematisiert wird. Auch sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Libyen und Italien besonders eng. Man darf davon ausgehen, dass sich die italienischen Politiker nichts sehnlicher wünschten, als Gaddafi wieder zurück zu haben.

28.01.Der IS stellte Bilder ins Internet, die zeigen, dass drei der sechs von den am 14. Januar verschleppten Geiseln ermordet worden sind. Die Wachmänner arbeiteten für die türkische Baufirma Ustay, südlich von Ras Lanuf, in Maradah. Über den Verbleib der restlichen drei Entführungsopfer ist nichts bekannt.

28.01. Die WHO (World Health Organization) weist darauf hin, dass in Libyen an die zwei Millionen Menschen Hilfe benötigen. Für das Jahr 2016 müssen hierfür 50 Millionen US-Dollar veranschlagt werden. Dazu Dr. Syed Jaffar Hussain, WHO-Verantwortlicher für Libyen: „Wir können nicht auf eine politische Lösung warten, um zu handeln. Wir brauchen sowohl finanzielle Mittel als auch die Hilfe der internationalen humanitären Gemeinschaft, damit wir das Leben jener retten können, die am meisten gefährdet sind: Kinder, Mütter und Ältere.
Seitdem die Konflikte in Libyen im Juli 2014 eskaliert sind, haben Gewalt und Instabilität fast jeden Landesteil erfasst. Betroffen ist mit mehr als drei Millionen Menschen fast die Hälfte der Bevölkerung. Fast zweieinhalb Millionen Menschen benötigen dringend humanitäre Hilfe, von ihnen haben 1,9 Millionen sehr ernste Gesundheitsprobleme.
Libyens Gesundheitsminister, Dr. Oakely, meint dazu: „Die Gesundheitssituation in Libyen hat sich sehr verschlechtert durch die extensiven Vertreibungen sowie die Zerstörung und Schließung von Gesundheitseinrichtungen in den Konfliktgebieten. Immer neue Gewaltausbrüche haben den Wiederaufbau des Gesundheitssystems verhindert. Dabei war es vorher schon schwierig, die Grundbedürfnisse der libyschen Bevölkerung zu decken.“
Das im Gesundheitswesen arbeitende Personal ist aus Libyen geflohen. 2014 wurden mehr als 80 Prozent aller Krankenpflegekräfte evakuiert. Allein in den letzten 18 Monaten wurden fünf Pflegekräfte getötet und mehr als 20 Krankeneinrichtungen zerstört. Viele Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen haben die Anzahl ihrer Mitarbeiter reduziert. Daneben können auch Krankenhäuser, Laboratorien, Blutbanken und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens ihren Aufgaben wegen Mangels an Medikamenten und medizinischen Geräten nicht nachkommen. Die meisten medizinischen Auslieferungslager im Osten des Landes sind zerstört, einschließlich des größten Lagers in Bengasi.
Seit November 2015 konnte die WHO etwa 250.000 Menschen durch die Bereitstellung von Medikamenten, mobilen Kliniken, Ärzteteams, Versorgung mit Treibstoff und sauberem Wasser helfen.
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28.01.Das Libyan Popular National Movement (LPNM) weist wieder einmal darauf hin, dass viele Libyer widerrechtlich in Gefängnissen gefangen gehalten werden, ohne dass dies Konsequenzen für die Verantwortlichen hätte. Besonders erwähnt wird das Al-Jawijah-Gefängnis in Misrata, das seit dem Sturz Gaddafis als Internierungslager für ehemalige Dschmahirija Sicherheitskräfte, die im Dienst Gaddafis standen, dient.
Die in bewaffnete Konflikte involvierten Kräfte stellen offen zur Schau, wie Menschen gefangen genommen und gefoltert werden, den Beschuss von Wohngebieten oder die Zerstörung von Eigentum. In einigen Fällen dürfte es sich um Kriegsverbrechen handeln, ausgeführt auch von Kräften, die mit den beiden „Regierungen“ in Tobruk (bzw. al-Baida) und Tripolis in Verbindung stehen, Kräfte, die in dem Konflikt im Süden mitmischen und Kämpfer von Extremistengruppen wie IS und Ansar al-Scharia. Einige von ihnen verwenden auch Landminen und Streumunition in bewohnten Gebieten, beides international geächtete Praktiken.
Trotz des dafür ausgesprochenen Mandats eröffnet der Staatsanwalt des Internationalen Strafgerichtshofs keine Untersuchungen wegen anhaltender Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen.

29.01.Der amerikanische Präsident Obama hat in einem Dekret seine Sicherheitsberater dazu aufgefordert, die Ausbreitung des IS in Libyen im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes zu stoppen.
Die USA bereiten eine Invasion in Libyen vor, die aber nicht so genannt werden darf!
siehe dazu meinen Blog-Beitrag: https://www.freitag.de/autoren/gela/die-usa-und-ihre-nicht-interventionen

29.01.Die Tripolis-Regierung stoppt ein zweites Mal in nur einem Jahr die Kommunalwahlen in Bani Walid.

30.01.Der aus Misrata stammende Abgeordnete des HoR (Houses of Representatives/Tobruk), Mohamed Raied, der vor wenigen Tagen gekidnappt wurde, ist wieder freigelassen worden. Raied hatte das HoR nach dessen Umzug nach Tobruk jedoch boykottiert.

30.01.Der UN-Sondervermittler Kobler fordert im „Spiegel“ ein stärkeres Engagement Deutschlands in Libyen: „Eine Ausbildungsmission ist nötig – dabei könnte auch die Bundeswehr eine wichtige Rolle spielen.“
Kobler sieht es als Fehler an, dass nicht schon 2011 in Libyen interveniert wurde. (Mit welcher völkerrechtlichen Begründung denn? Weil dem Westen die Gaddafi-Regierung nicht passte, durfte man das Land zusammenbomben und anschließend einmarschieren?)
Das Abkommen von Marokko sieht er nicht als einen Misserfolg an, auch wenn die darin postulierte „Tunis-Regierung“ auf breite Ablehnung stieß.

31.01.Ausbruch neuer Kämpfe in Gasr Ben Gaschir, einem südlichen Vorort von Tripolis.

31.01.Seit Mitte Januar macht ein unbekannter Scharfschütze in der Stadt Sirte Jagd auf Anführer des IS und hat bereits drei Anführer erschossen. Der Scharfschütze soll professionell arbeiten und die IS-Anführer an Orten getroffen haben, die diese für sicher hielten.


Quellen: info.arte.tv – german.irib.it – theguardian.com – derstandard.at – faz.net – de.sputniknews.com – deutsch.rt.com – süddeutsche zeitung – spiegel.de – heise.de – tagesschau.de – zdf.heute – n.tv.de – welt-im-blick.de – pivotarea.eu – libyaherald.com – jamahiriyanewsagency.wordpress.com – libyaobserver.ly – vivalibya.wordpress.com– en.libyachannel.com – und andere

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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