Oktober 2015
01.10. Im Augenblick finden in Libyen die schwersten Kämpfe seit Monaten statt.
General Kalifa Hefter bombardierte in Bengasi von Islamisten gehaltene Stadtviertel. In Tripolis liefert sich der islamistische Libya Fadschr (Libysche Morgendämmerung) Scharmützel mit Regierungstruppen. Libysche Regierungstruppen bekämpfen ebenfalls den Libyschen Fadschr an der wichtigen Küstenstraße westlich von Tripolis.
01.10. Der bisherige Leiter der als gescheitert geltenden UN-Friedensmission für Libyen, der Spanier Bernardino Léon, soll von dem deutschen Diplomaten Martin Kobler abgelöst werden.
Léon ist wegen seines übertriebenen Optimismus‘ bezüglich einer Friedensvereinbarung der verfeindeten Parteien in Libyen, der wohl eher dem Wunschdenken des Westens als der Realität im Land entsprach, stark in die Kritik geraten und hat inzwischen den letzten Rest an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Bereits im März sprach Léon davon, dass die Verhandlungen in eine entscheidende Phase getreten wären, Anfang April kündigte er die Vereinbarung bis Ende des Monats an und im Juni erklärte er, die Gespräche befänden sich in der Endrunde. Tatsächlich verstärkte sich der Bürgerkrieg in Libyen während dieser ganzen Zeit.
Und selbst wenn sich die beiden Parteien dazu entschließen würden, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, hätte dies keinerlei Bedeutung. Die kämpfenden Parteien würden sich mit Sicherheit nicht daran halten. Der Westen hatte angestrebt, wenigstens nach außen den Anschein zu erwecken, dass sich Libyen auf einem „guten Weg“ befände, auch um eine Legitimation für den Krieg in Syrien zu haben. Denn die westliche Öffentlichkeit ist trotz aller Propaganda der transatlantischen Medien schon lange nicht mehr davon überzeugt, dass „Gaddafi weg musste“, so wie sie inzwischen Assad in Syrien für die bessere Lösung im Vergleich zu IS und Flüchtlingsströmen hält.
02.10. Nachdem eine neuerliche Deadline überschritten wurde, ruft UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon die libyschen Konfliktparteien nochmals zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens auf. Eine neue Deadline wurde für den 20. Oktober festgelegt. Die Vereinten Nationen haben sich geweigert, den Wortlaut des Friedensplans zu veröffentlichen. Soweit bekannt, soll jeder Partei (also Tobruk und Tripolis) ein Vetorecht bei Entscheidungen eingeräumt werden, die von einer zu konstruierenden gemeinsamen Regierung getroffen wurden.
Es erscheint selbst westlichen Beobachtern mehr als fraglich, ob die Unterzeichnung eines solchen Friedensabkommens tatsächlich den Krieg in Libyen beenden könnte, in einem Land, in dem die libyschen Stämme komplett von allen Friedensverhandlungen ausgeschlossen wurden, in dem aufgrund der Polarisierung Konsensentscheidungen so gut wie unmöglich scheinen, in dem sich inzwischen Menschenhändler und der IS (Islamischer Staat) festgesetzt haben und das allgemein als „failed state“ bezeichnet wird.
02.10. Italien hat Friedenstruppen für Libyen angeboten, aber militärische Kräfte stellen die berechtigte Frage, was eine Friedensmission soll, wenn es keinen Frieden gibt.
02.10. Der IS hat in dieser Woche As-Sidrah, den größten Ölhafen des Landes, angegriffen.
03.10. Sowohl die Gewaltherrscher des GNC (General National Congress) in Tripolis unter Führung von Kalifa al-Ghawi als auch der libysche Premierminister Aguila Saleh Issa in Tobruk haben signalisiert, dass sie sich der Unterzeichnung eines Friedensabkommens verweigern werden. Aguila Saleh Issa ist keinem Waffenstillstandsabkommen bereit, solange die Hauptstadt Tripolis mit Gewalt vom GNC gehalten wird. Das gewählte Parlament beharrt darauf, die Kontrolle über das gesamte Land auszuüben. Der „GNC“ in Tripolis möchte dagegen um jeden Preis an der Macht beteiligt werden.
Dabei dürfte es vor allem um die Verteilung der Fleischtöpfe gehen, sollte es jemals zu einer Friedenslösung kommen. Der GNC wird von den Amerikanern, Briten und anderen Westmächten unterstützt, weil er ihnen, den Zugang zum libyschen Öl, Wasser und anderen Ressourcen sowie Militärstützpunkte im Land garantiert.
05.10. An der libyschen Küste wurden zwischen den Städten Tripolis und Sabratha innerhalb der letzten fünf Tage 85 Leichen von Flüchtlingen angeschwemmt.
Insgesamt hat die italienische Küstenwache in den letzten zwei Tagen fast tausend Migranten aus dem Mittelmeer gerettet.
06.10. Da das Mandat des libyschen Parlaments am 20. Oktober ausläuft, hat das Parlament seine Wahlperiode so lange verlängert, bis neue Wahlen auf der Basis einer noch zu erarbeitenden Verfassung stattfinden können. Die UN hatte sich gegen diesen Schritt ausgesprochen, da Verhandlungen über eine Einheitsregierung [die sowieso nicht kommen wird] erschwert würden.
06.10. Laut einem neuen UN-Bericht sind rund 2,5 Millionen Libyer [das heißt fast alle Libyer, die sich noch im Land befinden], auf humanitäre Hilfe angewiesen. Eine Million Libyer sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
Der österreichische Standard schreibt: "Das einst reiche Land ist nicht mehr in der Lage, seine Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Infrastruktur, besonders für Wasser und Strom, ist schwer beschädigt. Das Gesundheitssystem kollabiert. Zwei Millionen Menschen würden medizinische Hilfe benötigen... In Bengasi sind 84 Prozent der Einwohner auf Unterstützung angewiesen, im zentral gelegenen Sabha 73 Prozent, in der Hauptstadt Tripolis 47 Prozent. Viele NGOs haben aus Sicherheitsgründen das Land verlassen..." Und der englische Botschafter für Libyen, Peter Millett, bloggt: „Their country is facing bankruptcy.“ (Das Land steht am Rande des Bankrotts). Auch andere Diplomaten sehen mit dem Wirtschaftskollaps des Landes eine humanitäre Katastrophe einhergehen.
09.10. UN-Vermittler Bernardino Léon hat Kandidaten für eine neue Einheitsregierung vorgeschlagen. Ministerpräsident solle Fajis Sarradsch werden, ein Abgeordneter des Tobruk-Parlaments. Zusammen mit fünf anderen Politikern soll er einen Präsidentschaftsrat bilden.
Sowohl die Gewaltmachthaber in Tripolis als auch die international anerkannte libysche Regierung mit Sitz in Tobruk lehnen die Vorschläge ab. Ein Mitglied des libyschen Parlaments, Ibrahim Alsaghiat, erklärte: „Die vorgeschlagene Regierung wird zu einer Spaltung Libyens führen und sich als Witz erweisen.“ Der Vorschlag Léons sei nicht weise.
Die Libyer reagieren aufgrund ihrer historischen Erfahrungen auf alles, was in Richtung einer Spaltung des Landes weist, zurecht äußerst sensibel. Ich zitiere hier aus meinen eigenen Schriften:
Nach Ende des Ersten Weltkriegs „wurden im Oktober 1919 für die Kyrenaika und für Tripolitanien zwei unterschiedliche Statuten erlassen, was de facto Libyen teilte. Jeder Landesteil erhielt ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung.
Und nach Ende des Zweiten Weltkriegs: „Mittlerweile beschäftigte sich auch die UNO mit dem Fall Libyen, das durch den Pariser Friedensvertrag unter ihre Treuhandschaft gefallen war. Die vier Siegermächte waren sich in der Frage, was mit Libyen geschehen sollte, nicht einig. Es verhandelten der damalige britische Außenminister Bevin und der Italiener Sforza über die Rückgabe Tripolitaniens an Italien. (https://de.m.wikipedia.org/wiki/bevin-sforza-plan). Anfang Mai 1949 wurden Details eines der UN vorgelegten Plans öffentlich, der vorsah, Libyen erst 1959 nach einer Übergangsphase von zehn Jahren in die Unabhängigkeit zu entlassen. Bis dahin sollte Libyen in drei Teile aufgeteilt, der Fessan von Frankreich, die Kyrenaika von Großbritannien und Tripolitanien wieder von Italien verwaltet werden. In Tripolitanien führte die Vorstellung einer Rückkehr der verhassten italienischen Kolonialherren zu gewalttätigen Aufständen. Trotz der Proteste, nicht nur der Tripolitaner, sondern auch der UdSSR und der Ostblockstaaten sowie der meisten arabischen, afrikanischen und asiatischen Staaten, die die sofortige Unabhängigkeit Libyens und den Abzug aller fremden Truppen forderten, wurde mit Zustimmung von Emir Idris sowie Frankreichs dem Teilungsplan im Politischen UN-Komitee zugestimmt. Doch konnte der Plan bei der III. UNO-Vollversammlung am 17. Mai 1949 die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreichen. Die Verhinderung der Aufspaltung des Landes in drei Teile hatte Libyen dem Botschafter des kleinen Staates Haiti zu verdanken, der trotz gegenteiliger Weisung seiner Regierung gegen den Aufteilungsplan stimmte und dessen eine Stimme entscheidend war. Der neue Beschluss der Vollversammlung sah nun vor, Libyen nach maximal drei Jahren in die Unabhängigkeit zu entlassen, spätestens zum 1. Januar 1952. Es wurde festgelegt, dass Frankreichs Truppen bis 1954 abziehen mussten, Großbritannien und die USA verlangten allerdings die Beibehaltung ihrer Militärbasen auf libyschen Boden. Libyen sollte eine Monarchie werden.“
11.10. Seit Beginn der russischen Luftangriffe in Syrien sollen sich etwa 250 tunesische IS-Kämpfer nach Libyen abgesetzt haben. Insgesamt sollen über 3.000 IS-Kämpfer über die jordanische Grenze aus Syrien geflohen sein.
11.10. Sollte Libyen eine Regierung der nationalen Einheit bilden, hat die EU dem Land 100 Mio. Euro Hilfe zugesagt.
Da werden die Libyer aber weit kommen, nachdem die Infrastruktur zerstört und die Städte zerbombt sind. Das einst wohlhabendste Land Afrikas soll sich für 100 Mio. kaufen lassen!
15.10. Die britische Justiz und das amerikanische FBI erblöden sich nicht, mehr als 25 Jahre nach dem Lockerbie-Anschlag wiederum die Auslieferung von zwei Libyern zu fordern, die an dem damaligen Anschlag beteiligt gewesen sein sollen.
Im Dezember 1988 war eine PanAm-Passiermaschine über der schottischen Kleinstadt Lockerbie explodiert. 270 Menschen kamen ums Leben. Der Westen beschuldigte Libyen, obwohl schon bei den Ermittlungen klar wurde, dass es für diese Behauptung keine wirklichen Beweise gab. Da sich Gaddafi weigerte, zwei von den USA und Großbritannien Beschuldigte auszuliefern, konnten unter diesem Vorwand harte Sanktionen auferlegt werden, die Libyen immensen Schaden zufügten. Um die westlichen Sanktionen zu beenden – was für eine Weiterentwicklung der libyschen Wirtschaft nach der Auflösung der UdSSR unerlässlich war – erklärte sich Libyen 2003 bereit, die Verantwortung für den Anschlag zu übernehmen, 2,7 Milliarden Dollar an die Hinterbliebenen zu zahlen und zwei angeblich Tatverdächtige auszuliefern. Einer musste schon während des Prozesses freigesprochen werden, der andere Angeklagte, Abdel Basset al-Megrahi, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Al-Megrahi hatte stets seine Unschuld beteuert und kurz vor seiner Begnadigung 2012 neue Beweise eingereicht, die zu einem Berufungsverfahren führen sollten. Doch die schottische Justiz begnadigte ihn vorher schnell wegen einer schweren Erkrankung. Al-Meghrahi starb 2012 in Tripolis. Heute wird die Verurteilung von al-Megrahi fast einhellig als schwerer Justizirrtum beurteilt.
Dieses Szenario der neuerlichen Anschuldigungen gegen libysche Staatsbürger und die Forderung an die Staatsanwaltschaft in Tripolis, diese Männer an die britische Justiz auszuliefern, kann nur als ein erneuter Versuch gesehen werden, mit falschen Anschuldigungen internationalen Druck gegen Libyen aufzubauen.
Als sich herausstellte, dass eine weite Öffentlichkeit die Schuld Libyens an dem Lockerbie-Attentat stark bezweifelte, wurde als Ersatztäter der zweite Erzfeind der USA, nämlich der Iran aufgebaut. Wenn es schon nicht Gaddafi war, dann war es zumindest der Ayatollah Khomeni. Gerade jetzt haben sich aber die politischen Fronten verschoben, die USA und der Iran haben neue Abkommen miteinander getroffen, der Iran wird vom Westen als wichtiger Mitspieler auf der politischen Bühne des Nahen Ostens für Verhandlungen über die Befriedung Syriens, wo gerade ein Krieg verloren wird, gebraucht. Nun also ein Griff in die Mottentrickkiste und schwupps: Libyen war doch der böse Lockerbie-Bube! Der neue alte Attentäter ist Libyen, das aufgrund seiner gegenwärtigen Situation nicht in der Lage sein dürfte, sich gegen die Vorwürfe zu wehren. Beschuldigt wird Abu Agila Mas’ud, ein ehemaliger Geheimdienst-Offizier, der im Moment in Tripolis von einem Scharia-Gericht beschuldigt wird, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Ein US-Journalist will nach Recherchen herausgefunden haben, Mas’ud hätte nicht nur die Bombe für Flug PanAm 103 gebaut, sondern auch für den Anschlag auf die Diskothek „La Belle“ 1986 in Berlin. Schmierentheater reloaded. Dabei führen viele Spuren in eine ganz andere Richtung…
Siehe auch meinen Blog-Beitrag „Lockerbie: Schmierentheater reloaded“ vom 31.10.:
https://www.freitag.de/autoren/gela/lockerbie-schmierentheater-reloaded#1446331686069583
17.10. Im westlibyschen Bezirk Atawailah fand ein von der Stammesarmee organisiertes und geschütztes Treffen des Grünen Widerstands (ehemalige Gaddafi-Anhänger) statt.
17.10. Im westlich von Al-Ajaylat gelegenem Bezirk Atawailah kam es im Anschluss an obiges Treffen zu schweren Zusammenstößen zwischen Milizen des sogenannten Sabratha-Militärrats und der Stammesarmee, die auch Panzer und Granatwerfer einsetzte.
Die Stammesarmee wird von Omer Tentousch, einem ehemaligen Gefolgsmann Gaddafis, kommandiert und hat sich zur Aufgabe gestellt, Libyen von dschihadistischen Kämpfern und westlichen Mächten zu befreien.
18.10. Sowohl in Tripolis als auch in Bengasi kommt es zu großen Demonstrationen gegen die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. „Nein zu einer Regierung mit dem Muslimbrüdern“ ist unter anderem auf den Plakaten zu lesen.
19.10. Das international anerkannte Parlament in Tobruk lehnt den Léon-Plan zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nach achtstündigen Beratungen ab!
Léon wurde unter anderem vorgeworfen, das Abschlussdokument eigenmächtig nachträglich zugunsten der Machthaber von Tripolis abgeändert zu haben. Außerdem wären die Kriterien für die Besetzung der Spitzenämter völlig undurchsichtig gewesen. Wichtige Streitpunkte waren daneben die Neugestaltung der Armee und die Zukunft von wichtigen Institutionen wie der libyschen Zentralbank und der Erdölgesellschaften, das heißt die Frage, ob diese privatisiert oder weiterhin im Staatsbesitz bleiben sollen, wie von Tobruk gefordert. Es geht also schlichtweg um alles oder nichts.
Obwohl wegen des Scheiterns der Verhandlungen sowohl die EU als auch die UN Sanktionen angedroht haben, ist es sehr zweifelhaft, dass libysche Parteien zu weiteren Verhandlungen bereit sein werden.
Diese sogenannte Einheitsregierung wäre nichts weiter als ein neuer Wasserkopf gewesen, kein Problem wäre dadurch gelöst worden. Der einzige Sinn und Zweck hätte darin bestanden, die Machthaber in Tripolis in eine anerkannte Regierung zu hieven und die Spaltung des Landes voranzutreiben.
19.10. Der österreichische „Standard“ schreibt, dass fast ein Drittel der Bevölkerung Libyen verlassen hat. Der Dinar verfällt immer mehr, täglich werden Menschen entführt. Die Lebensbedingungen in dem einst so reichen und fortschrittlichen Land sind unerträglich.
19.10. Inzwischen flüchten viele IS-Kämpfer aufgrund der erfolgreichen Bombardierungen durch Russland und dem Vormarsch syrischer Truppen. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Dschihadisten will nach Libyen, um sich den dortigen IS-Kämpfern anzuschließen.
Libyen wird vom IS als mögliches Einfallstor in andere nordafrikanische Staaten, über die Sahara nach Afrika und auch über das Mittelmeer nach Europa angesehen, da das Land nicht mehr in der Lage, seine Grenzen zu Land und zu See zu kontrollieren. Es wird befürchtet, dass der IS von Libyen aus Anschläge in Tunesien und auf der Sinai-Halbinsel koordinieren könnte. ISIS (Islamischer Staat in Syrien) hatte letzte Woche erklärt, dass sich 750 tunesisch-stämmige ISIS-Kämpfer auf den Weg in die libysche Hafenstadt Derna gemacht hätten. In Derna musste der IS erst kürzlich herbe Niederlagen durch die einheimische Bevölkerung einstecken. Deshalb hatte die ISIS-Führung ihre Kämpfer dazu aufgerufen, nach Libyen zu gehen. Die Kämpfer würden Syrien über die Türkei verlassen und über die zum Großteil vom IS kontrollierte ägyptische Sinai-Halbinsel nach Libyen einreisen. Dort würde verzweifelt auf IS-Kämpfer gewartet. Der IS-Führer Abdul-Mughirah al-Kathani erklärte auf einem IS-Internetportal: „Der IS hier in Libyen ist noch jung. Er hat einen großen Bedarf für jeden Moslem, der kommen kann, besonders gebraucht wird neben Kämpfern medizinisches -, Scharia- und Verwaltungspersonal.“ Und weiter: „Libyen ist das Tor zur Wüste... Wenn der IS diese Region, die sich auch zu anderen afrikanischen Staaten erstreckt, kontrolliert, wird dies den wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht nur von Italien, sondern von allen europäischen Staaten bedeuten.“
Bereits vor zwei Monaten sind Personen aus der Führungselite von IS als Verstärkung für die Kampfausbildung und zur sozialen Schulung aus dem Irak nach Libyen gesandt worden. Seit Jahren befinden sich an der libysch-tunesischen Grenze dschihadistische Ausbildungslager. Auch tunesische IS-Kämpfer wurden dort für den Kampf in Syrien ausgebildet. Die tunesische Regierung gab bekannt, dass dort 9.000 IS-Unterstützer im Februar festgenommen worden waren, 540 Dschihadisten hatten ihre Ausbildung dort bereits durchlaufen und anschließend das Land verlassen. Aus Tunesien stammt ein Großteil der IS-Kämpfer im Irak und in Syrien.
19.10. Laut der Website „Libya Body Count“, auf der Name, Ort und Art von Gewaltopfern dokumentiert werden, sind seit Januar 2014 annähernd 3.000 Menschen im Land zu Tode gekommen.
20.10. Libyen gedenkt in Trauer der bestialischen Ermordung Muammar al-Gaddafis.
Hillary Clinton: „We came, we saw, he died“ - unterlegt von diabolischem Lachen - https://www.youtube.com/watch?v=UtH7iv4ip1U
Zu Zeiten Gaddafis war Libyen ein blühendes Land, dessen Bewohner zahlreiche Privilegien genossen:
1. Strom war für alle Bürger kostenlos.
2. Die staatseigenen Banken nahmen für Darlehen keine Zinsen.
3. Es zählte in Libyen zu den Menschenrechten, ein Haus zu besitzen.
4. Bei jeder Familiengründung gab es vom Staat einen Zuschuss von 60.000 Dinar für die Einrichtung des Hausstands.
5. Schule, Bildung und das Gesundheitswesen waren kostenlos.
6. Wollten Libyer ein landwirtschaftliches Unternehmen aufbauen, erhielten sie zu diesem Zweck kostenlos Land, ein dazugehöriges Haus, Gerätschaften, Saatgut und Vieh gestellt.
7. War es nötig, dass Libyer zum Studium oder für eine medizinische Behandlung ins Ausland reisten, erhielten sie zusätzlich zu den anfallenden Kosten einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 2.300 US-$ für Unterkunft und sonstige Kosten.
8. Der Kauf eines Autos wurde vom Staat durch 50 Prozent der Kostenübernahme subventioniert.
9. Der Preis für einen Liter Benzin betrugt in Libyen 0,14 US-$.
10. Libyen hatte keine Auslandsschulden und seine Geldreservieren betrugen vor der weltweiten Einfrierung 150 Milliarden US-$.
11. Konnten Libyer nach dem Studium keine Anstellung finden, zahlte ihnen der Staat die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens in dem Berufssektor solange, bis eine Stelle angetreten werden konnte.
12. Jeder Libyer bekam einen Anteil an den Öleinnahmen direkt seinem Konto gutgeschrieben.
13. Bei der Geburt eines Kindes erhielt die Mutter 5.000 US-$.
14. Vierzig Brotlaibe kosteten in Libyen 5 US-$.
15. Es herrschte Schulpflicht, auch für Mädchen. 25 Prozent der Libyer verfügten über einen Universitätsabschluss.
16. Das weltweit größte Wasserprojekt, der "Man-Made-River", versorgte ganz Libyen mit frischem Trinkwasser.
Das alles hat der NATO-Krieg hinweg gebombt!
Und Hilary Clinton macht sich gerade in ihrem Wahlkampf als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten für ein aktives Eingreifen der USA sowie eine Flugverbotszone in Syrien stark.
20.10. Präsident Putin hat bei einem Treffen mit hohen russischen Offizieren davor gewarnt, dass der Islamische Staat Länder wie Syrien und Libyen, in denen er Gebiete unter seine Kontrolle gebracht hat, als Aufmarschgebiet für weitere Expansionen und zur Destabilisierung ganzer Regionen nutzen könnte.
20.10. Es kommt im Bezirk Atawailah erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Milizen aus Sabratha und der Stammesarmee.
Die Stammesarmee ist in Al-Dschumail stationiert und ist Teil der libyschen Armee unter dem Oberbefehl von Khalifa Hefter.
22.10. Hillary Clinton muss wieder einmal vor dem Bengasi-Sonderausschuss des Repräsentantenhauses aussagen. Bei der elfstündigen Anhörung übernimmt sie wie schon 2013 die Verantwortung für den Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi. Clinton wird vorgeworfen, 2012 als verantwortliche Außenministerin das US-Personal in Bengasi einem zu hohen Risiko ausgesetzt und Warnungen ignoriert zu haben. Obwohl Botschafter Chris Stevens warnende Depeschen schrieb, blieb das Außenministerium bei seinen Plänen, das Wachpersonal zu reduzieren. Der Geheimdienstausschuss des Senats war 2014 zu dem Schluss gekommen, dass die Attacke hätte verhindert werden können, wenn das Außenministerium nicht „bekannte Sicherheitslücken“ und die wachsende Bedrohung durch Islamisten in Libyen vernachlässigt hätte. Clinton bestritt, dass ihr die abgelehnten Forderungen damals bekannt gewesen seien. Stevens und drei weitere US-Bürger wurde bei dem angeblich von Islamisten ausgeübten Anschlag getötet.
Bengasigate hat die Wahlchancen für Hillary Clinton bei den Präsidentschaftswahlen 2016 beträchtlich verschlechtert.
Politische Kreise in Libyen sind davon überzeugt, dass der Anschlag auf das Konsulat in Bengasi keine Tat von Islamisten war, die ja eng beim Sturz Gaddafis mit den USA kooperierten, sondern ein sogenannter „inside job“ der CIA. Für diese These könnte sprechen, dass die Warnungen und die Bitte um Verstärkung von Stevens nicht nur nicht zur Kenntnis genommen, sondern sogar das Wachpersonal reduziert wurde. Auch der E-Mail-Skandal von Hillary Clinton wirft dazu Fragen auf. Denn auch jene E-Mails, die diese Vorgänge betreffen, wurden nicht über ihren offiziellen E-Mail-Account des Foreign Office, sondern über Clintons privaten Account geschickt und sind zu einem beträchtlichen Teil unwiderruflich gelöscht.
23.10. In Bengasi werden auf Protestkundgebungen gegen die von der UN vorgeschlagene Einheitsregierung mindestens neun Demonstranten durch Granatenangriffe getötet, Dutzende erleiden Verletzungen und müssen in Krankenhäusern behandelt werden.
Die mehr als 2.000 Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie „We will never be ruled by killers“ (Wir werden uns niemals von Mördern regieren lassen).
Dem Westen ist es zwar gelungen, 2011 Libyen militärisch niederzuringen, allerdings ohne geringste Rücksichtnahme auf die Stammeswelt des libyschen Volkes. Oft wird gesagt, dass die USA für Libyen (oder auch Syrien) keinen funktionierenden politischen Plan haben. Das stimmt nicht, denn: Das ist der Plan! Länder zerstören und die Kämpfe am Köcheln halten. Wenn dabei auch Europa in die Knie geht – wunderbar! Wie an einen Strohhalm klammern sich in der jetzigen Situation die UN und Europa an die Einsetzung einer Einheitsregierung. Doch wie sich an den Demonstrationen der letzten Tage und Wochen mit Toten und Verletzten zeigt, wird diese sogenannte Einheitsregierung nur zu noch mehr Gewalt führen und das Land weiter spalten. Die einzige Lösung kann heißen: Uneingeschränkte Unterstützung der international anerkannten Regierung und des gewählten Parlaments in Tobruk. Aufhebung des Waffenembargos und baldmöglichst Abhaltung von Neuwahlen unter Zulassung aller (!) politischen Kräfte, speziell unter Einbeziehung der Großen Stämme.
24.10. Dschamahirija Breaking News zeigt: „Bewaffnete Zusammenstöße zwischen dem Grünen Widerstand und NATO-Milizen im Westen der Stadt Al Ajaylat.“ Al-Ajaylat liegt südwestlich von Sabratha.
www.youtube.com/watch?v=4dxfCN99at8&feature=em-subs_digest-g
25.10. Am Strand von Zliten, das westlich von Tripolis liegt, wurden die Leichen von 27 afrikanischen Flüchtlingen angeschwemmt. Weitere 13 Leichen wurden in der Umgebung geborgen. Dreißig Menschen werden seit einem neuerlichen Schiffsunglück vermisst.
27.10. Das Libyamediacenter zeigt ein Video vom Abschuss eines Hubschraubers, der in der Nähe von Al-Maja ins Meer stürzt. An Bord befanden sich 19 Personen, darunter vier prominente Militärkommandeure der selbsternannten „Tripolis-Regierung“: Suhaib Rumah (Befehlshaber der Libyschen Märtyrer-Miliz), Hussein Bodija (Befehlshaber im Westen), Salem Saker (der Sohn von Mohammed Kilani befehligte die westlichen Verteidigungslinien).
http://www.youtube.com/attribution_link?a=GnqRHqC4TjI&u=/watch?v%3Dhcy5TSXkxqM%26feature%3Dem-subs_digest-g&g=LShM8HkEylrpXYSi5IaIbeVhs-RUqS23qPWObK4DfR_CBCQvsUVF5h1wqHp7K9MRk3cNNLLVFeaaSwGZYrpqsWsuZXdk2yveJ8AUmuXT6xIAlma45SzLmeWE2I-0ySyZYhcp40cipVGCpbwHIKK149BjMhAnG2NxBrhhxvg%3D
Der Hubschrauber war auf dem Rückweg nach Tripolis als er von einer Flugabwehrrakete getroffen wurde. Der Kommandeure mussten auf den Transport mit einem Hubschrauber zurückgreifen, weil die Küstenstraße im Westen Libyens für sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr zu befahren ist.
Im Anschluss an den Abschuss des Hubschraubers kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen bewaffneten Zawija-Brigaden, die die selbsternannte „Regierung“ unterstützen, und Kämpfern aus der Stadt Wirschifena.
Die „Tripolis-Regierung“ macht die Stammesarmee des Grünen Widerstands für den Abschuss verantwortlich, hat den Notstand ausgerufen und die Region Wirschifena zum militärischen Sperrgebiet erklärt, von dem sich Zivilisten fernhalten sollen.
Angeblich hat Mohammed al-Hijasi, Sprecher der militärischen Dignity(Würde)- Operation die Verantwortung für den Hubschrauberabschuss übernommen.
Inzwischen sind die Bewohner der Städte al-Zawija, Sabratha und Zuwara dazu übergegangen, als Transportmittel nur noch Schiffe und Hubschrauber zu nutzen, da die Küstenstraße zwischen Tripolis und al-Zawija von der Stammesarmee kontrolliert wird.
27.10. Wie der libysche Präsident al-Thenni bekannt gab, sind drei italienische Schiffe ohne Genehmigung der libyschen Behörden bei Benghasi in libysche Hoheitsgewässer eingedrungen. Alle nötigen Maßnahmen zum Schutz des libyschen Festlandes sollen getroffen werden.
29.10. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat den deutschen Diplomaten Martin Kobler als neuen UNO-Sondergesandten für Libyen bestätigt. Kobler arbeitete zuvor für die UN-Mission im Kongo, in Afghanistan und im Irak.
Das Video www.youtube.com/watch?v=9RC1Mepk_Swwurde in der Kabarett-Sendung „Die Anstalt“ am 20.10.2105 mit deutschen Untertiteln gezeigt. Darin erklärt der amerikanische General Wesley Clark in einem Interview, wie ihm ein Papier vom amerikanischen Verteidigungsministerium vorlag, das beschreibt: „wie wir sieben Länder in fünf Jahren angreifen werden. Wir beginnen mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und zum Schluss Iran.“
General Wesley Clark war Nato-Oberbefehlshaber im Kosovo-Krieg.
Quellen: derstandard.at – theguardian.com – welt-im-blick – sueddeutsche.de – de.sputniknews.com – Der Spiegel – spiegel.de – german.irib.ir – libyaagainstsuperpowermedio.org – ibtimes.com – dschamahirija news – libyaobserver.ly – und andere
Kommentare 18
Feine Aufstellung, vielen Dank dafür *****
Löblich, dass zu dem Thema detaillierte Recherche betrieben wird.
Betrüblich ist einmal der hämische Stil, der jede destruktive Nachricht zu begrüssen scheint; zum anderen der Widerspruch in der Haltung der Autorin: Einmal nimmt sie Partei für die Stämme ein, dann wieder für Gaddafi.
Zur Erinnerung: Der Aufstand in Libyen entstand aus den westlichen Clans (und Militärs), und wanderte dann bis Tripolis, das letztlich ohne Blutvergiessen übernommen wurde. Diese Kräfte quasi als US-ferngesteuert darzustellen ist völlig irrig.
Gaddafi hatte eine zentralistische Diktatur installiert, in der alle Macht auf ihn konzentriert war, nebenbei eine Gewaltherrschaft mit Folter und Hinrichtungen, und plante die Übergabe an die vier Söhne. Er hat die Entwicklung eines emanzipatorischen politischen Bewußtseins in der arabischen Welt verschlafen und verdrängt.
Die Rolle der USA wird i.a. überbetont, die wichtige erste Militäraktion war die französische Operation Harmattan.
Auch die anderen arabischen Aufstände haben die US-Politik mehr irritiert als ihr zu nutzen.
Zur Rolle der USA in Libyen verweise ich noch einmal auf folgendes Video:
https://www.youtube.com/watch?v=UtH7iv4ip1U
Zu den Stämmen: Gaddafi hat es genial geschafft, die Stämme Libyens zusammenzuhalten und einzubinden. Am Anfang seiner Politik war er Anhänger von Nassers Panarabismus, allerdings nahm er schon bald auf die Stammesstruktur Libyens Rücksicht.
Was Gewaltherrschaft mit Folter und Hinrichtungen betrifft: Darf ich Sie da mal an die große "Demokratie" USA erinnern: Wie viele Menschen dort durch elektrischen Stuhl oder Giftspritze ums Leben kommen? Darf ich Sie an Abu Graib und CIA-Foltergefängnisse in Osteuropa erinnern? Und darf ich Ihnen als Lektüre "Das Guantanamo-Tagebuch" empfehlen - es wird genauestens beschrieben, wie die USA Häftlinge entführen und zum Foltern nach Jordanien schaffen. Können Sie mir erklären, wie weit es mit Menschenrechten her ist in Ländern wie Saudi Arabien oder Katar, Verbündete des Westens? Warum sagt niemand: Der König von Jordanien muss weg? Oder der Emir von Katar? Selbstverständlich ist es verwerflich zu foltern und ich bin gegen die Todesstrafe in jeder Form. Nur: In den meisten arabischen, aber auch asiatischen oder afrikanischen Staaten geht man leider mit politischen Gegnern nicht gerade zimperlich um, ob mir das gefällt oder nicht. Das gibt dem Westen aber noch lange nicht das Recht, dort militärisch einzugreifen. Denn merke: Es gibt ein Völkerrecht! Und die Bombardierung Libyens durch die NATO war völkerrechgswidrig! Der Vorwand dazu erstunken und erlogen. Wie von in die damaligen Vorgänge eingebundenen libyschen Politikern inzwischen öffentlich bestätigt. Es ging um Öl und um Geld und um ganz große Geostrategie. Und vor allem: Nach dem Sturz Gaddafis erfolgte eine systematische Verfolgung, Ermordung, Folterung nicht nur von Gaddafi-Anhängern, sondern auch von schwarzen Libyern! Noch heute sind eine große Anzahl politischer Gefangener in Libyen eingesperrt und werden gefoltert, unter anderem der Sohn Gaddafis, Saadi al-Islam, der in Tripolis gefangen gehalten wird:
https://www.youtube.com/watch?t=16&v=wkRbhfqJX5E
Und natürlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, was im Moment eine positive oder eine destruktive Entwicklung in Libyen ist. Die vom Westen propagierte Einheitsregierung halte ich für eine destruktive Lösung, von der ich nicht glaube, dass sie funktionieren würde.
Tatsächlich gab es einiges zu kritisieren am politischen System in Libyen unter Gaddafi. Nur: Jedes Land hat das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen - ohne von der Nato in Not und Elend gebombt zu werden.
Ja, und tatsächlich, ich fand Gaddafi bedeutend besser als manchen Gewaltherrscher oder Monarchen in der arabischen Welt. Ich bin der festen Überzeugung, dass er sehr viel für sein Volk und für die Entwicklung des Landes getan hat. Er hat durch die Akzeptanz und Stärkung der Stammesstrukturen versucht, eine Art Basisdemokratie im Land zu installieren. Glauben Sie wirklich, Gaddafi hätte sich so lange an der Macht halten können, wenn er in der Bevölkerung keinen Rückhalt gehabt hätte? 2011 haben über 2 Mio. Menschen in Tripolis für Gaddafi demonstriert! Bei einer Bevölkerung von 6 Mio. Menschen! Uns wurde auf unseren Reisen in Libyen zunm Beispiel oft gesagt: Ja, es gibt Korruption. Aber solange Gaddafi da ist, hält sie sich in Grenzen. Ohne Gaddafi wäre es viel schlimmer. Diese Aussagen bewahrheiten sich ja jetzt.
Was mit diesem wunderbaren Land Libyen und seinen liebenswerten Menschen passiert ist, die vielen Toten, der Hass, die Zerstörung, Verzweiflung und Elend! Eine Schande für den Westen, dies mit dem Nato-Krieg verursacht zu haben.
Zue Info: Die Armee der Stämme dürfte ziemlich identisch sein mit dem Grünen Widerstand, das heißt den ehemaligen Gaddafi-Anhängern.
Der Bürgerkrieg in Libyen wurde nicht durch die USA ausgelöst, sondern durch Libyer, die mehr Freiheit wollten, nach dem Vorbild der Nachbarländer Tunesien und Ägypten.
"Jedes Land hat das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen".
Exakt.
Und sorry, dass die USA foltern und Gewalt benutzen, macht doch Folter und Gewalt durch andere nicht besser. Beides ist zu kritisieren bzw. der Widerstand dagegen zu unterstützen.
Dass Gaddafi gewisse Verdienste für Libyen hat, da stimme ich zu. Nur entwickeln sich Menschen, politisches Bewußtsein wächst (nach) und stellt neue Fragen. Das hat er verschlafen, und stattdessen sehr eigensinnig an seiner persönlichen Macht und seiner Familie festgehalten. Auch mit Saif als Nachfolger wäre das weiter gegangen, und vor die Wand gefahren.
Die Clans haben 2011 zusammen gegen Gadaffi gekämpft, sonst wäre der Bürgerkrieg nicht so schnell und in Tripolis relativ unblutig zuende gegangen.
Was sich heute "Armee der Stämme" nennt, dürfte der Versuch einer speziellen Gruppe sein, aus dieser Historie via Namensgebung noch Kapital zu schlagen.
Darf ich Ihnen hierzu eine Harvard-Studie des Jahres 2013 vorstellen:
http://belfercenter.ksg.harvard.edu/publication/23387/lessons_from_libya.html
Zitate daraus:
The Conventional Wisdom Is Wrong. Libya’s 2011 uprising was never peaceful, but instead
was armed and violent from the start. Muammar al-Qaddafi did not target civilians or resort to
indiscriminate force. Although inspired by humanitarian impulse, NATO’s intervention did not aim
mainly to protect civilians, but rather to overthrow Qaddafi’s regime, even at the expense of increasing
the harm to Libyans.
• The Intervention Backfired. NATO’s action magnified the conflict’s duration about sixfold, and its
death toll at least sevenfold, while also exacerbating human rights abuses, humanitarian suffering,
Islamic radicalism, and weapons proliferation in Libya and its neighbors. If Libya was a “model
intervention,” then it was a model of failure.
• Three Lessons. First, beware rebel propaganda that seeks intervention by falsely crying genocide.
Second, avoid intervening on humanitarian grounds in ways that reward rebels and thus endanger
civilians, unless the state is already targeting noncombatants. Third, resist the tendency of humanitarian
intervention to morph into regime change, which amplifies the risk to civilians.
Der Nato-Krieg gegen Libyen war ein Kriegsverbrechen und hat unsägliches Leid über das Land und seine Menschen gebracht.
Dass ich Folter, Todesstrafe etc. strikt ablehne, habe ich schon gesagt. Nur, wenn die Nato jedes Land bombardieren würde, in dem gefoltert würde oder die Todesstrafe herrscht, wäre die ganze Welt in einziger Bombenkrieg. Ohne Zweifel, das "System Gaddafi" war reformbedürftig. Reformbedürftig finde ich aber zum Beispiel auch das amerikanische Wahlsystem, das aus dem 18. Jahrhundert stammt. Trotzdem meine ich nicht, man müsste da ein besseres, unseres Zeit entsprechendes Wahlsystem herbeibomben!
Glauben Sie wirklich, wenn Gaddafi nicht sehr viel Unterstützung von den libyschen Menschen gehabt hätte, dass er sich dann trotz der Bombardements von März bis Oktober 2011 hätte halten können? Und es waren nicht die Libyer - wahrscheinlich noch friedlich, oder? - die gegen Gaddafi gekämpft haben, sondern es waren Islamisten, viele aus dem Ausland, viele al-Kaida, und es waren US-amerikanische und andere ausländische Spezialeinheiten im Land.
Ich werde oben angeführte Studie in deutscher Übersetzung baldmöglichst auf meinen Blog stellen.
Dass das libysche Volk Gaddafi und die Dschamahirija gestürzt hätten ist ein Märchen! Es ging um Öl, um das libysche Wasser, um den Gold-Dinar, den Gaddafi einführen wollte, um das libysche Geld, um die guten Sozialstrukturen des Landes, das alles "musste weg" und es ging um die Durchsetzung des amerikanischen Imperialismus, d.h. jedes Land, das sich den USA nicht fügt, muss fügsam gemacht werden oder es wird vernichtet.
Nun war ich selbst 2011 in Libyen, habe mit den Aufständischen zusammen gearbeitet, einen Hilfstransport begleitet, und Fotos und Berichte davon gemacht.
Der Anlaß des westlichen Einsatzes war der schnelle Vormarsch von Gaddafi (-bezahlten) Truppen auf Bengasi und der Beschuß der Stadt mit schwerer Artillerie, am 17. März. Die Stadt hatte zu der Zeit etwa 1 Mio. Einwohner, darunter viele Flüchtlinge aus Ajdabija und anderen umkämpften Städten. Die Operation Harmattan hat diesen Angriff jedenfalls gestoppt und das von Saif Gaddafi angekündigte "Einebnen" der Stadt verhindert. Also wurde nicht "unsägliches Leid über das Land und seine Menschen gebracht", sondern erstmal verhindert.
Und wie gesagt, die eigentliche Niederlage Gaddafis kam nicht durch westliche Bomben, auch nicht durch die militärischen Erfolge der FSA, sondern aus den Verhandlungen zur Übernahme von Tripolis durch die Clans; die meisten deutschen und US-Medien hatten ja einen blutigen Endkampf um die Hauptstadt prophezeit.
Der Aufstand hatte am 17. Februar begonnen, also einen Monat vorher. Nachdem Gaddafi das Militär in Bengasi anwies, mit militärischer Gewalt gegen die Proteste vorzugehen, hatte sich die gesamte dortige Garnison unter General Yunis auf die Seite des Aufstands gestellt; es folgten blutige Kämpfe mit Gaddafis Sondereinheiten in der Stadt. Es fing also keinesfalls mit den französischen Bomben an, wie Sie andeuten.
Nach meinem Eindruck war der Antrieb des Aufstands vor allem die Überwindung der zentralistischen, eigensinnigen, rücksichtslosen Herrschaft, und auch der Kuhhändel der älteren Generation mit dem Regime, ähnlich wie in Tunesien und Ägypten. Die Aufständischen waren wie alle Libyer Moslems, haben sich aber stets von den (meist ausländischen) Islamisten distanziert.
Siehe dazu auch die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung 2012, und zum Abgeordnetenrat 2014, bei denen die Islamisten abgeschlagen wurden.
Also, ich bin immer bereit, die US-Hegemonialpolitik zu kritisieren, aber wenn man sich dabei gleich wieder neuen Engführungen ergibt, disqualifiziert man nur die Kritik.
Sie waren also dabei beim Aufstand gegen Gaddafi. Na bravo! Ich möchte jetzt gar nicht auf die einzelnen Ihrer Punkte eingehen,nur soviel: Das lief doch damals so bei Saddam Hussein, bei Gaddafi und jetzt Assat - böser Diktator, Assoziation zu Hitler, Hitler war böser Diktator - böse Diktatoren müssen weg - Gaddafi musste weg. Damit kann man sich als toller Widerstandskämpfer fühlen, auch wenn man ein ganzes Land ins Unglück stürzt. Ich würde sagen, Sie waren blauäugig und ließen sich instrumentalisieren. Doch für das libysche Volk war der Sturz Gaddafis eine nicht wiedergutzumachende Katastrophe! Ich setze mal voraus, Sie haben es gut gemeint, so kann ich nur von einer unglaublichen Unwissenheit der libyschen Geschichte und politischen Verhältnisse ausgehen und von einer sagenhaften Naivität. Nur um Gaddafi noch etwas Recht zukommen zu lassen:
Er baute für afrikanische Verhältnisse ein vorbildliches Gesundheits- und Bildungssystem auf. Libyen hatte das höchste Pro-Kopf-Einkommen im nördlichen Afrika. Er schuf moderne Städte mit Wohnungen zum mietfreien Wohnen. Von Frauenrechten, Schulpflicht etc., von dem andere arabische Länder nur träumen können, überhaupt nicht zu sprechen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg von 1970 bis 2010 von 53 auf 75 Jahre! Und so vieles mehr! Gaddafi hatte es drauf, zwischen den Stämmen (es gibt davon etwa 140!) einen Ausgleich zu schaffen. Natürlich machte er auch Fehler und waren seine Methoden zum Teil "robust", womit er sich nicht von anderen Machthabern in arabischen und sonstigen Ländern, geschweige denn den USA, unterschied, aber ich bin mir ganz sicher: Als Sozialist wollte er immer das Beste für das Land und für die Libyer.
Ich empfehle Ihnen einen Artikel von Gerd Bedszent vom August 2011, der zeigt, wer wollte, konnte wissen, was auf das Land zukommen würde:
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/bedszent.html
Das Fazit dieses Artikels von 2011: "Der blutige, partielle Zusammenbruch des Ghaddafi-Regimes entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Krieg um das Öl im Land. Es ist kein Zufall, daß die westlichen Staaten sehr schnell in den libyschen Bürgerkrieg eingriffen; bei den Umstürzen in Tunesien und Ägypten wurde dies nicht einmal im Ansatz erwogen. Ghaddafi galt als unsicherer Kantonist, dem man seine antiimperialistische Vergangenheit und seine scheinbar unberechenbaren politischen Schwenks übelnahm. In einem Regimewechsel sehen der Westen und seine Ölkonzerne eine gute Gelegenheit, sich die im Staatsbesitz befindlichen Teile der libyschen Wirtschaft anzueignen und das noch immer halbwegs funktionierende Sozialsystem zu zerschlagen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings eher fraglich. Die nun schon seit Monaten andauernden Kämpfe ließen die Ölförderung massiv einbrechen. Und Teile der Anti-Ghaddafi-Allianz scheinen kaum gewillt, die von ihnen kontrollierten Ölvorkommen für ein Spottgeld zu verscherbeln.
Der sogar in linken Kreisen bejubelte »demokratische Aufbruch« in Libyen dürfte sich für die Bevölkerung langfristig eher fatal auswirken. Nicht nur, weil die meisten Rebellen alles andere als Demokraten sind und der Aufstand von blutigen Pogromen gegen nicht-libysche Gastarbeiter flankiert wurde. An den unter Ghaddafi begangenen Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen gibt es nichts schönzureden. Dennoch handelt es sich bei seinem Regime um einen Rest des antikolonialen Aufbruchs der 1960er Jahre, der in kolonial heruntergewirtschafteten Territorien eine nachholende Modernisierung in Gang brachte. Eine Demokratisierung der libyschen Gesellschaft, wie sie vom Westen offiziell propagiert wird, könnte nur auf Grundlage eines neuen Modernisierungsschubs erfolgen, für den aber derzeit überhaupt nichts spricht. Der jetzt tobende Bürgerkrieg ist kein Kampf zwischen Diktatur und demokratischer Opposition, sondern primär ein simpler Verteilungskampf um die Reste des gescheiterten Modernisierungsversuchs. Die vom Westen angestrebte neokoloniale Inbesitznahme der Ölfelder dürfte den bereits begonnenen Prozeß der Entstaatlichung Libyens eher beschleunigen und einen schnellen Rückfall der libyschen Gesellschaft in die vormoderne Barbarei einläuten.
Sollten die mit Rückendeckung der westlichen Staatenallianz agierenden Rebellengruppen siegen, wird dies den Bürgerkrieg schwerlich beenden. Der nächste Konflikt zwischen Anhängern islamistischer Gruppen und abtrünnigen Wirtschaftsfunktionären der Ghaddafi-Ära ist bereits ausgemacht – antiwestlicher Fundamentalismus ist mit neokolonialem Ausverkauf kaum zu vereinbaren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es zu Verteilungskämpfen zwischen den Clans kommen, von denen jeder einen möglichst großen Happen vom Ölkuchen abbekommen will. So könnte auch der Import libyschen Öls für die Abnehmer zu riskant werden.
Sowohl die sich abzeichnende Auflösung Libyens in vormoderne Stammesterritorien als auch eine mögliche Besetzung des Landes durch westliche Militärs würden letztlich in einem blutigen Chaos münden, verglichen mit dem selbst die repressivsten Perioden der Ghaddafi-Herrschaft als friedlich und zivilisatorisch durchgehen können – die Invasionen im Irak, in Afghanistan und Somalia haben dies bewiesen. Die Zukunft wird für die libysche Bevölkerung nicht rosig aussehen. Eher pechschwarz. "
Aus: Fritz Edlinger (Hg.), Libyen. Hintergründe, Analysen, Berichte. Erscheint Anfang Oktober im Promedia Verlag, Wien, ca. 224 S., ca.15,90 Euro
In ähnlicher Weise äußerte sich Peter Scholl-Latour, dem wirklich keine Nähe zu Gaddafi nachgesagt werden kann.
Nachtrag: Das Fritz-Edlinger-Buch "Libyen" ist im Oktober 2011 erschienen!
Sie wiederholen sich, aber ich spare es mir, mich ähnlich wortreich zu wiederholen.
Grundsätzlich, es ist nicht notwendig, Partei zu ergreifen, wie das in ihren Worten mitschwingt. Man kann beobachten und berichten, in Deutschland, und fragen stellen in dem jeweiligen Land.
Wesentlich ist meine Beobachtung, dass die Libyer (in Bengasi und Exilanten aus Berlin) selbst Verantwortung übernommen haben, und jeglichen fremden Einfluss versuchten zu begrenzen. Und wie berichtet, die wesentlichen Schritte, zuletzt die Übernahme von Tripolis, wurden aus eigenen, gewachsenen sozialen Strukturen gemacht.
Das ganze Gerede, der Westen oder die NATO sei Schuld an dem 'Chaos' heute, ist vor allem ein Versuch, sich eine simplifizierte Welt zusammenzustricken. Die breite Mehrheit der Libyer wollte die Freiheit, und das bedeutet auch Ungewißheit.
Im übrigen, ob es bei Machterhalt der Gaddafi-Familie heute in Libyen 'geordneter' zugehen würde, mit vielen afrikanischen Flüchtlingen, einem aus dem Ausland gut versorgten IS, einer dünn besiedelten Wüstenregion, darf man auch hinterfragen.
Haha!
Gaddafi hatte in Libyen einen riesengroßen Rückhalt, bis ganz zum Schluss. Und in früheren Jahren waren bis zu 2 Mio. Schwarzafrikaner als Gastarbeiter im Land, das funktionierte ganz wunderbar. Gaddafi hatte sich mehr nach Schwarzafrika orientiert und unterstütze die südlichen Nachbarstaaten wie Niger mit viel Geld, ebenso die Organisation Afrikanischer Staaten. Er war in den Ländern südlich der Sahara sehr beliebt.
Freiheit bedeutet Ungewissheit? Was soll denn das bedeuten? Im Falle Libyen bedeutete diese "Befreiung" erst mal mindestens 50.000 Tote, einen Bombenkrieg durch die Nato, viele auf der Flucht, im Gefängnis, ein zerstörtes Land inclusive IS. Na Danke! Es ging nicht um "Freiheit" oder "Menschenrechte", sondern um Öl, Wasser und globale Machtinteressen! Und da kann ich mich gar nicht oft genug wiederholen! Welche Freiheit wurde denn herbeigebombt? Wie war die Rolle der Frau unter Gaddafi und wie ist sie heute? Wohin sind alle soziale Errungenschaften, Schulpflicht bis 16 auch für Mädchen! Und natürlich beziehe ich Stellung und nenne die Dinge beim Namen! Die Zerstörung Libyens war ein Verbrechen!
Haha!
Gaddafi hatte in Libyen einen riesengroßen Rückhalt, bis ganz zum Schluss. Und in früheren Jahren waren bis zu 2 Mio. Schwarzafrikaner als Gastarbeiter im Land, das funktionierte ganz wunderbar. Gaddafi hatte sich mehr nach Schwarzafrika orientiert und unterstütze die südlichen Nachbarstaaten wie Niger mit viel Geld, ebenso die Organisation Afrikanischer Staaten. Er war in den Ländern südlich der Sahara sehr beliebt.
Freiheit bedeutet Ungewissheit? Was soll denn das bedeuten? Im Falle Libyen bedeutete diese "Befreiung" erst mal mindestens 50.000 Tote, einen Bombenkrieg durch die Nato, viele auf der Flucht, im Gefängnis, ein zerstörtes Land inclusive IS. Na Danke! Es ging nicht um "Freiheit" oder "Menschenrechte", sondern um Öl, Wasser und globale Machtinteressen! Und da kann ich mich gar nicht oft genug wiederholen! Welche Freiheit wurde denn herbeigebombt? Wie war die Rolle der Frau unter Gaddafi und wie ist sie heute? Wohin sind alle soziale Errungenschaften, Schulpflicht bis 16 auch für Mädchen! Und natürlich beziehe ich Stellung und nenne die Dinge beim Namen! Die Zerstörung Libyens war ein Verbrechen!
Der Rückhalt Gaddafis war nach der Machtübernahme und bis in die 1980er noch recht breit, das lag aber auch an der geringen Bevölkerungszahl. Deren Wachstum führte dann offenbar auch zu einem zunehmenden politischen Bewußtsein. Die Spaltung zeigte sich u.a. in dem Massaker im Abu Salim Gefängnis 1996, Zerstörung des Al-Ahly Fusssballclub und Hinrichtungen 2000 und anderen blutig niedergeschlagenen Protesten und Meutereien.
Bei den afrikanischen Nachbarn war Gaddafi mehr gefürchtet als beliebt, verständlich angesichts der von ihm angezettelten Grenzkriege mit Ägypten 1977 und dem Tschad 1978 bis 1987. Also Vorsicht mit Idealisierungen.
Mit dem jetzigen Status des Landes, auch Spaltung der politischen bzw. Polizei-Macht und Unsicherheit sind sicher viele Libyer unglücklich, und persönlich kann ich ihren Gram auch teilweise nachvollziehen.
Aber man macht es sich zu einfach, wenn man verdrängt, dass politisches Bewußtsein nachrückt und Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung streben, auch wenn dabei nicht immer Erfolgsberichte gefeiert werden können.
Ok, wir kommen da wirklich nicht zusammen! Es geht doch hier nicht um Erfolgsberichte, sondern um die systematische Zerstörung eines Landes! Was sind denn das für Phrasen, dass "politisches Bewusstsein nachrückt" - bei Zehntausenden von Toten??? Warum wurde zum Beispiel die Dschamahirija bei den Wahlen überhaupt nicht zugelassen und auch nicht bei den Friedensgesprächen unter UN-Aufsicht, wenn es um Selbstbestimmung geht? Wieso wurde diese wirklich große Gruppe von jeglicher Meinungsbildung in Libyen ausgeschlossen, obwohl sie viele Stämme repräsentiert? Mir scheint, Sie nehmen die Fakten einfach nicht zur Kenntnis.
Der Westen weiß, was gut für Libyen ist und Freiheit und Demokratie muss herbei gebombt werden! Entsetzlich! Das widersprach jedem Völkerrecht! Wie kommen Sie dazu, sich darüber einfach hinwegsetzen zu wollen?
Bitte lesen Sie noch einmal, was sogar Harvard-Studien dazu sagen:
http://belfercenter.ksg.harvard.edu/publication/23387/lessons_from_libya.html
"Warum wurde zum Beispiel die Dschamahirija bei den Wahlen überhaupt nicht zugelassen?" - Weil der Name nichts anderes als das historische Gaddafi-System bezeichnet, das für militärische Gewalt bei diesem Aufstand und die vielen Toten verantwortlich ist. Das sehen die meisten Libyer so. Man muss schon sehr zielstrebig diese Mehrheit ausblenden und sich den Anhängern des alten Machtapparats an den Hals werfen, um das zu verdrängen. Ist mir unbegreiflich, wie man der zuletzt völlig benebelten Selbstüberschätzung dieser kleinen Machtclique nachweinen kann.
Nochmal, wenn so viele für Gadddafi standen, wie konnte Tripolis ohne deren Widerstand von den Aufständischen "besiegt" werden?
Was ihren Link betrifft, irgendwelche Positionen, die um jeden Preis gegen den (demokratischen? Hillary-Clinton?) Deutungs-Mainstream schwimmen, finden sich in den USA immer. Für jede noch so wirre Position findet sich dort irgendwo ein Institut, das von einem wirren Antroposophen, Demokrat, Republikaner, Prediger oder wasauchimmer gesponsort wird. Keine wissenschaftliche Evidenz.
Wer eine differenzierte Position lesen mag:
http://www.swp-berlin.org/publikationen/swp-aktuell-de/swp-aktuell-detail/article/libyens_stabilisierung_unterstuetzen.html
Sorry, aber Harvard ist immer noch eine deutlich seriösere Quelle als die oft sehr blauäugige SWP!
Danke für die interessante Zusammenfassung - Libyen ist zwar weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, aber leider wird der Konflikt uns wohl noch eine Weile erhalten bleiben.
Gaddafi polarisiert natürlich. Einerseits ein doch sehr spezieller, autoritärer Führer, andererseits für die Menschen im Land sicherlich besser als Alles, was es sonst so in der Großregion gibt. Leider gewöhnen sich Menschen an Annehmlichkeiten, die sie einmal haben, und lassen sich mit Versprechen ködern von Leuten, die selbst gern an der Macht wären. Das Ergebnis ist genau das damals vorhergesagte: Ein kaputtes Land in einem endlosen Bürgerkrieg. Aus NATO-Sicht sicherlich besser als ein selbstbewusster Staat mit dem Anspruch, den Kontinent zu einen, wie das Chavez und Lula in Lateinamerika gelungen ist.
Dass sich unter Gaddafi (m.W.) keine Zivilgesellschaft entwickeln konnte ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass es heute so aussieht - die Missachtung des Völkerrechts beim Bombardement des Landes und bei der Unterstützung bewaffneter Islamisten jedoch mindestens genauso.
Wieso war Gaddafi für die vielen Toten verantwortlich? Schauen Sie sich doch bitte einmal das das Video von dem Schweizer Professor Dr. Daniele Ganser an, der genau erklärt, wie die angeblich 6.000 Toten, die Gaddafi zu verantworten gehabt haben soll, zustande gekommen sind (etwa in der Mitte des Bandes) und die nie bestätigt werden konnten: www.peak-oil.com/2014/03/video-ken-jebsen-mit-daniele-ganser (der Film ist auch ansonsten sehr aufschlussreich)
Woher bitteschön wollen Sie wissen, dass die Libyer gegen Gaddafi waren? Gab es etwa vor seinem Sturz eine Meinungsumfrage im Land? Ich zitiere aus dem Aufsatz „Die Medien im Krieg gegen Libyen“[1] der Journalistin Karin Leukefeld, die 2011 schrieb: „Was sich nicht verkauft, sind Stories wie diese: „Eine Million marschiert für Gaddafi“ am 17. Juni 2011 in Tripolis. „Wo ist die Geschichte?“, fragt Timothy Bancroft-Hinchey in einem Artikel, den die „Peking Times“ am 23. Juni 2011 veröffentlichte und den sie von der russischen „Prawda“ übernommen hatte. Die Menschenmassen hatten in der libyschen Haptstadt Tripolis demonstriert, um Gaddafi zu unterstützen und den NATO-Krieg gegen die libysche Bevölkerung zu verurteilen. Kaum ein westliches Medium berichtete.“ Und an anderer Stelle schreibt sie: „Am 23. März 2011 erschien bei der US-Nachrichtenagentur Reuters ein Text mit dem Titel „Propaganda wird im Libyen-Krieg entscheidend sein.“[…] Richard Holmes, Professor für Militär- und Sicherheitsstudien an der Cranfield Universität in Großbritannien, warnte „…die Schlacht um die Herzen und Köpfe“ sei für Gaddafi Überlebensstrategie, also müsse vom Westen alles unternommen werden, um den „Informations-Drive“, die Steuerung der Information, zu übernehmen.“
Zur Ansicht noch das Video „Maledetta Primavera“ von Fulvio Grimaldi nach der Bombardierung von Tripolis: www.youtube.com/watch?v=c7ygcy6xvbE
Es ist richtig, es gab in Libyen Gegner von Gaddafi und es gab auch unzufriedene Jugendliche. Es kam zu Demonstrationen gegen Gaddafi, geschürt von CIA, MI6 und anderen, vor allem in Bengasi. Nur: Wenn in Dresden 10.000 Pegida-Anhänger mit einem Galgen für Merkel und Gabriel durch Dresden marschieren und auch in anderen Städten Demonstrationen stattfinden, in denen Merkel als „Volksverräterin“ bezeichnet wird und sich diese Demonstranten selber für „das Volk“ halten, heißt das gottseidank noch lange nicht, dass diese Aufmärsche auch wirklich „das Volk“ repräsentieren. Eine überwältigende Mehrheit will weder Merkel als Bundeskanzlerin, noch das ganze bundesrepublikanische System stürzen, auch wenn man an beidem etwas kritisieren kann.
Nun zum Sturz von Tripolis: Am 21.8.2011 rückten Rebellentruppen mit massiver NATO-Luftunterstützung in breiter Front in Tripolis ein. Von langer Hand war der Einmarsch vorbereitet, es hatte sich in Tripolis ein Untergrundspitzelsystem etabliert, dass die Alliierten, die ebenfalls mit Sondereinheiten und massiver logistischer Unterstützung die Rebellentruppen unterstützen, Kenntnisse über Aufenthaltsorte etc. der libyschen Armee gaben. Die Eliteeinheiten hatten keine andere Chance als sich zu ergeben. Der große Häuserkampf um Tripolis blieb aus. Dies war in Anbetracht der Übermacht und der massiven Bombardierungen sicher eine weise Entscheidung. Die Städte Sirte und Bani Walid, die bis zum Ende Widerstand leisteten, wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Libyen ist heute ein kaputter Staat, vorher war es ein prosperierendes Land mit besten Sozialleistungen, guter Infrastruktur, guten Bildungsmöglichkeiten, vorbildlich für arabische Länder. Das Land hatte keine Auslandsschulden und war auf dem Weg zu weiteren Reformen. Gaddafi hat sicher auch Fehler gemacht, es gab dunkle Flecken in seiner Vita, der Personenkult war gewöhnungsbedürftig. Aber was er für das Land geleistet hat, das er praktisch von Null aus aufbaute, dafür sei ihm höchste Anerkennung gezollt. Außerdem hat er es geschafft, die Stämme zusammenzuhalten und Libyen außenpolitisch auf einen unabhängigen Kurs zu steuern. Und dies trotz all der unappetitlichen Diffamierungen, denen er als Person ausgesetzt war.
Jeder ist für die Konsequenzen, die aus seinen Taten folgen, verantwortlich. Jeder, der am Kampf gegen Gaddafi mitwirkte, ist auch für die sich daraus ergebenden Konsequenzen, nämlich zehntausende Tote, Verwundete, Gefolterte, Vertriebene, zerstörte Infrastruktur, wirtschaftlicher Kollaps verantwortlich!
Und wenn Sie wieder einmal in gut neokolonialem Stil „Demokratie und Freiheit“ irgendwohin exportieren wollen, dann gehen Sie doch bitte zunächst zu unseren Verbündeten und Freunden nach Saudi Arabien. Dort hätten Sie ein weites Betätigungsfeld“!
Saudi-Arabien kommt schon noch früh genug auf die Abschussliste, abwarten. Zu Libyen stimme ich Ihnen ja weitestgehend zu, dennoch frage ich mich zwei Dinge:
1. Stimmt mein Eindruck, dass sich unter Gaddafi, wie in anderen autoritären Systemen, keine organisierte Zivilgesellschaft entwickeln konnte?
2. Braucht eine moderne regime-change-Operation nicht zwingend ein gewisses Maß an lokaler Unzufriedenheit, das ausgenutzt/ eingekauft werden kann - und seien es "Luxussorgen", weil die Menschen sich an ihren Lebensstandard gewöhnt haben?
Für die Beantwortung Ihrer Frage muss ich weiter ausholen. Es werden immer alle arabischen Staaten über einen Kamm geschoren werden, dabei hat jeder arabische Staat seine eigene Geschichte, wobei es natürlich Überschneidungen und Ähnlichkeiten gibt. Es gibt Demokratien, Monarchien, Sultanate oder wie in Libyen unter Gaddafi die Volks-Dschamahirja. Es gibt sehr reiche Länder wie die Golfstaaten und Libyen (allerdings jetzt nicht mehr) oder bitterarme wie den Jemen. Allen gemeinsam ist, dass sie sich als Umma der Gläubigen, also als islamische Glaubensgemeinschaft begreifen. Geprägt wurden außerdem alle arabischen Staaten durch den Kolonialismus, wobei sich die Italiener in Libyen durch unglaubliche Brutalität auszeichneten und nach dem Zweiten Weltkrieg ein bettelarmes Volk von Analphabeten hinterließen. Es kam die Monarchie, König Idris, der sein Land den Briten und Amerikanern überließ, auch das Öl, das gefunden wurde. In den 60er Jahren war die Zeit der Befreiungskriege, König Idris war nicht mehr zu halten.
Als Gaddafi 1969 an die Macht kam, war er überzeugter Panarabist und Nasser-Bewunderer. Er unterstützte Freiheitsbewegungen in aller Welt, von Mandela in Südafrika über die IRA in Irland bis natürlich und vor allem die Palästinenser.
Daneben war er war eng mit Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky (Sozialistische Internationale) und wollte gern Zugang zu Europa, um Geschäfte zu machen. Mit Österreich und Italien hat das auch geklappt. Es schwebte ihm ein islamisch-sozialistisch-arabischer Staat vor. Er entwickelte eine Dritte Universaltheorie. Diese wurde vom Westen immer sehr belächelt, aber vielleicht war sie für Libyen ja nicht so schlecht. Jedenfalls machte er dank des Öls Libyen zum reichsten Land Afrikas, mit für ein arabisches Land unglaublich guten Sozialleistungen und einer funktionierenden Infrastruktur. Gaddafi meinte, Demokratie im westlichen Stil sei die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Er dagegen wollte die "Demokratie der Volksmassen durch eine permanente Revolution". Naja, alles bekannt.
Es war ihm anfangs sehr daran gelegen, die uralten Stammes- und Clanstrukturen aufzubrechen (Libyen hat mehr als 130 Stämme!) und einen Nationalstaat zu formen, ist daran aber gescheitert. Diese Stämme waren und sind sich zum Teil spinnefeind, zum Teil verbündet, zum Teil neutral. Libyen war und ist eine Stammesgesellschaft. Was ist in diesem Zusammenhang eine „organisierte Zivilgesellschaft“? Sind diese Stammesgesellschaften nicht auch organisierte Zivilgesellschaften, sogar überaus gut und effektiv organiserte? Jedenfalls ist es Gaddafi gelungen, die Stämme in einem Staatswesen zusammenzuhalten, indem er jedem Stammesführer relativ viel Freiheit für die internen Angelegenheiten ließ. Die Außenpolitik bestimmte natürlich er. Zwischenzeitlich gab es natürlich auch eine unzufriedene Jugend, die im Ausland studiert hatte und mehr Mitsprache verlangte und genügend politische Gegenspieler. Das war aber nicht das Problem. Das Hauptproblem bestand auch in Libyen im extremen politischen Islamismus, den Gaddafi aufs Schärfste bekämpfte.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Gaddafi und vor allem sein Sohn Saif al-Islam erkannt hatten, dass sich die Zeiten geändert haben. Das hatte sich ja schon in der Liberalisierung in der Wirtschaftspolitik abgezeichnet, auch in der Begnadigung vieler Islamisten und vielem anderen (zum Beispiel durften die Berber wieder ihre eigene Sprache unterrichten etc.). Übrigens sollte 2011 Gaddafi noch ein Menschenrechtspreis von der UN verliehen werden!!! Gaddafi war bereits 69 Jahre alt, hätte sein Sohn Saif al-Islam nach ihm die Macht übernehmen können, hätte Libyen sich bestimmt weiter reformiert. Mein Eindruck ist, dies wurde von den USA/GB/Frankreich gar nicht gewollt. Man hat den arabischen Frühling der anderen Länder genutzt, um den Aufruhr zu schüren und die Islamisten zu bewaffnen. Von außen gesteuerte „Revolutionen“, die nur Zerstörungen bewirken. Regimechange! Das war’s gewesen mit Libyen…
Die Welt ist bunt. Jedes Land hat seine eigene Geschichte, Kultur, Politik und ein daraus sich mit gutem Grund entwickeltes Staatswesen. Jeder Staat muss das Recht haben, seine Entwicklung selbst zu bestimmen und weiterzuführen. Demokratie in unserem Sinne kann man nicht von außen überstülpen. Mein Eindruck ist, dass unter dem Deckmäntelchen der Demokratie heute überall (zum Teil sogar demokratisch gewählte!) Regierungen gestürzt werden, siehe Ukraine, Mali, Thailand), um – ich nenn es jetzt mal „Marionettenregierungen“ an die Macht zu bringen. Gerade in armen Ländern ist die Wahl zu kaufen, zu fälschen etc. Man denke nur an Afghanistan: einfach lächerlich, dort von Demokratie zu sprechen.
Ich weiß nicht, sind Sie schon einmal durch einen nordafrikanischen Staat gereist? Wie hart die klimatischen Bedingungen in der Sahara sind? Wie arm die Fellachen in Ägypten sind? Wie ausgehungerte Kinder in Nordmali mit einem Schüsselchen um den Hals hängend durch die Gegend ziehen und um Essen betteln? Wie sich Slumgürtel um die marokkanischen Städte Casablanca oder Rabat ziehen? Wie Tuareg noch mit Kamelkarawanen Salz durch die Sahara im Niger transportieren? Wie es im Atlas-Gebirge Dörfer ohne Ende gibt, die noch nicht elektrifiziert sind? Wie Frauen Lasten auf dem Rücken schleppen, dass man meint, sie müssten zusammenbrechen?
In Libyen gab es das alles nicht. Jetzt schon wieder.
Zivilgesellschaft, Demokratie, Menschenrechte – erst mit vollem Magen und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen! Bis dahin spendet der Islam Trost.
Sorry, ist sehr lang geworden!