Libyen im September

Was geschah… eine unvollständige Auflistung

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

SEPTEMBER 2015

01.09. Jahrestag der libyschen 69-Revolution:
Am 1. September 1969 stürzte der Bund der Freien Unionistischen Offiziere unter Führung von Muammar al-Gaddafi den König und übernahm in Libyen die Macht.
Einheit, Freiheit und Sozialismus sollten in Libyen anstelle der Monarchie treten, der Reichtum des Landes gerecht verteilt werden und dem Volk zugutekommen. Von nun an wurde in Bildung, Wohnungsbau, medizinische Versorgung und Ausbau der Infrastruktur investiert.

Schon bald wurden die amerikanischen und britischen Militäreinrichtungen in Libyen geschlossen.

Ironie des Schicksals: Der in Großbritannien ausgebildete Oberst Gaddafi wurde vom Westen als „der richtige Mann am richtigen Ort“ gesehen. Sowohl den USA als auch Großbritannien war klar geworden, dass König Idris nicht mehr zu halten war. Sie meinten in Gaddafi den Mann gefunden zu haben, den sie lenken konnten und mit dem sich gute wirtschaftliche Beziehungen aufbauen ließen.

02.09. Der für den EU-Einsatz gegen Schlepperbanden vor der libyschen Küste zuständige italienische Konteradmiral Enrico Credendino gab bekannt, dass ab Oktober die zweite Phase des Kampfes gegen krimineller Schlepper in Kraft treten soll. Dies beinhalte den Einsatz von sieben Kriegsschiffen, U-Booten, Drohnen, Flugzeugen und bewaffneten Soldaten, die im Rahmen der Mission EUNAFVOR außerhalb der libyschen Gewässer eingesetzt werden. Die Schiffe von Schleppern sollen beschlagnahmt und zerstört werden, die Schlepper selbst festgenommen. Damit die Bundeswehr an diesem Einsatz teilnehmen kann, muss zunächst ein Bundestagstagmandat für den bewaffneten Auslandseinsatz eingeholt werden.
(Anm.: Dieses Mandat wurde zwischenzeitlich erteilt.)

Der Sinn dieser Maßnahme ist mehr als fraglich. Denn in der Regel werden die Boote mit den Flüchtlingen alleine losgeschickt, ohne dass sie von den Schleppern begleitet werden. Befinden sich tatsächlich Schlepper an Bord, werden sich diese nicht zu erkennen geben. Das Risiko für die Bootsflüchtlinge wird sich weiter erhöhen, eine Überfahrt noch gefährlicher werden.

In einer dritten Phase ist der EU-Einsatz innerhalb libyscher Hoheitsgewässer und sogar an Land geplant. Das dafür notwendige UN-Mandat und die Zustimmung der libyschen Regierung wird es aber nicht geben.

03.09. Wie aus dem Bildungsnotstandsbericht „Education Under Fire“ von UNICEF hervorgeht, können 13 Millionen Kinder wegen der Kriege im Nahen Osten und in Nordafrika keine Schule besuchen!

In Syrien, dem Irak, Jemen und Libyen sind fast 9.000 Schulen zerstört und tausende Lehrer geflohen. Wo es noch funktionierende Schulen gibt, ist häufig der Schulweg zu gefährlich. Für Familien mit Kindern stellt dies einen wichtigen Grund für die Flucht nach Europa dar, denn auch in den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Ägypten, Jordanien und anderen Ländern haben Flüchtlingskinder keinen Zugang zu Schule und Bildung.

04.09. Vor der libyschen Küste ist ein Boot mit etwa 140 Menschen an Bord gesunken. Dabei sind mindestens dreißig Menschen ertrunken.

05.09. Der UN-Vermittler für Libyen, Bernardino León, hält bei den Genfer Verhandlungen eine Friedensvereinbarung bis 20. September für möglich.

Doch welche Rolle spielt Bernardino Léon tatsächlich in Libyen? Wenn er wirklich der Friedensvermittler wäre, als den ihn die westlichen Medien hinstellen, hätte er nicht schon längst auch das Gespräch mit den libyschen Stämmen und ihren Führern, mit der Libyschen Nationalen Volksbewegung (Libyan People’s National Movement) und mit dem Stammesräten gesucht, anstatt sich ausschließlich mit der Moslembruderschaft und dem libyschen Fadschr (Morgendämmerung) zu treffen? Léon wird an jedem offiziellen Gespräch, das sich mit der Aussöhnung des libyschen Volkes beschäftigt, beteiligt, obwohl er die libyschen Stammesführer komplett ignoriert.

Bereits 2011 während der Bombardierung Libyens durch die NATO wurde während eines dreitägigen Treffens, bei dem mehr als 3.000 Stammesführer anwesend waren, eine Stammesregierung gewählt. Dies geschah, als abzusehen war, dass die NATO die Dschamahirija-Volksregierung wegzubomben entschlossen und Libyen der gleiche Weg wie dem Irak vorbestimmt war. Tatsächlich konnte sich aber niemand wirklich vorstellen, welches Ausmaß die Zerstörung des Landes und die menschlichen Katastrophen annehmen würden.

Es steht zu befürchten, dass die UN nun mit Hilfe Bernardino Léons das Zerstörungswerk der NATO vollenden werden. Der libyschen Bevölkerung soll die Kontrolle über ihr Land entzogen, das Land in drei Teilen gespalten werden: die Kyrenaika im Nordosten, Tripolitanien im Nordwesten und der Fessan im Süden. Léon maßt sich an, eine neue libysche Regierung, diesmal ohne Beteiligung des Volkes, bilden zu können. Der gewählten und international anerkannten Regierung mit Sitz in Tobruk droht die Auflösung. Inzwischen hat sich ein „schwarzer Markt“ gebildet, auf dem neu zu vergebende „Posten“ in der neuen Regierung ge- und verkauft werden; es sollen für Pöstchen bis zu einer Million Dollar geboten werden. Kann sich Léon mit seinen Plänen durchsetzen, wird Libyen zukünftig von einer Besatzungsmacht regiert.

Mit einem erzwungenen „Erfolg“ bei den sogenannten Friedensverhandlungen, der objektiv nichts an der Lage im Land zum Besseren verändern wird, soll der westlichen Bevölkerung vorgegaukelt werden, Libyen sei auf einem guten Weg. Dies geschieht vor allem in Hinblick auf die entsetzlichen Vorgänge in Syrien. Die heutige Situation in Libyen – wie auch in Afghanistan und im Irak – führt den Ruf „Assad muss weg!“ ad absurdum. Doch es wird nicht helfen, inzwischen weiß jeder, dass die Lage in Syrien ohne Assad keine andere sein wird als die in Libyen ohne Gaddafi: Zurück bleiben wird neben unzähligen Toten und einem unfassbaren Leid für die Zivilbevölkerung ein zerstörtes, entvölkertes Land, in dem der IS die Macht hat.

Eine UN-Studie vom Juni 2015 hat Libyen als „Failed State“ eingestuft und vor einem ökonomischen Kollaps gewarnt. Ölausfuhren werden zum großen Teil nur noch auf Clan-Basis getätigt.

08.09. Laut dem Sprecher der libyschen Armee, Naser el-Hasi, kamen bei Angriffen der islamistischen Ansar al-Scharia- beziehungsweise IS-Gruppen auf Stellungen der libyschen Armee im al-Navagia-Gebiet (südwestlich von Bengasi) insgesamt 15 Menschen ums Leben, sechs davon waren libysche Soldaten.

09.09. Irak: Die irakische Armee hat zwei britische Flugzeuge abgeschossen, an deren Bord sich Waffen und Ausrüstung für den IS befanden. Das irakische Parlament hat die britische Regierung um eine Erklärung gebeten. Es wurde schon des Öfteren darüber berichtet, dass Flugzeuge der von den USA geführten Koalition über von ISIS kontrollierten Gebieten Waffen und Nachschub abwerfen. Dies habe ein irakischer Parlamentsausschuss bereits nachgewiesen. Es werden auch immer wieder Waffen aus amerikanischer und israelischer Produktion bei ISIS-Kämpfern gefunden. Der Abgeordnete Madschid al-Gharawi erklärt dies so: „Die USA zögern die Dauer des Kampfs gegen ISIS hinaus, um Garantien von der irakischen Regierung für amerikanische Stützpunkte in den Provinzen Mossul und Anbar zu erhalten.“ Schon vor einiger Zeit erklärte der irakische Abgeordnete Nahlah al-Hababi: „Der internationalen Koalition ist es nicht ernst mit Luftangriffen auf ISIS-Terroristen. Stattdessen versucht sie sogar, die (freiwilligen) Milizen vom Schlachtfeld und dem Kampf gegen die Ungläubigen fernzuhalten, damit das ISIS-Problem nicht in naher Zukunft gelöst wird… Die ISIS-Terroristen werden weiterhin von nicht identifizierten Militärflugzeugen im Irak und in Syrien unterstützt.“ Präzise Luftschläge würden nur in den Gebieten erfolgen, in denen die kurdischen Peschmerga aktiv sind. Behauptungen der USA, es würde sich bei den Abwürfen über ISIS-Gebiet um Irrtümer handeln, wies der iranische Brigadegeneral Massud Dschasajeri zurück. Die USA verfügten über ausreichende geheimdienstliche Informationen bezüglich der Stellungen von ISIS in der Region.

15.09. In der libyschen Stadt Sirte werden 12 ägyptische Arbeiter, darunter auch Kopten, vom IS gekidnappt.

15.09. Der IS veröffentlicht im Internet ein Video, das die Hinrichtung eines Tunesiers, der in Bengasi als Bäcker gearbeitet hatte, wegen angeblicher Spionage zeigt.

16.09. Al-Dschasira berichtet, dass der islamistische GNC (General National Congress) in Tripolis die Vollstreckung des Todesurteils von Saif al-Islam, der angeblich in Sintan festgehalten wird, am kommenden Donnerstag, also dem 17.9., vollzogen werden soll.

Da im weiteren Verlauf des Monats September nichts über eine tatsächliche Vollstreckung des Todesurteils von Saif al-Islam bekannt wurde, kann man davon ausgehen, dass die Informationen aus anderer Quelle, nach denen sich Saif al-Islam an einem sicheren Aufenthaltsort befindet, der Wahrheit entsprechen.

18.09. Ein russisches Tankschiff wurde in libyschen Hoheitsgewässern aufgebracht und in den Marinestützpunkt von Tripolis eskortiert. Der Sprecher des libyschen Generalstabs berichtet von Ermittlungen über die Hintergründe. Von libyscher Seite wird vermutet, das Schiff wollte in den Hafen von Zuara einlaufen, um dort Treibstoff aufzunehmen.

18.09. Laut Al-Dschasira hat ISIl (Islamischer Staat in Libyen) ein Gefängnis angegriffen, das sich auf dem Gelände des seit November letzten Jahres geschlossenen Mitiga-Flughafens bei Tripolis befindet. Der Flughafen wurde im November letzten Jahres aufgrund von Kampfhandlungen geschlossen.

19.09. Generalmajor Hefter erklärt bei einem Treffen mit Militärkommandanten in Bengasi, die Militäroperationen in der Stadt seien in ihre Endphase getreten.

20.09. Die libysche UN-Mission und Delegierte der EU verurteilen die militärische Eskalation in Bengasi.

Doch wo blieb der Protest als der ISIL in der Stadt Sirte ein Massaker anrichtete? Warum wird verhindert, dass sich in Libyen wieder militärische Stärke etablieren kann, die das Land verteidigen und wirksam gegen ISIL und andere islamistische Terroristen vorgehen könnte?

20.09. Die griechische Küstenwache hat vor Kreta den Frachter „Haddad 1“ gestoppt und in den Hafen von Heraklion eskortiert. An Bord fanden die Behörden versteckt hinter Baumaterialien 5.000 Waffen sowie Munition. Der Frachter kam aus dem türkischen Hafen Iskenderun und war auf dem Weg nach Misrata. Die Türkei gab an, Waffen und Munition seien nicht für Libyen, sondern für die sudanesische Polizei bestimmt gewesen.

21.09. In den USA soll es Überlegungen geben, endlich Reparationszahlungen von Afghanistan, Irak und Libyen einzufordern. Diese Entschädigungszahlungen für Kriegskosten könnten dazu beitragen, das enorme amerikanische Staatsdefizit von fast zwanzig Billionen Dollar zu lindern. Es ist vorgesehen, sich diese Gelder durch Geheimverträge mit den jeweiligen USA-freundlichen Regierungen zu sichern.

Im Irak dürfte dies schwierig sein, in Libyen wäre es nötig, dazu die Islamistenherrscher von Tripolis im ganzen Land an die Macht zu bringen. Vielleicht deshalb das Bestehen auf einer Regierungsbeteiligung der Machthaber von Tripolis? In Libyen ist mit Abstand am meisten zu holen, sollten jemals die Ölquellen wieder sprudeln.

Allerdings hat Libyen laut dem österreichischen Standard in nur einem Jahr ein Viertel seiner internationalen Finanzreserven verbraucht.
Wohin sind diese Gelder geflossen? Wer bereichert sich alles am libyschen Nationalvermögen? Das ist Diebstahl am libyschen Volk!

22.09. Vertreter einiger libyscher Konfliktparteien haben sich nach Angaben des UN- Vermittlers Bernardino Léon auf einen Text für ein „Friedensabkommen“ geeinigt. Dem Vorschlag müssen die einzelnen Parteien in Libyen noch zustimmen.

Die Verhandlungen fanden unter Ausschluss der Großen Stämme und ihrer Führer sowie der Libyschen Nationalen Volksbewegung (Libyan People’s National Movement) und den Stammesräten statt.
(Siehe auch: 05.09.)

23.09. Der österreichische Standard titelt: „Friedensgespräche für Libyen hängen in der Luft – rivalisierende Parteien ließen UN-Termin für Einigung verstreichen.“
Léon hätte gerne zur UN-Generalversammlung in New York eine Lösung des Libyens-Konflikts präsentiert, auch wenn es sich nur um eine Scheinlösung gehandelt hätte. Dies wäre in Anbetracht des Syrien-Kriegs für die USA und den Westen von Bedeutung gewesen. Denn jeder weiß, dass Syrien ohne Assad und staatliche Ordnung genauso zum „failed state“ werden würde wie es Libyen ohne Gaddafi geworden ist.

Eine besondere Rolle spielt weiterhin Armeechef General Khalifa Hefter. Er soll sogar die Bewegungsfreiheit von Regierungschef al-Thini eingeschränkt haben.

Bis Ende des Monats wurde nichts darüber bekannt, dass die „Konfliktparteien“ den „Friedensvertrag“ unterschrieben hätten.

27.09. Der aus Zuara stammende libysche Schlepperboss Maskhout soll mit acht seiner Leibwächter am Stadtrand von Tripolis von Bewaffneten getötet worden sein. Dieser Darstellung wurde im Internet widersprochen.
Es sollen italienische Spezialeinheiten in die Kommandoaktion verwickelt gewesen sein, was von Italien bestritten wird.

(Hinweis: Es können sich eventuell bei einzelnen Datumsangaben Verschiebungen von einigen Tagen ergeben.)

aus: dailymail.co.uk – independent.co.uk – german.irib.ir – zdf.heute.de – spiegel.de – tagesschau.de – libyanfreepress.wordpress.com – n-tv.de – sat1.de – neues-deutschland.de – libyaagainstsuperpowermedia.com – voltairenet.org – telepolis - foreignpolicy.com – de.sputniknews.com – heise.de/tp/ – welt-im-blick – derstandard.at – politik-im-spiegel - … und andere Quellen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden