Libyen: Schreiben gegen den Mainstream

Medien Wie darf man über Libyen informieren? Einige Kommentare zu dem Beitrag von Mohamed Al-Fatah haben mich nachdenklich gemacht...

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Mohamed Al-Fatah, ein Aktivist des Grünen Widerstands, hatte mich gewarnt: „Libya is a very hot issue and when you write about Lybia you will be bothered”. Er hatte mich vor Computerviren gewarnt und vor Belästigungen. Darauf war ich also gefasst. Doch wau, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet! Einige Kommentare zu dem Gastbeitrag von Al-Fatah versuchten, mich in die Nazi- und Antisemitismus-Ecke zu drängen. Das tat weh. Das war wirklich der allerletzte Platz, an dem ich mich verortet sehen wollte. Es war der Versuch, mir die Deutungshoheit über meinen eigenen politischen Standpunkt zu entziehen. Wie infam! Doch wie reagieren? Würde ich mich auf diese Diskussion einlassen, so hieße das, die Kommentatoren aufzuwerten und mich in eine Verteidigungsposition zu begeben. Von meinem eigentlichen Anliegen, eine Diskussion über die Vorgänge in Libyen anzuregen, würde dies nur ablenken. Das war wohl auch der Grund für die Kommentare: Es sollte nicht über Libyen diskutiert werden, sondern darüber, ob ich zur „braunen Sauce“ gehörte. Wer lanciert solche Kommentare?

Unsere Massenmedien werden nicht müde darüber zu lamentieren, wie stark in China das Internet zensiert wird. Doch auch bei uns stehe ich immer wieder vor der Merkwürdigkeit, dass kritische Videos oder Beiträge im Internet nicht mehr aufzufinden oder abzurufen sind. Verschiedene Initiativen sind inzwischen dazu übergegangen, als wichtig befundene Dokumentationen auf eigenen Seiten zu sichern. Wer sorgt dafür, dass unliebsame Beiträge und Videos aus dem Netz verschwinden?

Auch in Libyen wird – wie in jedem Krieg – der Kampf um die Herzen und Hirne mit Propaganda und Gegenpropaganda geführt. Doch ist in den westlichen Medien die Unterdrückung von Meinungen und Informationen, die dem Mainstream entgegenstehen, nirgendwo so gnadenlos und die Gegenpropaganda dermaßen dreist wie im Bezug auf den Libyen-Krieg. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Die Süddeutsche Zeitung erblödete sich nicht, in ihrem Magazin einen Artikel zu bringen, in dem Gaddafi unterstellt wurde, er hätte heimlich sexuelle Ambitionen bezüglich der betagten und nicht gerade durch ihre Attraktivität auffallenden Madeleine Albright, der ehemaligen US-Außenministerin. Oder die Schlagzeile, dass die Kampfkraft von Gaddafis Armee mit Viagra gestärkt würde. Diese Behauptung wurde Monate später zwar zurückgenommen, aber erst einmal hatte sie ihren Zweck erfüllt. Oder: Es sollte eine gegen Gaddafi gerichtete Massendemonstration auf dem Grünen Platz in Tripolis gezeigt werden, im Bild störte nur die indische Flagge. (https://www.youtube.com/watch?v=R_-lzI8I0_0). Dafür kam eine pro Gaddafi Großdemonstration nicht in die westlichen Medien, zu der – die Angaben schwanken zwischen ein und zwei – Millionen Libyer kamen. Und das bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von sechs Millionen Menschen. Diese Liste des krassen Versagens der westlichen Medien ließe sich beliebig verlängern. Es lässt sich daraus nur eine Schlussfolgerung ziehen: Die Medien wollen nicht wahrheitsgemäß informieren, denn sie sind eingebunden in die Propagandamaschinerie eines unrechtmäßigen Krieges! (Vgl. dazu den Bestseller von Udo Ulfkotte „Gekaufte Journalisten“) Und der Nato-Krieg gegen Libyen war unrechtmäßig. Die letzten drei Jahre wurden alle Gräuel, Schandtaten und Ungerechtigkeiten verheimlicht, ebenso wie die wahren Motive für diesen Krieg als da sind die Gier nach Rohstoffen und Geld sowie der Wunsch nach Vernichtung eines unbequemen Gegenspielers.

Vor dem Nato-Krieg wurde von einigen Seiten Kritik an Gaddafi geübt, sogar vom eigenen Sohn Saif Al-Islam. Sollte er die Nachfolge seines Vaters antreten, versprach man sich in der Folge eine Liberalisierung und Öffnung Libyens. Doch die Kritik von Seiten Saif Al-Islams war eine konstruktive, wie auch die Kritik anderer Libyer. Man wollte Veränderungen, die das Land verbessern sollten. Keinesfalls sollte diese Kritik einen Nato-Bombenkrieg auf Libyen rechtfertigen mit dem bekannten Potential an Tod, Vertreibung und Zerstörung mit anschließender Neokolonialisierung.

Wünschte der Westen überhaupt jemals eine Liberalisierung der Politik Gaddafis? War es nicht viel einfacher, medienkompatibel einen satanischen Gegner zu kreieren, um sich so zu jedem Zeitpunkt die moralische Legitimation für die erneute koloniale Eroberung Libyens zu verschaffen? Sollte Gaddafi weg, bevor sein Sohn Saif, bekannt für seinen Reformwillen, die Macht übernommen hätte? Wie hätte man es dann gerechtfertigt, in Libyen einzumarschieren, um an dessen Öl, Wasser, Geld und Militärstützpunkte zu kommen? Aufgrund des Öl-Reichtums Libyens wäre dessen Einfluss in der Welt, insbesondere in Afrika weiter gestiegen. Was, wenn sich die bis zum Krieg positive Zusammenarbeit mit China und Russland weiter verstärkt hätte?

Mithilfe der Massenmedien gelang es, Gaddafi zum absolut bösen Diktator hoch zu stilisieren. Kein gutes Haar durfte an ihm gelassen werden. Doch hätte sich Gaddafi ohne Rückhalt in der Bevölkerung über 40 Jahre an der Macht halten können? Ich meine nein. Und das System der Jamahirija (Herrschaft des Volkes)? Über seine Funktionsfähigkeit kann man diskutieren. Aber entspricht das US-amerikanische Zwei-Parteien-System – beide Parteien finanziert durch die Wallstreet-Hochfinanz – unserem europäischen Demokratieverständnis? Oder das Fehlen eines allgemeinen Krankenversicherungssystems unseren Vorstellungen von einem Sozialstaat? Gar nicht zu reden von den durch und durch verrotteten, vom Westen gehätschelten arabischen Monarchien, Sultanaten und Militärdiktaturen des Maghreb und der arabischen Halbinsel, die ihr Volk mit eiserner Faust regieren. Im Vergleich zu den anderen arabischen Systemen nahmen Gaddafi, sein sozialer Anspruch und seine Jamahirija durchaus einen vorderen Platz im „good governance“-Ranking ein. Vor allem als nach dem Wegfall der westlichen Sanktionen, als das Land aufblühte und sein Wohlstand sprunghaft anstieg (leider auch die Korruption, die sich aber dank Gaddafi noch in Grenzen hielt) und auch Reformen Platz griffen, die Zufriedenheit der Bevölkerung weiter anstieg.

Nebenbei bemerkt, wieso sollen Konkurrenz und Wettbewerb nur in der Wirtschaft gut sein? Ein Wettstreit der politischen Systeme, den jeweiligen kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst, macht unsere Welt vielgestaltiger. Wie können wir so vermessen sein, in der ganzen Welt unser sogenanntes westliches Wertesystem nicht nur mit missionarischem Eifer, sondern auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen? (Einmal vorausgesetzt, es wäre wirklich in diesem Krieg auch darum gegangen.) Die Jamahirija könnte aufgrund ihrer basisdemokratischen Vorstellungen, eingebettet in eine Stammesstruktur, und ihrer sozialen Leistungen in einem Wettstreit der Systeme durchaus bestehen.

Aber das darf nicht gesagt werden, auch wenn die simple Gleichung: Diktator ist gleich böse und muss weg, nicht immer aufgeht. Man sollte sich bei uns vor Vereinfachungen hüten, wenn man von den betreffenden Ländern nur wenig Ahnung hat und noch weniger Ahnung, welche Schrecken auf eine gestürzte Regierung folgen werden. In einem warmen Wohnzimmer, satt und bequem auf einem Sofa sitzend, lassen sich guten Gewissens leicht andere Völker in Krieg, Leid, Vertreibung und Tod hetzen. Man ist ja auf der Seite der „Guten“ und “Diktatoren“ müssen nun mal weg.

Auf unseren Individualreisen durch Libyen trafen wir auf eine stolze, selbstbewusste und freundlich-hilfsbereite Bevölkerung. Ich persönlich stand der Jamahirija und Gaddafi recht indifferent gegenüber, zu viel Personenkult, klar, aber doch auch Respekt für Gaddafis unbeugsamen politischen Weg und Anerkennung dessen, was er für sein Land geleistet hatte.

Als klar wurde, wohin der Weg der Nato geht, dass eine Invasion und Neokolonialisierung Libyens bevorstanden, wurde jedoch jede Kritik am System Gaddafi belanglos. Die meisten Libyer wollten nur noch ihr Land vor dem westlichen Aggressor verteidigen und so schlossen sich die Reihen um Gaddafi. Denn welcher Libyer kann diesen Krieg, der sein Land zerstört, gewollt haben, die vielen Toten, das große Leid, den Hass? Andere Länder wie die USA schaffen sich künstlich ihre Feinde, um von inneren Schwierigkeiten abzulenken. Die Kritik verstummt, das Volk hält zusammen. In Libyen existiert dieser äußere Feind real.

Ich wünsche den traumatisierten Menschen in ihrem kriegsverwüsteten Land, dass sie sich von ihren kolonialen Feinden befreien, selbstverwaltet und selbstbestimmt über ihr Land, deren Bodenschätze und Güter zum Wohle aller verfügen können. Und ich glaube, dass nur der Grüne Widerstand und die Großen Stämme, denen schweres Unrecht zugefügt wurde, eine Befreiung in diesem Sinne bewerkstelligen können. Für die weitere Zukunft hoffe ich, dass alle in Libyen lebenden Stämme und deren Menschen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Interessen und Wünsche wieder zu einem friedlichen Zusammenleben zurückfinden. Eine große Hilfe dabei wäre, die faire und offene Berichterstattung über die Vorgänge in diesem Land. Eine Wunschvorstellung, denn in Libyen geht es nicht um die dort lebenden Menschen, sondern: Es geht um Geld, um sehr viel Geld.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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