Libyen und die Monarchie

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SZ-online titelt am 2. Januar 2012, dass Gaddafi Anhänger bei Wahl zur Nationalversammlung nicht kandidieren dürfen

In Libyen hat der Nationale Sicherheitsrat den 24. Dezember wieder als Feiertag eingesetzt und erstmals seit vierzig Jahren fanden zu diesem Anlass öffentliche Festveranstaltungen statt. An diesem Tag wird der Entlassung Libyens in die Unabhängigkeit im Jahre 1951 gedacht. Unter Gaddafi war dieser Feiertag verboten, weil an diesem 24. Dezember 1951 auch die Einsetzung von Idris als libyschem König erfolgte. Gaddafi feierte dafür den 1. September als Tag der Revolution, der nun seinerseits vom Sicherheitsrat nicht mehr begangen wird.

Auch die offizielle Flagge Libyens hat sich geändert. Die grüne Nationalflagge Gaddafis wurde abgeschafft, im Gegenzug wurde aber kein neues Emblem geschaffen, sondern der Sicherheitsrat ist wieder zu der Flagge der Monarchie in Rot-Schwarz-Grün mit Halbmond und Stern zurückgekehrt. Um diese äußerst symbolträchtigen Handlungen richtig einordnen zu können, ist ein Rückblick in die Geschichte Libyens unumgänglich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Siegermächte über die zukünftige politische Gestaltung Libyens, der ehemaligen italienischen Kolonie, nicht einigen. Die Vorschläge reichten von einer sofortigen Entlassung in die Unabhängigkeit über eine Rückgabe an Italien bis zu einer Aufteilung zwischen der Sowjetunion, Frankreich und England. Daher sollte die UNO-Generalversammlung über Libyens Zukunft entscheiden. 1949 war geplant, dass die UNO das Mandat für Libyen übernehme. Es wurde zur Abstimmung gestellt, das Land unter der Verwaltung von England, Frankreich und Italien in drei Teile aufzuteilen, um es nach zehn Jahren in die Unabhängigkeit zu entlassen. Doch das kleine Haiti machte einen Strich durch diese Rechnung: Es stimmte bei der UN-Generalversammlung entgegen vorheriger Absprachen nicht für diesen Plan und so fehlte genau eine Stimme zur erforderlichen Zweidrittelmehrheit.

Als Konsequenz aus dieser Abstimmungsniederlage beschloss die UNO, dass Tripolitanien, die Kyrenaika und der Fessan unter dem Namen Libyen einen unabhängigen und souveränen Staat bilden sollen. Zwischen diesen drei Regionen herrschten aber sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der neue Staat zu gestalten sei. Knapp zwei Drittel der Einwohner waren Tripolitaner, knapp ein Drittel bewohnten die Kyrenaika und der Rest bevölkerte den Fessan. Während die Tripolitaner eine republikanische Ordnung mit mehreren Parteienbevorzugten, die ihnen ihrer Bevölkerungsmehrheit entsprechend mehr Einfluss versprach, präferierten die Kyrenaika und der Fessan die Monarchie. Den Thron sollte Idris al-Senussi erhalten, Emir der Kyrenaika und gleichzeitig Oberhaupt des Senussi-Ordens.

So wurde Libyen zum föderalen Königreich unter weitestgehender Ausschaltung der Stämme Tripolitaniens. Nach nur zwei Monaten Herrschaft ließ Idris I. alle politischen Parteien auflösen und schnell wurde klar, dass der neue König eine Marionette des Westens war. Er stellte den USA und Großbritannien Militärstützpunkte zur Verfügung, die diese auch während der Suez-Krise 1956 und im Sechs-Tage-Krieg nutzten, was zu schweren Unruhen im ganzen Land führte. Der libysche Dichter al-Koni beschreibt in seinen Werken, wie die fremden Soldaten in die Berge zogen und auf alles schossen, dessen sie habhaft werden konnten. Seit dieser Zeit sind Gazellen und Steinböcke in dieser Region nahezu ausgerottet.

Als 1959 Öl in der libyschen Wüste entdeckt wurde, ließ Idris die Aufteilung des Territoriums unter den großen Ölkonzernen zu, wobei Libyen nur einen geringfügigen Anteil an den Öleinnahmen abbekam, der seinerseits fast ausschließlich an die privilegierte Oberschicht der Kyrenaika verteilt wurde.

Aus sehr einfachen Verhältnissen stammend hatte es der in Tripolitanien beheimatete Gaddafi unter großen Entbehrungen zu einem Schulabschluss und zur Aufnahme in die Militärakademie gebracht. Er war begeistert von den Ideen des Ägypters Nassers und dessen Panarabismus. 1969 kam der erst 27-jährige zum Armeeoberst aufgestiegene Gaddafi mit seinem Bund der freien Offiziere durch einen unblutigen Staatsstreich an die Macht und beendete mit der Losung „Freiheit, Sozialismus und Einigkeit“ nach siebzehn Jahren die Zeit der libyschen Monarchie.

Zu diesem Zeitpunkt war Libyen ein bitterarmes und rückständiges Land mit nicht einmal einer Million Einwohner, von denen nur fünf Prozent des Lesens und Schreibens mächtig waren. Gaddafi führte das Land über vierzig Jahre, nahm selbst keine offiziellen Ämter ein und versuchte, die Macht in Form basisdemokratischer Strukturen an die Stämme abzugeben und gleichzeitig Libyen als Staat zusammenzuhalten. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass sich auch in seinem Clan Günstlingswirtschaft und Korruption verbreiteten, umso mehr als in Folge der Aufhebung des Embargos gegen Libyen ein Investitionsboom einsetzte.

Der Versuch, Gaddafi-Anhänger bei der für Juni geplanten Wahlen zur Verfassung gebenden Nationalversammlung auszuschließen, kann nur zu einer weiteren Spaltung des Landes führen. Bereits jetzt werden über einen ägyptischen Satellitensender Gaddafi-Reden in Libyen ausgestrahlt.

Wenn man bedenkt, dass zu Beginn des Aufstands bei Demonstrationen in Bengasi Porträts von König Idris hochgehalten wurden, dass heute wieder die monarchische Flagge über Tripolis weht und es auch im Westen Gedankenspiele gibt, erneut die Monarchie in Libyen einzusetzen, man sich aber gleichzeitig die Geschichte Libyens vor Augen führt, wird verständlich, warum die Bevölkerung Tripolitaniens sich mit allen Kräften gegen ein Vorwärts in die Vergangenheit stemmen wird.

Wie wird es weitergehen? Da für den Westen nach dem Fall Mubaraks Ägypten ein unsicherer Kantonist ist, wären neuerliche Militärbasen des Westens in Libyen äußerst erstrebenswert ebenso wie die Kontrolle über Öl und Bodenschätze in der libyschen Sahara. Eine Monarchie mit einem Bengasi-König, der dem Westen den Fall Gaddafis und die eigene Inthronisierung zu verdanken hat, wäre da eine sichere Sache. Dies würde auch Katar und den Saudis zusagen: Endlich wäre man wieder unter sich Emiren. Auch die Islamisten, denen beim Kampf gegen Gaddafi eine entscheidende Rolle zufiel, könnten sich wohl mit einem König arrangieren. Es gibt in der Senussi-Dynastie zwei Thronanwärter, Idris al-Senussi und Muhammad al-Sanussi, die beide schon ihre Bereitschaft zusagten, „im Dienste des libyschen Volkes zu stehen“.

Doch gegen diesen Rollback der Geschichte werden sich die meisten Tripolitaner verständlicherweise mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Es ist zu befürchten, dass die Situation in einem Bürgerkrieg eskalieren wird, der in einen neuen, von rivalisierenden Stämmen beherrschten „failed state“ an der Schwelle Europas münden dürfte. Echte demokratische Wahlen, die voraussichtlich eine tripolitanische Bevölkerungsmehrheit für sich entscheiden würde, sind unter diesen Umständen das unwahrscheinlichste Szenario.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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