Marsch auf Tripolis

Libyen. Die Libysche Nationalarmee (LNA) unter General Hafter stößt auf die Hauptstadt vor. Die ‚Einheitsregierung‘ versetzt ihre Milizen in Alarmbereitschaft.

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Ostlibysche LNA-Einheiten unter Führung von General Khalifa Hafter marschieren in Richtung Westen. Am Donnerstagabend bezog die LNA an einer Straßensperre 27 Kilometer vor Tripolis Stellung. Der Kontrollposten war ohne Gefechte eingenommen worden. Auch Tripolis soll weitgehend friedlich übernommen werden.

Der militärische LNA-Vorstoß fällt zeitlich mit der Ankunft des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres in Tripolis zusammen, der dort Vorbereitungen für die geplante Abhaltung eines Nationalkongresses Mitte April in Ghadames treffen will. Der UN-Sicherheitsrat in New York wird heute hinter verschlossenen Türen zusammenkommen, um über die Situation in Libyen zu beraten.

Aus der Ölstadt Ras Lanuf (im Golf von Sirte) wurden Panzer- und Truppenbewegungen in Richtung Westen gemeldet und auf LNA-nahen Webseiten Bilder von Militärkonvois der LNA veröffentlicht. Am Donnerstag rückten LNA-Truppen in die 100 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Stadt Gharian ein. Wie der Pressesprecher der LNA mitteilte, gilt der Vormarsch der Bekämpfung im Westen noch vorhandener ‚Terrorgruppen‘. Es hieß, man wolle Tripolis nicht um irgendwelcher Posten willen, oder aus Macht- und Geldgier erobern, sondern weil die Hauptstadt für die Würde und das Ansehen des ganzen Landes stehe.

In Tripolis hat die sogenannte ‚Einheitsregierung‘ unter Fajes as-Sarradsch, die von einer ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannt ist, alle Militär- und Sicherheitskräfte in den Alarmzustand versetzt. Die ‚Einheitsregierung‘ wurde im Dezember 2015 vom Westen installiert und betreibt seither in altbekannter Kolonialmanie den Ausverkauf des Landes. Sie hatte nie Rückhalt innerhalb der libyschen Bevölkerung bzw. der libyschen Stämme und konnte sich ihre Sicherheit nur mit viel Geld von dschihadistische Milizen erkaufen.

2014 brach in Tripolis ein Bürgerkrieg aus, da die Dschihadisten den Sieg der säkularen Kräfte bei den Parlamentswahlen nicht anerkannten und nicht bereit waren, die Macht abzugeben. Daraufhin startete General Hafter in Tripolis mit seinen Militärkräften die „Operation Würde“, die sich gegen die Dschihadisten richtete, deren Milizen sich unter dem Namen libyscher „Fadschr“ (Libysche Morgenröte) zusammengeschlossen hatten. Bei den Kämpfen wurden große Teile der Infrastruktur wie der internationale Flughafen von Tripolis zerstört und immense Umweltschäden angerichtet. Allerdings unterlag Hafter und zog sich ebenso wie das gewählte Parlament und die Regierung in den Osten des Landes zurück. Die dschihadistischen Kräfte installierten in Tripolis eine eigene Regierung, das Land war quasi gespalten. Die UN, die USA sowie die EU unterstützten nun aber nicht die säkularen Kräfte, die nach gewonnenen Wahlen vor der Gewalt der Dschihadisten in den Osten geflüchtet waren, sondern sie unterstützten die Moslembrüder und andere islamistische Kräfte im Westen Libyens, die ihrerseits gute Beziehungen zu al-Kaida pflegten, und aus deren Reihen sich später der eingesetzte Präsidialrat und die ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch rekrutierte. Unterstützer der Dschihadisten sind auch die Türkei und Katar.

Eine Ausnahme innerhalb der EU bildete Frankreich, das General Hafter und die LNA im Osten des Landes unterstützte. Die LNA bekam auch Unterstützung von Ägypten, aus genereller Abneigung der as-Sisi-Regierung gegen die Moslembrüder und der langen gemeinsamen Grenze, sowie von den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Russland legte stets Wert auf die Feststellung, dass es mit allen Seiten verhandle und wurde nun auch von der Ostregierung in Tobruk dazu aufgefordert, auf friedlichem Wege in seiner Vermittlerrolle aktiv zu werden. Die internationale Gemeinschaft wurde gewarnt, Libyen keine Lösung aufzuzwingen, welche die Bevölkerung nicht wolle.

Die LNA soll insgesamt 85.000 Soldaten unter ihrem Kommando haben und über 3.500 Elitesoldaten verfügen. Sie hat auch ihre Luftwaffenbasis in Zentrallibyen verstärkt und ließ auf ihrer Website verlauten, sie zähle auf die Unterstützung von Gruppen innerhalb Tripolis und in den Vororten der Hauptstadt. Die LNA hat den Libyschen Ölhalbmond unter ihrer Kontrolle ebenso wie weite Teile von Südlibyen mit dem wichtigen al-Sharara-Ölfeld sowie das El-Feel-Ölfeld die Stadt Mursuk und im Südwesten.

Für die ‚Einheitsregierung‘ und Sarradsch wird es mehr als eng. Denn auch die Stämme im Westen der Hauptstadt und die Bevölkerung in vielen Stadtteilen von Tripolis dürften sich auf die Seite der LNA stellen, schon allein gezwungen durch die dort herrschenden, entsetzlichen Lebensbedingungen. Die Stadt Zinten im Westen Tripolis‘ in den Bergen gelegen, hat der LNA ihre Unterstützung zugesagt, obwohl ihre Milizen eigentlich der ‚Einheitsregierung‘ unterstehen. Und die LNA hat die volle Kontrolle über den Militärstützpunkt al-Wattiyah, auch im Westen von Tripolis gelegen. Eine weitere machtvolle Stadt in den Bergen namens Rudschban und die kleine Stadt Sorman, 60 km westlich von Tripolis, haben der LNA ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt.

Die Stadt Misrata, bis vor kurzem fest an der Seite der Dschihadisten, ist in ihrer Meinung gespalten und wartet vorsichtig ab. Misrata-Milizen haben noch die ehemalige Dschamahirija-Hochburg und zwischenzeitlich vom IS besetzte Stadt Sirte unter ihrer Kontrolle. Sollte es dort zu Scharmützeln mit der LNA kommen, wären sie nicht in der Lage (und vielleicht auch nicht Willens), Sarradsch zu Hilfe zu eilen. Wie viele Milizen in der Hauptstadt selbst tatsächlich bereit sind, sich für eine ‚Einheitsregierung‘, die keine ‚Einheitsregierung‘, sondern immer eine Spaltregierung war, und für die das Ende gekommen scheint, verheizen zu lassen, bleibt fraglich.

Eine Gruppe in der strategisch wichtigen Küstenstadt Al-Khoms, die zwischen Misrata und Tripolis liegt, hat diese Woche ebenfalls ihre Unterstützung für die LNA erklärt. Al-Kohoms hat die Kontrolle über einen wichtigen Kontrollpunkt an der Küstenautobahn auf dem Weg von Misrata nach Tripolis.

Von der Stadt Bani Walid heißt es, sie sei für außerterritoriale Milizen eine ‚no go area‘, weitgehend unabhängig und ungebrochen Dschamahirija-treu. Hier weht wieder bzw. immer noch die grüne Dschamahirija-Flagge der Gaddafi-Zeit. Die Stadt ist den Misrata-Kräften, die für die brutale Ermordung Muammar al-Gaddafis und seine leichenschänderische Zurschaustellung verantwortlich war, in Feindschaft und tiefem Misstrauen verbunden.

Das Bild Libyens zeigt heute ein starkes und umfassendes Netzwerk großer und kleiner Stämme, das außerhalb der offiziellen Politik aufgebaut wurde. Das Netz ist bereit, zugezogen zu werden.

An einem geheimen Ort in Tripolis dürften die Fluchthubschrauber bereitstehen, auch wenn General Hafter ankündigte: „Wer die weiße Flagge hisst, dem passiert nichts“.

https://www.middleeastmonitor.com/20190405-haftar-moves-his-forces-towards-tripoli-and-the-government-of-national-accord-announces-general-alert/

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/libyen-rebellen-tripolis-chalifa-haftar-fajis-al-sarradsch

https://www.middleeasteye.net/news/hoping-peace-preparing-war-libya-brink-tripoli-showdown

https://deutsch.rt.com/international/86799-libyscher-politiker-zu-russlands-vermittlerpotenzial-fordern-putin-auf-einzugreifen/?utm_source=browser&utm_medium=aplication_firefox&utm_campaign=firefox

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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