Ministerpräsident Al-Thani (Tobruk) zur Lage

Libyen/Bengasi. Abdullah al-Thani unter anderen zu den Themen: LNA, Haftar, Milizen in Tripolis, Waffenstillstand, Wahlen, Demokratie, Migranten, Zusammenarbeitt mit Italien und EU

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SpezialeLibia brachte am 19. Mai ein Interview mit dem Übergangspremierminister Abdullah al-Thani (Tobruk) unter dem Titel: "Die Zeit der Diktatoren ist vorbei. Hafter wird das Land vereinen."


Auf die Frage der Journalistin Vanessa Tomassini, ob im Osten Libyens eine Diktatur herrsche, antwortete al-Thani: "Die Zeit der Diktatoren ist vorbei. Jeder, der in Libyen Präsident werden möchte, benötigt die Zustimmung der Libyer. Niemand wird ohne Wahlen an die Macht kommen. Feldmarschall Khalifa Haftar arbeitet an der Wiedervereinigung Libyens, danach werden von denjenigen, die das Land führen, Wahlen durchgeführt. Wer immer das sein mag, auch wenn die Libyer Gaddafis Sohn wählen, wird die Wahl anerkannt werden. Das ist Demokratie."

Al-Thani betont sein gutes Verhältnis zu Haftar. Beide hätten in der Armee gedient. Er kenne Haftar seit 1996. Es wäre eine große Leistung der Übergangsregierung gewesen, wieder eine Armee aufzubauen. Seit 2014 sei viel Geld von der Übergangsregierung für die Armee und die Besoldung der Soldaten ausgegeben worden. Der Verteidigungsminister, zu dem die Libysche Nationalarmee gehört, sei Teil der Übergangsregierung.

Der Marsch auf Tripolis sei zwischen Hafter und ihm abgesprochen gewesen. Es handle sich dabei um eine Operation zur Wiedervereinigung des Landes. Es soll nicht gegen das eigene Volk gekämpft werden, sondern die Milizen sollen ausgeschaltet werden. Ein Vergleich zwischen Tripolis und der östlichen Region zeige: "Wir haben keine Gefängnisse für politische Gegenspieler, Milizen auf der Straße sind nicht erlaubt, dagegen gibt es Polizei, eine Gerichtspolizei und die offizielle Armee. Die Situation ist eine völlig andere. Tripolis kann nicht die Hauptstadt Libyens sein, wenn es von Milizen wie Kara und Gnewa kontrolliert wird. Das ist unmöglich!"

Es sei auch die wichtigste Bedingung des Skhirat-Abkommens gewesen, dass die von Italien unterstützte 'Einheitsregierung' die Milizen ausschaltet. Stattdesssen seien in den letzten drei Jahren, seit 2016, die Milizen immer stärker geworden. Dies bedeute, die 'Einheitsregierung' konnte ihre Ziele nicht erreichen.

Im Gegensatz dazu habe die Übergangsregierung (Tobruk) ein ausgezeichnetes Verhältnis zum Parlament, weil sie dessen Vertrauen genieße. Es gebe zu einigen Punkten verschiedene Meinungen, weil die Regierung die Exekutive und nicht die Legislative verkörpert. Die Regierung respektiere den Parlamentspräsidenten Aguila Salah, mit dem es in einem ständigen Austausch sei.

Nur mit einigen Abgeordneten sei im Gegensatz zur großen Mehrheit eine Arbeit nicht möglich.

Gefragt nach einem Waffenstillstand antwortet al-Thani: "Waffenstillstand mit wem? Mit den Milizen? Mit dem IS? Seit 2011 sind fast zehn Jahre vergangen und das Land verfällt immer mehr. Die Infrastruktur ist zerstört, alle Projekte wurden eingestellt, es gibt kein Bargeld in den Banken, die Stromleitungen sind kaputt. [...] Es sind Libyer, die sterben und es tut uns leid, all dies ist sehr schmerzlich. Manchmal sind wir zu Operationen gezwungen, die schmerzhaft aber notwendig sind. Es gibt keinen anderen Weg als die Milizen zu bekämpfen. [...] Mr. Fayez al-Sarradsch, der Premierminister der 'Einheitsregierung', hat als Bedingung für einen Waffenstillstand den Rückzug der Armee auf ihre Ausgangsposition gestellt. Das ist für uns unannehmbar. Ein Waffenstillstand wäre vielleicht möglich, wenn jeder in seiner jetzigen Stellung bliebe. Aber die Milizen müssen ihre Waffen an die Armee abgeben. Glaubt die italienische Ölgesellschaft in Mellita, dass es besser ist, wenn die Milizen bleiben? [...] Das Hauptinteresse Italiens besteht, dass weiterhin Öl und Gas exportiert wird. Aber das muss von einer vereinten Regierung gemanagt werden. Es ist die größte Gefahr für Italien, wenn die Milizen in Tripolis bleiben und es keine vereinte Regierung gibt. Man muss darauf hinarbeiten, Libyen sicherer und stabiler zu machen, es müssen die Gesetze gelten, nicht zuletzt müssen unsere südlichen Grenzen geschützt werden."

Auf die Frage, warum die 'internationale Gemeinschaft' die Sarradsch-Regierung unterstützt, meint al-Thani, Sarradsch sei weder vom libyschen Volk gewählt, noch vom Parlament anerkannt worden.

Er sei von Bernardino Léon, damaliger UN-Sondergesandter für Libyen, zu dessen eigenem Vorteil eingesetzt worden. Die internationale Gemeinschaft und die anderen Länder scheren sich nur um ihre eigenen Interessen und zwingen jeden, dass er ihnen zu Vorteilen verhilft. "Die Welt akzeptiert niemanden, der für seine Würde handelt oder die Würde seines Landes, sondern nur diejenigen, die ihre Forderungen komplett erfüllen."


Auf die Feststellung, dass Sarradsch mit libyschen Geldern Milizen, Terroristen, Kriminelle und Söldner finanziert, antwortet al-Thani: "Er will im Amt bleiben und dafür tut er alles. Wenn Sarradsch die Milizen nicht mehr bezahlt, kann er sich keine 24 Stunden in Tripolis halten. Das weiß jeder." Es habe in Abu Dhabi (VAE) eine Absprache gegeben, die besagte, dass die Armee friedlich in Tripolis einmarschiert, dass dann eine neue Exekutive gebildet wird, dass Wahlen vorbereitet werden und dass es in Libyen einen Neubeginn geben soll. Es hätte zwei Treffen geben sollen. Beim ersten sei man zu einer mündlichen Vereinbarung gekommen, die jeder mit seinen Leuten diskutieren sollte. Aber als Sarradsch nach Tripolis zurückgekehrt war, lehnten die Milizen, die zur Moslembruderschaft gehörten, die Vereinbarung ab.


Al-Thani weist noch einmal darauf hin, dass die islamistischen Parteien und die Moslembruderschaft lange an der Zerstörung der Armee gearbeitet haben. Die erste Entscheidung von Osama al-Dschuwaili als Verteidigungsminister und Yousef Mangoush als Stabschefs sei es gewesen, das 32. Battalion und die Verteidigungsstreitkräfte von Gaddafi ebenso wie die Sicherheitsorgane aufzulösen, Vorbild war der Irak 2003. Es wurde das 4. Batallion aufgelöst und eine neue Dorhua-Miliz gebildet. Mit den Polizeikräften sei genauso verfahren und Parallelinstitutionen geschaffen worden. Der Hauptverdächtige für die Ermordung von Abdel Fatah Junis, Hauptmann der bewaffneten libyschen Streitkräfte, am 28. September 2011, sei Ali al-Issawi, heute Wirtschaftsminister der 'Einheitsregierung'.
Von Anfang an seien die Armee, die Polizei und die Sicherheitskräfte ausgeschaltet worden, um das Land ins Chaos zu stürzen und so die Macht übernehmen zu können. "Das Hauptziel unserer Regierung ist nicht die Machtübernahme, sondern die Einsetzung einer legitimierten und gewählten Körperschaft." Der Krieg in Bengasi und Derna sei beendet worden, die Sicherheit in den Städten der östlichen Region wieder hergestellt. "Wir konzentrieren uns auf die Aufrechterhaltung und den Bau von Schulen und auf das Gesundheitssystem." Das Wasser und Abwassersystem ist repariert und an den Stromnetzen wird gearbeitet. Man bemühe sich im Gegensatz zu Tripolis um Lebensmittelimporte, die auch in den Osten und Süden des Landes gebracht werden. Alle Gehälter würden an die Angestellten ausbezahlt, während die Tripolis-Regierung nur die Gehälter von Januar und Februar bezahlt habe, obwohl dort die ganzen Öleinnahmen hingehen. Dort flössen die Gelder an die Milizen.

Auf die Frage, wie das Migrationsproblem gelöst werden soll, meint al-Thani, dies sei kein ursprüngliches Problem Ostlibyens. Man sei ernsthaft bemüht, gesetzeskonform mit illegaler Migration umzugehen. Diejenigen, die in den Schmuggel verstrickt wären, müssten strenger bestraft werden. Es müsse die libysche Regierung unterstützt werden, die das Problem tatsächlich lösen könne. Italien und die EU sollten Projekte erstellen und finanzieren, die in den Herkunftsländern Jobs schaffen. Die Migranten kämen nach Europa, weil sie Arbeit suchten. Die Europäer sollten in afrikanischen Ländern investieren, um dort die Lebensbedingungen zu verbessern. Ansonsten gebe es in 20, 30 Jahren in Italien keine Italiener mehr, sondern nur noch Afrikaner. Man wolle mit Italien und der EU auf allen Gebieten zusammenarbeiten, speziell in der Kontrolle der südlichen Region. Dies wäre zum Vorteil aller. Wenn Italien ernsthaft an einer Zusammenarbeit interessiert ist, könne man Projekte entwickeln, um die illegale Migration zu beenden und die Grenzen mit moderner Technik zu schützen. Die Libyer seien für alles offen. "Die Armee ist im Süden und im Osten präsent, nur der Westen unterliegt noch nicht ihrer Kontrolle. Die Europäer bemerken bereits, dass weniger Migranten aus Südlibyen kommen."

https://specialelibia.it/2019/05/19/esclusiva-primo-ministro-al-thani-il-tempo-per-i-dittatori-e-passato-haftar-sta-unificando-il-paese/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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