Nationalkonferenz von UN abgesagt

Libyen. Obwohl Ghadames erklärte, die Konferenz abhalten zu können und auch die LNA ihre Bereitschaft zur Teilnahme erklärte, hat die UN die Konferenz abgesagt.

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Die neuesten Entwicklungen

Bereits am Montag besprachen sich der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘, Fajiz as-Sarradsch, und der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, in Tripolis über das weitere Vorgehen, während die Libysche Nationalarmee (LNA) unter General Hafter strategisch wichtige Stellen rund um die Hauptstadt Tripolis besetzte und die Tripolis- und Misrata-Milizen ihre Gegenoffensive unter dem Namen „Vulkan des Zorns“ starteten.

Die Kämpfe in den südlichen Vororten halten an. Es soll zwischenzeitlich mindestens 47 Tote und über 180 Verwundete geben, darunter neun Zivilisten. UN-Kräfte haben hunderte von Flüchtlingen aus einem Migrantenlager im Süden der Hauptstadt in Sicherheit gebracht.

Die libysche Armee (LNA) gab bekannt, dass sie das Militärlager der Vierten Brigade in Azizija nach heftigen Kämpfen eingenommen und dazugehörige Ausrüstungsgegenstände und Fahrzeuge beschlagnahmt habe. Reste der Miliz seien geflohen. Die Kontrolle über das Militärlager Yarmouk südlich von Tripoli sei von der LNA vorher schon erlangt worden. Außerdem gab die LNA an, das Ruweimi-Gefängnis zu kontrollieren sowie Stellungen in bis zu elf Kilometer Entfernung vom Zentrum eingenommen zu haben. Es wurde das 102. Infanteriebataillon mit sowohl leichten als auch schweren Waffen in Stellung gebracht.

Im Zentrum von Tripolis sind weder Militär- noch Sicherheitsfahrzeuge oder Soldaten auf den Straßen zu sehen. Abends schließen Geschäfte und Cafés früher als üblich.

Die Luftwaffe der ‚Einheitsregierung‘ hat Angriffe auf Stellungen der LNA in der Region Sukh al-Ahad (40 Kilometer von Tripolis) geflogen. In al-Azizija südlich von Tripolis und Ayn Zara soll erneut gekämpft werden.

Nachdem die ‚Einheitsregierung‘ den Flugzeugangriff auf den Militärflughafen Mitiga (ehemaliger amerikanische Wheelus-Stützpunkt), der seit der Zerstörung des internationalen Flughafens 2014 durch Misrata-Milizen der einzige in Betrieb befindliche Flughafen Tripolis ist, als ‚Kriegsverbrechen‘ verurteilte, wurden Fotos veröffentlicht, die zeigen, dass sich auf dem Flughafengelände zwei Chinook CH-47-Militärhubschrauber befanden, die jetzt durch Schrapnelle beschädigt sind. Zivile Infrastruktur des Flughafens wurde bei dem LNA-Einsatz nicht beschädigt.

Laut al-Jazeera hat die ‚Einheitsregierung‘ die Staatsanwaltschaft angewiesen, Haftbefehle gegen General Hafter und alle an der Militäraktion Beteiligten zu erlassen.

Agila Saleh, Parlamentspräsident im Osten Libyens sagte, die LNA kontrolliert nun fast 90 Prozent Libyens.

Der ägyptische Parlamentspräsident Ali Abdel-Aal hat am Dienstag bei einem Treffen mit dem libyschen Parlamentspräsidenten Agila Saleh in Kairo gefordert, dass in Libyen keine Einmischung von außen erfolgen dürfe und eine friedliche Einigung zum Wiederaufbau des vom Krieg gezeichneten Landes erzielt werden müsse.

Im Süden Libyens bekannte sich der IS zu einem Angriff auf die Stadt Fuqaha (im Gebiet von al-Dschufra, das unter der Kontrolle der LNA ist). Drei Menschen wurden getötet und einer entführt. Der Sprecher der LNA warnte bereits, dass Sarradsch eine Vereinbarung mit „Terroristen“ getroffen habe. Sie sollen Anschläge auf den Ölhalbmond (Golf von Sirte) verüben, um die Tripolis-Milizen zu entlasten.[1]

General Khalifa Hafter

Der 76-jährige Khalifa Hafter gehörte einst der libyschen Armee an und war Befehlshaber im libysch-tschadischen Grenzkrieg, wandte sich aber, als sich der Sieg des Tschad abzeichnete, von Gaddafi ab und der CIA zu. Die USA flogen Hafter aus und der General bezog Quartier in nächster Nähe von Langley/Virginia, dem Sitz der CIA. 2011 wurde er wieder nach Libyen eingeflogen, um sich am Sturz Gaddafis zu beteiligen. Als die Dschihadisten und Moslembrüder 2014 nach verlorenen Wahlen ihre Macht nicht aufgeben wollten, sondern ein Gegenparlament installierten, begann Hafter in Tripolis die militärische Operation „Würde“ (Dignity). In dem darauffolgenden Bürgerkrieg gegen den islamistischen Milizenzusammenschluss unter dem Namen „Libyan Dawn“ (Fadschr) konnte sich Hafter nicht durchsetzen. Das gewählte Parlament, die Regierung und die Streitkräfte der Operation Würde verließen aus Sicherheitsgründen Tripolis und gingen in den Osten des Landes. Dort baute Hafter die Libysche Nationalarmee (LNA) auf und wurde vom Parlament zum Oberbefehlshaber und Generalfeldmarschall ernannt. Es folgte ein langer und blutiger Kampf gegen die al-Kaida nahestehenden Dschihadisten-Milizen in Bengasi und zuletzt in der Dschihadisten-Hochburg Derna, der erst vor wenigen Monaten siegreich beendet werden konnte. Hafter konnte sich auch die Kontrolle über Libyens wichtigste Ölverladeterminals im Golf von Sirte sichern. Vor kurzem zog der General mit der LNA in den Süden und Südwesten, wo er auf friedlichem Weg auch die Kontrolle über die wichtigsten Erdölfelder übernehmen konnte. Vor wenigen Tagen startete er den Marsch auf Tripolis, um auch die Hauptstadt „aus der Hand von Terroristen zu befreien“.

Das Parlament und die Regierung im Osten

Im Osten war neben dem gewählten Parlament ebenfalls eine Regierung im Amt, die sich heute als Übergangsregierung bezeichnet, weil zwischenzeitlich ihr durch demokratische Wahlen erlangtes Mandat ausgelaufen ist.

Die Regierungen in Tripolis

In Tripolis hatte sich zunächst eine islamistische Regierung bestehend in erster Linie aus Moslembrüdern installiert, die von dschihadistischen Milizen in Tripolis und von starken Milizen der Küstenstadt Misrata unterstützt wurde. Im Jahr 2015 brachte die internationale Gemeinschaft in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Fajes as-Sarradsch nach Tripolis und proklamierte später eine sogenannte ‚Einheitsregierung‘, die nie vom Parlament bestätigt, dafür aber sofort von einer ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannt wurde, obwohl sie völlig machtlos und von teils kriminellen, teils islamistischen Milizen abhängig war.

Daneben gab es in Tripolis noch eine Art dritte Regierung, die aus Moslembrüdern bestand, die sich von der Sarradsch-Regierung ebenfalls ausgebootet fühlten.

Die Tripolis-Milizen

Über „das Milizenkartell von Tripolis“ schrieb Wolfram Lacher im Mai 2018: Es sei „zu einer bloßen Fassade verkommen, hinter der die bewaffneten Gruppen und der mit ihnen assoziierte Klüngel das Sagen“ hatten. Faktisch herrsche in der Hauptstadt seither ein Geflecht schwer bewaffneter mafiöser Netzwerke, „die in Politik, Wirtschaft und Verwaltung operieren“ – ein Zustand, der bereits Ende 2017 zu Bestrebungen von der Macht ferngehaltener Kräfte führte, die Einheitsregierung zu stürzen. Lacher warnte: „Westliche Regierungen und die VN sind für die Lage in Tripolis mitverantwortlich.“ Die Zuspitzung der Spannungen erfordere dringend eine Richtungskorrektur.[2]

Die Spaltung des Landes

Insgesamt wurde das Land mit Wissen und Wollen der agierenden Westmächte und ihrer Verbündeten in einen West- und Ostteil mit rivalisierenden Regierungen und Institutionen sowie unterschiedlichen ausländischen Unterstützern gespalten. Dies geschah gegen den Willen und die Interessen des libyschen Volkes, das weiß, dass nur eine vereinte, starke Regierung für einen Ausgleich und die gerechte Verteilung des Ölreichtums in den drei Landesteilen Kyrenaika, Tripolitanien und Fessan sorgen kann. Eine von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ angestrebte Teilung des Landes wären gleichbedeutend mit dessen Zerfall und Schwächung und käme einzig den ausländischen Akteuren zugute.

Frankreich und Italien

Zwischen Frankreich und Italien, die in Libyen um Einflusssphären konkurrieren, kochen angesichts der momentanen Lage die Konflikte hoch. Italien warf Frankreich vor, dass Sarkozy 2011 aus Eigeninteressen den Krieg gegen Libyen führte und jetzt Hafter unterstützt, um Italien in Libyen zu verdrängen, während Italien, das die ‚Einheitsregierung‘ unterstützt, das Migrantenproblem am Hals hat.

Italien ist das im Westen von den gegenwärtigen Geschehnissen am stärksten betroffene Land. ENI, Europas größter in Libyen tätiger Energiekonzern, hat seine Mitarbeiter von den Ölfeldern al-Wafa und el-Feel sowie aus der Hauptstadt ebenso abgezogen wie sein diplomatisches Personal. Die Terrorismusgefahr könnte ebenso wie die Anzahl von Flüchtlingen drastisch steigen, wenn die von Italien finanzierten Milizen und die sogenannte Küstenwache ihre Arbeit einstellen.

Die arabischen Staaten und die Türkei

Doch nicht nur der Westen mischt in Libyen mit, auch die islamischen Staaten tragen ihre Rivalitäten in Libyen aus und versuchen, sich ihre Einflusssphären zu sichern. Die Türkei und Katar auf Seiten der ‚Einheitsregierung‘ und ihrer islamistischen Milizen, Ägypten und die VAE (die sogar einen Luftstützpunkt in Al Khadim betreiben) auf Seiten von General Hafter und der LNA. Saudi Arabien, enger Verbündeter der USA, neigt jetzt wohl auch mehr Hafter und der LNA zu. Hafter hat erst vor wenigen Tagen noch einen Pflichtbesuch in Saudi Arabien absolviert.

Russland und die USA

Russland nimmt offiziell eine neutrale Position ein, seine Sympathien liegen jedoch mit Sicherheit bei der LNA, während sich die USA sehr zurückhaltend verhalten und ihr Militär aus Libyen abgezogen haben. Richtig warm dürfte die Trump-Administration mit den islamistischen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ nicht geworden sein. Offiziell geht es den USA in Libyen immer nur um die Bekämpfung des IS. Innenpolitische Gründe dürften für Trump eine Rolle spielen, war 2011 der Krieg gegen Libyen ein Krieg der Hillary Clinton. Das Scheitern der Politik der damaligen demokratischen Außenministerin könnten Trumps Chancen im nächsten US-amerikanischen Wahlkampf nützen. Er wird also einen Teufel tun und die ‚Einheitsregierung‘ stützen.

Die Vereinten Nationen

Die UN schickt seit 2011 ihre Sondergesandten nach Libyen, als da waren der Brite Ian Martin, der Libanese Tarek Mitri, der Deutsche Martin Kobler und der Spanier Bernardino Léon. Sie alle erlitten Schiffbruch und konnten weder Moslembrüder als Machthaber, noch die Spaltung des Landes durchsetzen. Nun sollte wieder ein Libanese, Ghassan Salamé, die Sache richten, doch auch seine Mission kann als gescheitert betrachtet werden.

Der UN-Sicherheitsrat tagte erneut und sagte die für den 14. bis 16. April in der im Südwesten gelegenen Stadt Ghadames geplante Nationalkonferenz[3] ab. Und dies, obwohl die Verantwortlichen in Ghadames bekundeten, sie wären sehr wohl in der Lage, die Konferenz durchzuführen und auch der Außenminister der Übergangsregierung (Baida) sagte, dass die Offensive von Hafter die Pläne für die Abhaltung demokratischer Wahlen im Land nicht beeinträchtigen würde: „Die Wahlen werden stattfinden, und wir bestehen auf der Achtung des politischen Prozesses, der auf demokratischen Prinzipien beruht.“[4]

Ein Sprecher der LNA sagte, die ostlibyschen Kräfte würden an der Konferenz teilnehmen, die auch zur Vorbereitung von Wahlen dienen sollte. Diese Absage ist also wieder einmal ein einsamer Entschluss, im Ausland und nicht von Libyern getroffen, es wird eine Chance auf Verständigung vertan und die Wahlen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Die westlichen Medien stellen es nun so dar, als ob die Sicherheitslage in Tripolis für die Absage der Konferenz verantwortlich sei. Dabei wäre genau diese Konferenz wichtig dafür gewesen, um friedlich und mittels Wahlen zu einer Stabilisierung der Lage in Libyen zu gelangen. Nicht durch das Vorrücken der LNA, sondern durch die Absage der Nationalkonferenz in Ghadames von Seiten der UN ist eine historische Chance vergeben worden. Es besteht von Seiten der internationalen Gemeinschaft eben kein Interesse daran, ihre Machtposition in Libyen durch Wahlen zu gefährden. Wie sich die Einheitsregierung langfristig angesichts der Übermacht der libyschen Armee (LNA) und deren Präsenz auf 90 Prozent des libyschen Territoriums an der Macht halten will, bleibt ihr Geheimnis.

Die internationale Gemeinschaft

Dass es der internationalen Gemeinschaft nicht darum geht, einen für die libysche Bevölkerung unhaltbaren Zustand zu beenden, sondern rein um die Erhaltung ihrer Macht, konnte man schon in der NZZ im September letzten Jahres nachlesen. Dort wurde Zuwarten als die beste Option angeraten. Man solle „weiter vermitteln und auf ein Wunder hoffen. Das hat durchaus seine Vorteile. [...] Und aus der Sicht eines Zynikers ist der rechtsfreie Raum in Libyen im Grunde eine willkommene Abschreckung für die Migranten aus dem subsaharischen Afrika. Der Nachteil dabei ist jedoch, dass in Libyen eine verlorene Generation im Chaos aufwächst, ohne genügende Schulbildung, Gesundheitsvorsorge und soziale Absicherung. Das ist ein hervorragender Nährboden für Terrororganisationen wie den IS oder die Kaida. Bereits jetzt haben kriminelle Netzwerke aus Libyen gute Beziehungen zur Mafia in Süditalien geknüpft. Die undurchsichtigen Strukturen können europäische Rechtsstaaten auf längere Frist durchaus unterwandern und aushöhlen.“[5] Es geht hier also nicht um das Elend der libyschen Bevölkerung an sich, sondern nur darum, dass sie sich angesichts des Chaos dschihadistischen Gruppierungen zuwenden könnte und damit den Interessen Europas schaden. Soweit, so zynisch.

Eines sollte noch einmal und ganz nachdrücklich klargestellt werden: Für alles Unglück und jeden Toten nicht nur in Libyen, sondern auch in den südlichen Nachbarländern der Sahelzone und unter den Emigranten, die sich in Libyen aufhalten, sind einzig und allein die Nato-Krieger des Jahres 2011 verantwortlich. Der Fluch der bösen Tat fährt seine Ernte ein.

[1] https://sputniknews.com/middleeast/201904101073984790-libya-oil-terrorists-government/

[2] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7909/

[3] https://www.freitag.de/autoren/gela/ein-bisschen-souveraenitaet-kehrt-zurueck

[4] https://sputniknews.com/analysis/201904101073965656-us-libya-haftar/

[5] https://www.nzz.ch/international/libyen-europa-muss-sich-fuer-das-geringste-uebel-entscheiden-ld.1417129

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Hörenswerter Podcast:
https://www.youtube.com/watch?v=KqlwSnsRD8U&feature=em-uploademail

https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-un-dringlichkeitssitzung-101.html

https://www.libyaherald.com/2019/04/09/mitiga-airport-to-reopen-as-its-possible-military-use-emerges/

http://www.xinhuanet.com/english/2019-04/10/c_137963653.htm

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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