Nervenkrieg um Libyen

Tripolis/Ankara. Wie gegen die Libysche Nationalarmee (LNA) mit Hilfe der Türkei ein Drohszenario aufgebaut wird.

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Erdogan bekräftigt immer aufs Neue, er werde auf die Bitte von as-Sarradsch, der der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis vorsteht, Truppen nach Libyen schicken. Doch würde Sarradsch ohne die Einwilligung der Westmächte die Türkei um ihr militärisches Eingreifen bitten?

Erdogan war überraschend in Begleitung seines Verteidigungs- und Außenministers sowie seines Geheimdienstchefs am 25. Dezember zu Gesprächen mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied in Tunis eingetroffen und bekräftige dort noch einmal seine Bereitschaft, in Libyen militärisch zu intervenieren. Erdogan sagte, er wolle alle infrage kommenden Möglichkeiten „auf dem Boden, zur See und in der Luft abwägen“. Ein entsprechendes Gesetz soll dem türkischen Parlament Anfang Januar vorgelegt werden, die Entscheidung darüber könnte am 8. oder 9. Januar fallen. Just am 8. Januar wird Putin zu Gesprächen mit Erdogan in der Türkei erwartet.

Entscheidend ist allerdings der Satz, dass die Türkei dann eingreifen werde, wenn Sarradsch diese militärische Hilfe anfordere. „Wir werden an Orte gehen, zu denen wir eingeladen werden, und nicht an Orte, zu denen wir nicht eingeladen werden“, sagte Erdogan. „Und im Moment, da eine solche Einladung vorliegt, werden wir diese Einladung annehmen.“[1] Es ist kaum vorstellbar, dass Sarradsch ohne Einverständnis der Nato, des Westens oder auch der USA solch ein Hilfsgesuch an die Türkei richten wird. Viel eher sieht es danach aus, dass die Kräfte in Ostlibyen – als da sind die Libysche Nationalarmee (LNA), die Übergangsregierung, das Parlament und andere – mittels dieser Drohung zu Verhandlungen gezwungen werden sollen, da die LNA militärisch nicht mehr von der Einnahme von Tripolis und Misrata aufzuhalten ist.

Da die Regierung von Sarradsch vom demokratisch gewählten Parlament nie anerkannt wurde und selbst nach dem Skhirat-Abkommen die Amtszeit von Sarradsch im Dezember dieses Jahres abgelaufen ist, verfügt er über keinerlei Legitimation, fremde Truppen ins Land zu holen. Neben der Moslembruderschaft und den Milizen ist Sarradsch auch abhängig von den westlichen Mächten, die ihn 2015 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einem italienischen Kriegsschiff nach Tripolis und an die Macht brachten und ihn bis heute dort halten. Sarradsch wird kaum Schritte unternehmen, die nicht mit den politischen Kräften, die hinter ihm stehen, abgesprochen sind. Dazu zählen vor allem die Nato und die Europäer.

Währenddessen geht der militärische Vormarsch der LNA weiter. Erst gestern wurde gemeldet, dass die Armee in Tripolis die Kontrolle über die gesamte Flughafenzubringerstraße errungen hat. Doch nicht nur militärisch, auch politisch hat die LNA große Erfolge zu verbuchen. Der Oberkommandierende der LNA, Feldmarschall Haftar, wurde in Bengasi vom griechischen und vom italienischen Außenminister besucht und sowohl nach Athen als auch nach Rom eingeladen. Die Politik scheint sich langsam den Realitäten in Libyen anzupassen, auch wenn die Presse immer noch vom „Warlord“ Haftar berichtet, also gäbe es keine Libysche Nationalarmee, oder von den Kräften im „Osten“, als beherrsche die LNA nicht gut neunzig Prozent des libyschen Territoriums mit Ausnahme von Teilen Tripolis und Misrata, und als ob sich nicht schon lange Tripolis-Milizen aus den Kämpfen zurückgezogen haben und nicht auch Verhandlungen zwischen der LNA und dem Ältestenrat in Misrata laufen würden.

Da helfen Erdogan auch seine markigen Worte nicht, zum Beispiel anlässlich des Stapellaufs eines türkischen Militär-U-Boots am 22. Dezember 2019. Erdogan nützt die momentane Lage, um einen globalen Machtanspruch der Türkei anzumelden: „Wenn wir uns Anatolien als Zentrum nehmen, dann haben wir [Türken] überall Spuren hinterlassen, bis zu den baltischen Staaten im Norden, ganz im Osten bis nach China, im Südosten bis nach Indien, ganz im Westen in Nordafrika und bis nach Gibraltar. Jene, die die Geschichte unseres Landes und unseres Volkes nicht kennen, fragen: 'Was habt ihr da zu suchen?' Aber eigentlich müsste man fragen: 'Warum sind wir eigentlich so lange nicht dort gewesen?“ […] „Wir sollten nicht den Kampf des Gründers unserer Republik, Mustafa Kemal Atatürk, vergessen. Wenn Libyen tatsächlich nichts mit uns zu tun hat, was hat denn Gazi Mustafa Kemal dort getan? [...] Das bedeutet, dass Libyen ein Ort ist, an dem wir, wenn es nötig sein sollte, unter Einsatz unseres Lebens sein sollten“.[2] Damit bedient Erdogan nicht nur das übersteigerte türkische Nationalgefühl, sondern betreibt auch geostrategisches Powerplay, das nicht zuletzt den Libyern Angst einjagen soll, um sich und seinen Moslembrüdern trotz der militärischen Niederlage am Verhandlungstisch einen immer noch einflussreichen Platz zu sichern.

Der Gas- und Erdölstreit im östlichen Mittelmeer

Der Türkei geht es auch um die riesigen Gasvorkommen, die vor der Küste Israels, Ägyptens und Zyperns entdeckt wurden. Die Festlegung der türkisch-libyschen Seegrenze in dem allgemein als unrechtmäßig und somit ungültigen Abkommen, das zwischen Sarradsch und Erdogan geschlossen worden war, würde dem Bau der geplanten Pipeline Eastmed, die Gas aus den genannten Ländern nach Europa transportieren soll, verunmöglichen.

Der griechische Regierungschef Mitsotakis gab an Weihnachten bekannt, dass sich Griechenland, Zypern, Israel und Italien auf die Schnelle über alle Bedingungen des Baus von Eastmed geeinigt haben, so dass der Vertrag bereits am 2. Januar unterschrieben werden soll.

Richtig ist aber auch, dass die Türkei bisher von jeder Möglichkeit in diesem Gebiet an der Erdöl- und Erdgasförderung teilzunehmen, ausgeschlossen wurde.

Diplomatische Drähte laufen heiß – jeder telefoniert mit jedem

Italien, das bisher auf Seiten der Einheitsregierung stand, pflegt nun auch engen Kontakt mit der LNA. Laut der italienischen Zeitung La Repubblica hat der italienische Außenminister Luigi Di Maio nach seiner Libyen-Reise in der vergangenen Woche gemeinsam mit den wichtigsten Außenministern der EU versucht, in diplomatische Verhandlungen durch Josep Borrell, den Hohen Vertreter der Europäischen Union, zu treten. Ziel soll es sein, die militärische Eskalation in Libyen zu beenden und den Weg für die Wiederaufnahme des politischen Dialogs zu ebnen. Di Maio hatte dazu auch telefonische Gespräche mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu geführt. Vorgestern telefonierte Di Maio noch mit US-Außenminister Mike Pompeo und mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Italiens Premierminister Giuseppe Conte erörterte die Lage seinerseits mit dem ägyptischen Präsidenten as-Sisi.

Aber auch die Griechen verhandeln in alle Richtungen. So hat der griechische Außenminister nach seinem Besuch bei der LNA in Bengasi mit seinem türkischen Kollegen Mevlut Cavusoglu telefoniert.

Vor dem Hintergrund der Zuspitzung des Libyen-Konflikts hat eine türkische Delegation Moskau besucht. Nach Angaben des russischen Außenministeriums einigten sich die beiden Seiten darauf, zu einer schnellstmöglichen Beilegung der Krise in dem nordafrikanischen Land beizutragen.

Ägypten und Russland sollen einen Dreimonatsplan ausgearbeitet haben, über den keine weiteren Einzelheiten bekannt sind.

Heute hat der Sprecher des Parlaments von Südzypern bekannt gegeben, dass Südzypern die LNA in ihrem Kampf gegen den Terror und bewaffnete Milizen unterstützen werde.

Die Nachbarstaaten

Während Ägypten in klarer Feindschaft zu den Moslembrüdern die uneingeschränkte Unterstützung für die LNA verkündet, hatte der libysche ‚Innenminister‘ der ‚Einheitsregierung‘, Fathi Bashagha, nach dem Besuch von Erdogan in Tunis erklärt, Tunesien und Algerien unterstützten Sarradsch und dessen ‚Moslembrüder-Einheitsregierung‘ in Tripolis. Dies haben beide Staaten umgehend und unmissverständlich dementiert. Der tunesische Präsident sagte, die Behauptung von Bashagha sei falsch, Tunesien sei kein Verbündeter von niemanden, und der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune gab bekannt, es gebe ein Treffen des nationalen Sicherheitsrats, um die Position Algeriens zum Libyenkonflikt zu klären.

Dschihadistische Kämpfer in Tripolis

In Tripolis sind bei einem Treffen ehemaliger Dschihadisten-Führer auch Islamisten aufgetaucht, die für die Terroranschläge in Bengasi 2012, die sich gegen das US-amerikanische Generalkonsulat richteten und bei denen der US-Botschafter getötet wurde, mitverantwortlich waren.

Kämpfer der al-Nusra-Front und des IS werden laut glaubwürdigen Berichten aus Syrien über Misrata nach Libyen gebracht, um gegen die LNA zu kämpfen. Kämpfer aus Idlib sollen bereits per Flugzeug in Libyen angekommen sein. Protürkische Milizen haben in Syrien Rekrutierungsbüros eröffnet, so die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Den Kämpfern sollen zwischen 1800 und 2000 US-$ monatlich geboten werden, wenn sie sich den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis anschlössen.

Wird hier die Möglichkeit genutzt, al-Kaida- und IS-Kämpfer aus Syrien, insbesondere jene aus dem gerade von der syrischen Armee zurückeroberten Idlib, auf elegante Art mit Hilfe der LNA zu entsorgen, bevor sie sich auf den Weg in die Türkei oder nach Europa machen können?

UN gratuliert Libyen am Unabhängigkeitstag

Wie Hohn hört es sich da an, dass die UN-Sondermission für Libyen dem Land zum 68. Jahrestagung seiner Unabhängigkeit, ausgerufen am 24. Dezember 1951, gratulierte.

NACHTRAG 02. Januar 2020: Das türkische Parlament stimmte am Donnerstag mit 325:184 Stimmen für die Pläne zur Entsendung von Truppen nach Libyen.

Siehe auch:
https://deutsch.rt.com/international/96376-osmanische-traume-turkisches-parlament-beschliesst

https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/96358-tuerkei-schickt-rebellen-aus-syrien-nach-libyen

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[1] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-militaer-truppen-libyen

[2] https://deutsch.rt.com/international/96120-erdogan-stellt-globalen-machtanspruch-von/?utm_source=browser&utm_medium=aplication_firefox&utm_campaign=firefox

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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