Österreichische Wirtschaft trifft Erdöl

Tripolis/Wien. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz ist am 1. Mai zu einem unangekündigten Kurzaufenthalt in Tripolis eingetroffen.

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Begleitet wurde Kurz von einer Wirtschaftsdelegation, unter anderem von Vertretern der Firmen OMV (Ölkonzern), Vamed (Krankenhausbetreiber) und Rauch (Fruchtsaft-Hersteller).

Bei Gesprächen mit Sarradsch und anderen Vertretern der libyschen ‚Einheitsregierung‘ ging in es erster Linie um Österreichs wirtschaftliche Interessen im Land sowie um die Flüchtlingskrise.

Kurz sagte, bei der von der EU beschlossenen Unterstützung der Küstenwache gebe es die „große Sorge, dass mehr und mehr Korruption entstehen könnte“. Diese Sorge ist bestimmt nicht unbegründet, da schon jetzt bekannt ist, dass Teile der Küstenwache gemeinsame Sache mit den Menschenschmugglern machen. Die Gelder und Ausrüstungen, die der Küstenwache geliefert werden, könnten von dieser unverzüglich an die Schlepperbanden weitergereicht werden, denen damit auch endlich neueste Technik auf See zur Verfügung stünde.

In Libyen warten geschätzt 700.000 Schwarzafrikaner auf die Überfahrt nach Italien. Wenn nur jeder Migrant 2.000 Euro für die Überfahrt bezahlen muss, ergibt das einen Gewinn von 1,4 Milliarden Euro. Solche Gewinne lässt man sich nicht entgehen.

Die Küstenwache soll Flüchtlinge vor der libyschen Küste zurück an Land holen und in Flüchtlingslager bringen. Migranten, die außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer gerettet werden, nimmt Libyen nicht zurück. Der zwischenzeitlich nur vom Westen anerkannte und nie vom Parlament bestätigte ‚Premierminister‘ Sarradsch hat keine Milizen hinter sich, auf die er sich wirklich verlassen könnte und kontrolliert somit kein Fitzelchen des libyschen Staatsgebiets. Flüchtlingslager in Libyen, in denen bekannter Weise katastrophale Zustände herrschen, werden verniedlichend ‚Zentren‘ genannt und genau von jenen Schleppern unterhalten, die die Flüchtlinge zu Prostitution und Zwangsarbeit zwingen.

Kurz erklärte, er wolle „ein klares Zeichen zur Unterstützung der Einheitsregierung setzen.“ Für eine Einheitsregierung plädieren inzwischen alle, nur unter welchen Bedingungen und in welcher Zusammensetzung diese entstehen soll, ist ungeklärt, insbesondere der Status der libyschen Nationalarmee von General Hefter ist umstritten. Sarradsch wird als Premierminister vom libyschen Parlament nicht anerkannt.

Erst 2015 erhielt der Fruchtsafthersteller Rauch eine Lizenz für die Produktion in Libyen. Wer hat diese Lizenz ausgestellt? Es ist fraglich, ob der Aussteller überhaupt berechtigt war, in Libyen Konzessionen zu vergeben. Man darf vermuten, dass diese Lizenz von einer nicht-legitimierten ‚Regierung‘ unterschrieben wurde.

Von besonderer Bedeutung sowohl für Österreich als auch für Libyen ist der Ölkonzern OMV, einer der wichtigsten Abnehmer des libyschen Rohöls. Die Ölförderung ist wegen ständiger Blockaden und Kämpfen abgestürzt, soll nun aber wieder erhöht werden. Darüber wollten der der Chef des OMV, Rainer Seele, und der Chef der nationalen libyschen Ölgesellschaft sprechen.

Der Wiener Gesundheitskonzern Vamed betreibt in Libyen drei Krankenhäuser, darunter die größte Klinik Nordafrikas mit 1.400 Betten in Tripolis. Allerdings verfügen die medizinischen Einrichtungen über keine Medikamente, kein Verbandsmaterial und keine medizinischen Gerätschaften. Der Staat zahlt nicht mehr und die Bevölkerung ist verarmt. Große Geschäfte lassen sich so nicht mehr machen, anders als zu Gaddafis Zeiten, als die medizinische Versorgung bestens und kostenlos war.

Der Deal des Jahres 2011 wird immer klarer: Den Europäern wurden lukrative Wirtschaftsverträge mit dem ölreichen Libyen versprochen, dafür sollten sie die Islamisten beim Kampf gegen Gaddafi (Waffen, Geld, Kämpfer) unterstützen oder zumindest still halten. Deshalb war auch die Hauptstadt Tripolis 2014 so schwer umkämpft und wurde die säkulare Regierung von dort nach Tobruk vertrieben: In Tripolis sitzen alle wichtigen Institutionen, von der libyschen Zentralbank bis zur Nationalen Ölgesellschaft. Die Kontrolle darüber wollten sich die vom Westen gestützten Islamisten keinesfalls aus der Hand nehmen lassen. So kam es zu der kuriosen Situation, dass ausgerechnet der Osten Libyens, die radikal-islamistische Hochburg, von der auch 2011 der islamistische Aufstand mit Unterstützung des Westens gegen Gaddafi ausging, jetzt von den säkularen Kräften um General Hefter und der LNA beherrscht wird, während gegenwärtig in dem Gaddafi zugeneigten Tripolis an die dreißig unterschiedliche radikal-islamistischen Milizen ihr Unwesen treiben können und sich in Europa niemand wirklich darum schert.

Die europäischen Staaten mussten unter diesen Umständen die Sarradsch-Regierung stärken und sich jetzt zumindest für eine Einheitsregierung mit einer starken Tripolis-zentrierten Machtbasis einsetzen, denn mit diesen Kräften wurden die Wirtschaftsverträge für die Nach-Gaddafi-Ära ausgehandelt. Europa ist an keiner Lösung interessiert, in der diese Verträge wieder in Frage gestellt werden und das Fell des Bären davonschwimmt.

Wie sehr die libysche Bevölkerung seit 2011 leidet, wie viele Tote es gab und gibt, dass die einfachste Grundversorgung im Land nicht mehr gewährleistet ist und nur noch Chaos, Angst und Schrecken herrschen, das war nun nicht das Thema von Herrn Kurz bei seinem Besuch in Tripolis. Staaten haben halt nur Interessen und kein Gewissen…

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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