Plant Nato neue Libyen-Intervention?

Libyen. Sarradsch-Abkommen mit der Türkei schlägt auch international hohe Wellen. Dubiose Libyenabsprachen beim UNO-Gipfeltreffen und bei geplanter Berlin-Konferenz erwartet.

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Wird UN-Sonderbevollmächtigter zurücktreten?

Während der Außenminister der türkischen ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Mohamed Siala, die MoU-Abkommen (Memorandum of Understanding) mit der Türkei über Grenzziehungen im Mittelmeer und militärische Zusammenarbeit immer noch als im nationalen Interesse Libyens und zum Schutze seiner Grenzen verteidigt, soll der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghasan Salamé, seinen Rücktritt nach der Berliner Libyenkonferenz angekündigt haben. Dies erinnert an den Rücktritt Kofi Annans im August 2012, der sich bei seiner Vermittlertätigkeit in Syrien von den USA und den Nato-Kräften ebenfalls hintergangen fühlte.

Rätselhafte Berlin Konferenz von MoU Abkommen bedroht

Rätselraten herrscht immer noch hinsichtlich der Inhalte, Teilnehmer, des Zeitpunkts und der Beschlüsse oder Absprachen, die auf einer Libyen-Konferenz in Berlin getroffen werden sollen. Soviel jedenfalls sickerte durch: Bei der Konferenz soll es um die Aufteilung Libyens in neun Bezirke gehen, um die Schaffung eines föderalen Systems, der Beauftragung der UNO mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung und dem Aufbau der Armee unter internationaler Schirmherrschaft, soll wohl heißen Nato. Bisher erfolgte von offizieller Seite weder ein Dementi noch eine Bestätigung der Pläne. Bereits am 10. Dezember sollte, im Anschluss an den gerade tagenden Nato-Gipfel, zunächst ein Vorbereitungstreffen für die nun von Dezember auf Januar verschobene Libyen-Konferenz stattfinden. Die Libyer selbst haben bei all diesen Fragen, die ihr Land und ihre Rohstoffe betreffen, natürlich nichts zu melden. Diese Absprachen treffen die, vielleicht auch nur vermeintlich, Mächtigen dieser Welt unter sich.

Allerdings sieht der UN-Sonderbeauftragte Salamé die gesamte Berlin-Konferenz durch die jüngsten Abkommen zwischen der Sarradsch-Regierung und der Türkei gefährdet, denn neben der Empörung, die das Abkommen in Libyen selbst und in Ägypten auslöste, sehen auch die Nato-Partner Griechenland und Zypern ihre Interessen im Mittelmeer in Bezug auf die dort lagernden enormen Gasvorräte durch die Türkei bedroht. Libyen hat keine Seegrenzen mit der Türkei, zwischen der Türkei und Libyen liegen griechische Inseln und Zypern. Bei dieser Auseinandersetzung zwischen den Erzfeinden Türkei und Griechenland geht es um sehr viel Geld. Dieser Streit hat Potential. So hat Athen bereits die Gespräche mit Ankara über vertrauensbildende Maßnahmen auf militärischer Ebene auf Eis gelegt.

Sprecher des libyschen Parlaments Aguila Saleh fordert vom UN-Sicherheitsrat Aufhebung der Anerkennung der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis

In einem Schreiben an den UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte Aguila Saleh das ‚Einheitsregierung‘-Türkei-Abkommen. Saleh erklärt darin, dass das von Sarradsch unterzeichnete MoU-Abkommen nicht – wie es das Skhirat-Abkommen von 2015 vorsieht – vom Parlament ratifiziert wurde. Mit dem Abkommen würden legitime Rechte des libyschen Staates sowie seine Souveränität an die Türkei abgetreten.

Der Präsidialrat der ‚Einheitsregierung‘, sein Präsident und seine Mitglieder übten ihr Amt rechtswidrig aus, da sie seit ihrem Amtsantritt keinen Amtseid vor dem gewählten libyschen Parlament ablegten. Die trotz Waffenembargos offensichtliche und belegte militärische Unterstützung der ‚Einheitsregierung‘ durch die Türkei geschehe unter den Augen des UN-Sicherheitsrates.

Ziel des MoU sei die Verletzung des Hoheitsgebiets des libyschen Staates und des libyschen Luftraums sowie seiner Häfen und Hoheitsgewässer durch das türkische Militär. Dies verletze die libysche Souveränität.

Ziel des sogenannten MoU sei es auch, die Ratifizierung der Abkommen zur libyschen Verfassung und ihrer Änderungen zu umgehen. Von der Exekutive geschlossene Vereinbarungen dürften nicht die Wirtschaft des Landes belasten oder seine Sicherheit und Souveränität gefährden. Entsprechende Abmachungen müssten von der vom Volk gewählten Legislative verabschiedet werden.
Weiter heißt es, dass laut Skhirat-Abkommen die ‚Einheitsregierung‘ rechtswidrig und illegal ist. Sie schütze weder die nationale Einheit, noch respektiere sie die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes, sondern akzeptiere stattdessen ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Weder sei sie transparent, noch bekämpfe sie Korruption. Darüber hinaus unterstütze sie al-Kaida-Milizen und die Moslembruderschaft.
Das libysche Parlament fordere deshalb von den Vereinten Nationen:
1. einen Beschlusses über den Widerruf der Anerkennung der ‚Einheitsregierung‘
2. die Anerkennung der Beschlüsse des libyschen Parlaments als der einzig rechtmäßigen libyschen Instanz
3. Die Nichtanerkennung des MoU und dessen Betrachtung als nicht existent. Es wird noch einmal bekräftigt, dass das libysche Parlament als die international anerkannte Legislative des Landes die zwischen der ‚Einheitsregierung‘ und der Türkei geschlossene Absichtserklärung nicht anerkennt. „Der libysche Staat ist von jeglichen daraus resultierenden Verpflichtungen vollständig befreit.“

USA bezeichnen MoU als „nicht hilfreich und provokativ“

Das US-amerikanische Außenministerium bezeichnete das MoU-Abkommen als „nicht hilfreich und provokativ“. Weiter heißt es: "Während die Vereinigten Staaten im Allgemeinen keine Position zu den Streitigkeiten über die Seegrenzen anderer Staaten beziehen, fordern wir alle Parteien auf, in dieser sensiblen Zeit von allen Handlungen Abstand zu nehmen, die zu einer Verschärfung der Spannungen im östlichen Mittelmeer führen könnten."

Libyen: Eines der wichtigsten Themen beim Nato-Gipfel

Der ehemalige US-amerikanische „Diplomat“ in Libyen Ethan Chorin plädiert in einem Aufsatz für Forbes ganz offen für einen Nato-Einsatz in Libyen.

Chorin schreibt, Libyen sei beim gegenwärtigen NATO-Gipfel in London eines der wichtigsten Themen: „ Denn was als nächstes in Libyen passiert, betrifft die Kerninteressen der Nato, einschließlich der Bekämpfung des Terrorismus, der Bewältigung der Migrationskrise in Europa, der Eindämmung des russischen Opportunismus im Nahen Osten und der Sicherstellung der langfristigen Lebensfähigkeit des Bündnisses.“

Da die Nato und die USA nach 2011 Libyen sich selbst überließen, seien Staaten wie die Türkei und Katar ermutigt worden, die [ersten][1] Wahlen zunächst zugunsten der Moslembrüder zu steuern. Diese Entwicklung sei, sobald sie offensichtlich wurde, von den meisten Libyern zutiefst abgelehnt worden.

Laut Chorin habe der Oberkommandierende der Libyschen Nationalarmee (LNA), General Haftar, nun für die Nato die Drecksarbeit geleistet. Auch wenn dies vom Westen so gewünscht gewesen sei, hätten im Anschluss daran der Westen und die Nato nur gegrenzte Möglichkeiten, über die weitere Zukunft Libyens zu bestimmen. Die Libyer wollten keinen Militärmachthaber nach dem Vorbild des ägyptischen Präsidenten al-Sisi. Haftar selbst behaupte, er wolle die Macht in die Hände einer Zivilregierung legen. Der Sieg Haftars habe den Vorteil, dass die Vorstellung, die ‚Einheitsregierung‘ könne die Lösung für Libyens Probleme sein, endgültig ad-acta gelegt werden könne.

Nun lässt Chorin die Katze aus dem Sack: Die Nato solle anschließend Libyens Öl- und Gasressourcen schützen! Diese seien nicht nur für Libyen, sondern auch für das wirtschaftliche Wohlergehen Europas von entscheidender Bedeutung. Die Staaten der Region könnten damit ermuntert werden, in die Diversifizierung der libyschen Wirtschaft, in die Seefahrt, den Tourismus und die medizinische Infrastruktur zu investieren.

Chorin weiter: Trotz der gegenwärtigen Identitätskrise, in der sich die Nato befindet, sei sie die einzige Organisation, die überhaupt in der Lage ist, diese Vorstellungen umzusetzen. Sie sei die einzige Organisation, die eine solch komplexe, mehrere Parteien umfassende militärische Antwort auf Gaddafi sein könne. Die Nato werde damit ihre Existenzberechtigung beweisen.

Der Westen hat sich schon mehrmals verschätzt

Wie aus dem Artikel von Chorin ersichtlich, könnte die Nato zur Durchsetzung der westlichen Interessen bereit sein, sich auf ein neues militärisches Abenteuer in Libyen einzulassen. Raubrittertum in Reinkultur. Schützen heißt militärisch eingreifen, um zu kolonialisieren. Demokratisieren heißt privatisieren.

Doch nicht nur einmal wurden die tatsächlichen Verhältnisse in Libyen falsch eingeschätzt. Die Planspielchen der westlichen Polit- und Militärstrategen sind eine Sache, die Realität in Libyen ist eine andere.

https://almarsad.co/en/2019/12/04/gna-foreign-minister-mou-with-turkey-protects-the-national-interest-and-serves-brothers/
https://almarsad.co/en/2019/12/03/ghassan-salame-gna-turkey-agreement-threatens-berlin-conference/
https://almarsad.co/en/2019/12/02/aguila-saleh-to-the-un-security-council-we-demand-3-urgent-steps-including-withdrawing-recognition-of-the-gna/
https://almarsad.co/en/2019/12/03/us-state-dept-turkey-libya-maritime-zones-agreement-unhelpful-and-provocative/
https://almarsad.co/en/2019/12/02/aguila-saleh-to-the-un-security-council-we-demand-3-urgent-steps-including-withdrawing-recognition-of-the-gna/
https://www.forbes.com/sites/ethanchorin/2019/12/03/libya-and-the-future-of-nato/#2018e9a16b7f

[1] A.v.d.A.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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