Reden statt schießen - von Ch. Wackernagel

Rezension Christof Wackernagel „Reden statt Schießen“ Militärputsch in Malis Kultur des Dialogs - Ein Tagebuch Prospero Verlag Münster/Berlin, 2013

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Wer schon immer wissen wollte, wie sich ein Militärputsch für die betroffene Bevölkerung anfühlt, ist bei diesem Buch genau richtig. Es stellt in Tagebuchform eine Mischung aus politischer Berichterstattung, persönlicher Betroffenheit und Wiedergabe der Stimmungslage in der Bevölkerung dar.

Das Buch schildert anschaulich, wie der Militärputsch des Capitaine Sanogo nur zwei Monate vor den nächsten regulären Wahlen in den bunt-idyllischen Alltag eines westafrikanischen Landes platzt, das bis dahin als demokratische Vorzeigedemokratie in Afrika galt. Wackernagel, der seit zehn Jahren in der Hauptstadt Bamako lebt, weist dabei auch auf die Widersprüche hin, die sich in Folge der politischen Ereignisse ergeben: Eine demokratisch gewählte Regierung wird weggeputscht mit der Begründung, die Demokratie retten zu wollen; ein Bürgerkrieg soll verhindert werden, der nach dem Putsch erst voll entflammt; eine zunächst geschockte Bevölkerung ergreift immer mehr für die Putschisten Partei, dem gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré, ATT genannt, wird Korruption und Bereicherung vorgeworfen. Das afrikanische und europäische Ausland erkennt de facto Sanogo, der baldige Neuwahlen verspricht, schnell als neuen Machthaber an. Dem Leser drängt sich die Frage auf, ob der Mali-Putsch als Blaupause für den Militärputsch in Ägypten gedient haben könnte.

Doch was bedeutet der Putsch für die Bevölkerung des Landes? Zunächst verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Menschen, es kommt zu Strom- und Wassersperren, die Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet. Langsam stellt sich auch die Frage, ob sich der Putsch wirklich gegen die Bereicherungen des Präsidenten richtete oder ob es nicht doch darum geht, wer zukünftig den besten Platz an den Fleischtöpfen haben wird. Der Weg in eine zerrissene und gewalttätige Gesellschaft, in der ein politischer Islam eine immer größere Rolle spielt, zeichnet sich ab.

Über all dem steht die Frage des Konflikts mit den Tuareg im Norden Malis, die ihren Staat Azawad ausrufen, aber schon bald von islamistischen Gruppen ausgebootet werden. Diese treten in Verhandlungen mit einer inzwischen eingesetzten Übergangsregierung und erklären sich durchaus zu einer Wiedervereinigung Malis bereit unter der Voraussetzung, die Scharia landesweit einzuführen. Doch schon bald werden mit Hilfe französischer und afrikanischer Truppen die Städte im Norden zurückerobert.

Wackernagel übernimmt den Standpunkt der schwarzen Bevölkerung Malis und bezeichnet die Tuareg ausschließlich als Drogendealer und Söldner Gaddafis. Auf die historischen und politischen Ursachen des Konflikts zwischen den schwarzen Ethnien in Mali und den Tuareg wird kaum eingegangen, genauso wie Wackernagel die Tatsache ignoriert, dass nicht nur Islamisten in Nordmali eine blutige Scharia vollstreckten, sondern auch malische Truppen bei ihrem militärischen Vormarsch beträchtliche Gräueltaten gegen Tuareg verübten. Europäern, die seinen Standpunkt nicht teilen und den Tuareg und ihren Separationsbestrebungen eine gewisse Sympathie entgegenbringen, wirft er Neokolonialismus und Überheblichkeit vor. Und dies trotz der in seinem Buch so viel beschworenen malischen Kultur des Dialogs, auf die die Malier mit Recht stolz sind.

Auch wenn man dem Autor nicht immer in seinen politischen Ansichten folgen mag, ist „Reden statt schießen“ alles in allem ein lesenswertes Buch für jeden, der sich für Afrika, die politischen Umbrüche in den nordafrikanischen Ländern und natürlich für Mali und seine Menschen interessiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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