Sarradschs Friedensintitative - ein PR-Gag

Libyen/Krieg und Frieden. Nachdem internationale Medien über eine Friedensinitiative des 'Premierministers' Sarradsch in Tripolis berichteten, schlägt Sarradsch völlig andere Töne an.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Ankündigung einer Friedensinitiative durch den Premierminister der 'Einheitsregierung' Sayez as-Sarradsch kam am letzten Sonntag überraschend. Denn bis dahin hatte Sarradsch immer verlauten lassen, er und seine ‚Einheitsregierung‘ seien nicht bereit, mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) und dessen Befehlshaber Haftar zu verhandeln, solange sich die LNA nicht auf ihre Ausgangspositionen zurückgezogen habe und den Versuch aufgebe, die Hauptstadt Tripolis militärisch einzunehmen. Plötzlich dann vor zwei Tagen die Trendwende. Nicht nur Der Spiegel vermeldet: „Friedensplan für Libyen - Regierungschef Sarradsch will Neuwahlen“[1]. Doch schon wenige Stunden später entpuppt sich das Ganze als ein großer PR-Gag, fabriziert für westliche Medien, um die Friedensbereitschaft Sarradschs zu demonstrieren, die es nur leider nicht gibt.

Laut Sarradsch sah die 'Friedesninitiative' vor, eine Nationalkonferenz einzuberufen, die den Fahrplan für eine friedliche und demokratische Lösung festlegt. Das Ziel sei noch vor Ende 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzuhalten.

Sarradsch dementiert eigene Friedensinitiative

Nun wurde bekannt, dass es zwischen Sarradsch in seiner Rolle als Oberbefehlshaber und seinen Milizenführern bereits am Samstag ein Treffen gegeben hat. Bei diesem Treffen ging es um eine "neue Phase der geplanten Konfrontation mit Hafters Streitkräften". Die Pläne hierfür wurden abgesegnet und die Verstärkung der Kampfeinheiten angeordnet. Das klingt nicht sehr friedlich und nach demokratischen Wahlen.

Und noch am Sonntag dementierte Sarradsch seine eigene 'Friedensinitiative'. Er sagte, er sei nicht bereit, sich mit dem Oberkommandierenden der LNA, Khalifa Haftar, zusammenzusetzen, um ein Ende der zweimonatigen Offensive gegen Tripolis auszuhandeln. Haftar werde kein Partner innerhalb des politischen Prozesses sein. Und mit wem will er denn dann eine 'Friedensinitiative' starten, wenn nicht mit seinem Gegner?

Und wie soll es zu einem politischen Prozess kommen, an dessen Ende freie Wahlen mit der Beteiligung aller politischen Parteien stehen, solange sich Tripolis - fast ein Drittel der libyschen Bevölkerung lebt dort - in der Gewalt von zum Teil dschihadistischen, zum Teil kriminellen Milizen befindet, die von al-Kaida und sogar IS-Kämpfern unterstützt werden? Haftar wird immer wieder vorgeworfen, er wolle eine Militärdiktatur errichten. Belege dafür gibt es nicht, gegen solche Ambitionen Haftars sprechen sein hohes Alter, seine angeschlagene Gesundheit und die Kontrolle durch die Sozialräte der libyschen Stämme und Städte, das libysche Parlament in Bengasi und die Übergangsregierung in Tobruk. Letztere haben bereits zu den 'Friedensplänen' Sarradschs Stellung genommen.

Premierminister der Übergangsregierung Abdullah Thinni

Gestern bezeichnete Abdullah Thinni, Premierminister der Übergangsregierung (Tobruk/Ostlibyen), die sogenannte 'Friedensinitiative' von Fayez as-Sarradsch als „Akt von Verzweiflung" angesichts des Vormarsches der LNA in Tripolis. Eine solche Initiative wäre 2016 bei der Bildung der 'Einheitsregierung' mit internationaler Unterstützung sinnvoll gewesen. Jetzt sei es dafür zu spät. Die 'Einheitsregierung' habe die Verpflichtungen des Skhirat-Abkommens nicht umgesetzt, weder die Milizen aufgelöst bzw. intergretiert, noch die Zufuhr immer neuer Waffen unterbunden. Thinni sprach Sarradsch ab, wirklich Autorität in Tripolis auszuüben. Diese läge bei den "terroristischen Milizen", die sich den Ölreichtum in die Taschen steckten.

Laut Thinni haben die Milizen versucht, den Kampf um Tripolis in die Hauptstadt zu verlegen, was zu hohen Verlusten bei der Zivilbevölkerung geführt hätte. Mit diesem Plan seien die Milizen gescheitert, denn es stünde die Sicherheit der Bevölkerung im Mittelpunkt, besonders angesichts der finanziellen und militärischen Unterstützung von Katar und der Türkei für die dschihadistischen Milizen.

Parlamentssprecher Agilah Saleh

Auch der Parlamentssprecher Agilah Saleh sagte gestern in einem Interview, es mache keinen Sinn, auf das Skhirat-Abkommen von 2015 zurückzukommen. Der 'Einheitsregierung' in Tripolis warf er vor, nicht durch Wahlen des libyschen Volkes, sondern durch ein internationales Abkommen zustandegekommen zu sein. Die Legitimität einer Regierung müsse vom Volk ausgehen und nicht vom Ausland. Saleh: "Wir werden nicht auf das Skirat-Abkommen zurückkommen, damit sich die Krise nicht noch über Jahre hinzieht. Wir wollen Wahlen." 85 Prozent der libyschen Bevölkerung würden sich diese Wahlen wünschen. Nur mittels Wahlen, bei denen sich die internationale Gemeinschaft nicht einmischen solle, könne die Krise überwunden werden. "Wenn die Hauptstadt befreit ist, wollen wir eine nationale Regierung mit Vertretern aus ganz Libyen bilden." Das Parlament werde Wahlen abhalten.

Saleh äußerte auch Kritik an dem UN-Sondergesandten Ghassan Salamé, der seinen Kurs korrigieren müsse, da er einseitig für die 'Einheitsregierung' von Sarradsch Partei ergreife. Salamé sollte seine Politik ändern oder die UN beauftragen, einen neuen Gesandten zu ernennen.

Tatsächlich ist die Rolle von Salamé fragwürdig. Nachdem er im April die Nationalkonferenz, die in Ghadames abgehalten werden und den Weg für Wahlen ebnen sollte, abgesagt hatte, zeigte er sich am Sonntag aufgrund von Gesprächen auch mit Haftar und Sarradsch zuversichtlich, dass in Libyen statt einer militärischen Lösung eine politische Einigung erzielt werden könne. Damit hat er praktisch Sarradschs Friedens-PR-Gag einen offiziellen Touch gegeben, wohl wissend, dass weder Sarradsch noch Haftar zu Gesprächen bereit sind. Eine bewusste Täuschung der westlichen Öffentlichkeit, um Sarradsch als Friedensbringer zu verkaufen.

Das Massaker von al-Schatti

Zu Wort gemeldet haben sich auch Familien des al-Schatti-Massakers vom Mai 2014, bei dem über 130 LNA-Soldaten und Zivilisten brutal ermordet worden waren. Sie beschimpften Sarradsch und dessen Verteidigungsminister al-Bargathi als Kriegsverbrecher. Sarradsch wird vorgeworfen, die Ermittlungsergebnisse in Absprache mit dem Generalstaatsanwalt in Tripolis nicht zu veröffentlichen, um die Milizen der 'Einheitsregierung' nicht zu belasten. Sarradsch und al-Bargathi müssten vor Gericht gestellt werden.

Den Milizen, die im Dienste von Sarradsch und der Einheitsregierung stehen, wird auch von verschiedenen Seiten vorgeworfen, die unmenschliche Lage in den Flüchtlingslagern zu verantworten. Die Verbrechen sollen auch Organhandel beinhalten.

Derweil wird in Tripolis weitergekämpft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte am Sonntag mit, dass die Zahl der Todesopfer in Tripolis seit Anfang der Kämpfe im April 2019 auf 691 gestiegen ist, darunter 41 Zivilisten. Von den bisher 4.012 Verletzten sind 135 Zivilisten.




https://www.libyaherald.com/2019/06/17/serraj-meets-commanders-adopts-new-fighting-plan-and-orders-all-needed-reinforcements/

https://thelibyanreport.com/libya-pm-serraj-will-not-sit-down-with-rival-haftar-to-end-war/

https://thelibyanreport.com/head-of-eastern-libyan-government-describes-gna-idea-to-hold-peace-conference-as-act-of/

http://en.alwasat.ly/news/libya/248226

http://en.alwasat.ly/news/libya/248370

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden