Sarradschs Zeit ist abgelaufen

Libyen. Es gibt viele Gründe, warum der von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ eingesetzte und durch nichts legitimierte Fayez al-Sarradsch von seinen Ämtern zurücktreten muss.

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Sarradsch war eindeutig der vom Westen eingesetzte Mann, um die Interessen eben dieses Westens in Libyen voranzubringen. Sarradsch hatte und hat kein Interesse, Libyen zu befrieden und echte und faire Wahlen durchzuführen, denn das wäre das Ende seiner Macht. Die libysche Bevölkerung weiß nur zu gut, was die sogenannte ‚internationale Gemeinschaft‘ für Spielchen in Libyen spielt, um ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Allerdings ist die Lage inzwischen so chaotisch, dass es selbst für weite Teile des Westens nicht mehr aussichtsreich erscheint, weiter auf Sarradsch zu setzen. Frankreich, in Konkurrenz zu Italien, hat von Anfang auf die Macht aus dem Osten, die libysche Nationalarmee unter Feldmarschall Haftar gesetzt. Außerdem: Wer ist die ‚internationale Gemeinschaft‘? Das sind die Westmächte, die NATO und die mit ihr alliierten Staaten. Der Rest der Welt sollte sowieso nichts zu melden haben.

Der mit Sicherheit durchschlagkräftigste Grund für das Ende Sarradsch ist, dass ihm der US-amerikanische Präsident Trump die Unterstützung entzogen und sich auf die Seite von Haftar geschlagen hat. In einem Bloomberg-Artikel heißt es dazu: „In der vergangenen Woche erklärte Präsident Donald Trump in einer Telefonkonferenz mit Libyens starkem Mann Khalifa Haftar, dass die USA einen Angriff auf die Hauptstadt des Landes unterstützt haben, um die von den Vereinten Nationen befürwortete Regierung ihres Amtes zu entheben.

Nach Berichten von drei Diplomaten habe ein dem Trumps Gespräch mit Hafter vorausgehender Anruf von John Bolton, Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus, Haftar ebenfalls den Eindruck vermittelt, die USA hätten grünes Licht für eine Offensive auf Tripolis gegeben.“

Auch wenn diese Aussagen von Trump und Bolton in Widerspruch zu einer Erklärung des US-amerikanischen Außenministers Mike Pompeo stehen, der die libysche ‚Einheitsregierung‘ unterstützte, kann daraus bestenfalls geschlussfolgert werden, dass die US-amerikanische Außenpolitik keine einheitliche Linie verfolgt, aber auch in diesem Fall der Ober wohl den Unter sticht.

Ein weiterer Grund für den dringend angeratenen Rücktritt Sarradsch ist auch gegeben, wenn es stimmt, was verschiedene Akteure in Libyen behaupten, nämlich dass es eine Absprache zwischen Sarradsch und Haftar gegeben hat, die besagte, dass die libysche Armee (LNA) keinen Widerstand zu erwarten hat, wenn sie in Tripolis einmarschiert. Wenn Sarradsch diese Abmachung gebrochen hat, dann ist er, und nur er allein für die bisher 454 Getöteten und etwa 2154 Verletzten, die die Kämpfe um Tripolis bisher gefordert haben, verantwortlich.

Die UNO und die Europäer werden Sarradsch und seine ‚Einheitsregierung‘ nicht gegen den Willen des US-amerikanischen Präsidenten halten können, auch weil Frankreich, Ägypten, die VAE und sogar Saudi Arabien Haftar und die libysche Armee (LNA) unterstützen, sicherlich mit dem Wohlwollen von Russland. Die Europa-Rundreise, die Sarradsch vor wenigen Tagen unternahm, kann als gescheitert gelten. Laut des US-amerikanischen Magazins Politico hat as-Sarradsch sein Ziel – er besuchte Rom, Berlin, Paris und London – nicht erreicht. Die Europäer verurteilten den Marsch von Feldmarschall Khalifa Haftar auf Tripolis nicht eindeutig und es herrschte die allgemeine Ansicht, dass ein Waffenstillstand angestrebt werde, ohne als Vorbedingung den Rückzug der libyschen Armee (LNA) auf ihre alten Stellungen zu fordern. Sogar Italien scheint diese Linie zu teilen.

Als Gegenschlag hat die ‚Einheitsregierung‘ angekündigt, die Lizenzen von 40 ausländischen Firmen auszusetzen, darunter die französische TOTAL. Als Begründung wurde angegeben, die Firmen hätten versäumt, die Lizenzen fristgerecht zu verlängern. Diese Maßnahme wird Europa und die ‚internationale Gemeinschaft‘ in ihrem Vorhaben, Sarradsch abzusetzen, noch bestärken.

Sarradsch hat auch in Libyen die Sache in jeder Hinsicht verbockt. Er hat die gesamte Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Im Osten des Landes ist man dankbar, dass die libysche Armee dem Islamisten-Spuk ein Ende machte und unterstützt bedingungslos die Armee und Hafter. Um den Süden und die dortigen Zustände hat sich Sarradsch Regierung überhaupt nichts geschert, auch nicht um die Bedrohung der dortigen Menschen durch IS, al-Kaida und marodierende Milizen. Auch dort wurde die Ankunft der libyschen Armee (LNA) mit Freuden begrüßt. Und in Tripolis sind die Menschen es mehr als leid, dass ihre Stadt und ihr Staat von den blutsaugenden Milizen ausgebeutet werden, während Infrastruktur und soziale Einrichtungen dem Verfall preisgegeben sind.

Wer also steht noch hinter Sarradsch? Die Tripolis- und Misrata-Milizen wohl auch nur, solange er erpressbar ist und der Geldhahn offen bleibt. Die Türkei und Katar? Die stehen hinter den Moslembrüdern, die verspielt haben. Die Türkei und Katar werden versuchen, für ihre Parteigänger noch so gute Kapitulationsbedingungen wie möglich herauszuholen. Viele Kämpfer werden sich ins Ausland absetzen, aus dem sie ja zum Großteil auch kommen. Sie kämpften entweder als Söldner für die ‚Einheitsregierung‘ oder waren Mitglieder des IS oder von al-Kaida. Stammesmilizen werden in die neue Armee integriert werden bzw. deren Angehörige ins zivile Leben zurückkehren. Bei den jetzigen Kämpfen um Tripolis dürfte es sich um die letzten Zuckungen eines wilden Haufens handeln.

Wenn Sarradsch weg ist, könnte es einen neuen Übergangspremier der ‚Einheitsregierung‘ geben. Da dieser nicht mehr von den Moslembrüdern und Milizen beherrscht sein wird, kann ihn Hafter als Premier akzeptieren. Hafter selbst wird wohl der Oberbefehlshaber der vereinten, neuen libyschen Streitkräfte bleiben bzw. werden.

Man kann nur hoffen, dass dieser neue Premier so schnell wie möglich Wahlen ausschreiben lässt, die unter dem Schutz der libyschen Armee abgehalten werden. Es müssten Wahlen sein, an der sich alle politischen Akteure Libyens beteiligen können, die frei und fair ablaufen, und deren Ergebnisse von allen Teilnehmenden anerkannt werden. Hafter hat sich bisher stets zu Wahlen bekannt. Er selbst wird nicht antreten, alt und gesundheitlich angeschlagen wie er ist, sondern sich mit seiner militärischen Rolle begnügen.

Doch zunächst wird sich der UN-Sicherheitsrat am 16. Mai auf Bitte von Großbritannien erneut in einer geheimen Sitzung zum Thema Libyen zusammensetzen. Erst einmal hat er einen Waffenstillstand für Libyen gefordert

https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-04-24/trump-libya-haftar-tripoli

https://www.theguardian.com/commentisfree/2006/aug/24/whatthehellistheinternati

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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