Schlammschlacht in Tripolis

Libyen. Ein mutmaßlicher Terrorist erhält vom Außenminister einen Spezialpass und wird gleichzeitig vom Innenminister, den er der Korruption beschuldigt, per Haftbefehl gesucht.

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Nachdem der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Fathi Bashaga, einen Haftbefehl für Faradsch Mansour as-Shagaabi hatte ausstellen lassen, postete dieser aus Rache ein Video auf Facebook, in dem er den Innenminister Bashaga der Veruntreuung und Korruption beschuldigt.

As-Shagaabi floh 2014 nach dem Sieg der LNA über die radikal-islamistischen Gruppierungen von Bengasi nach Tripolis. Nun wurde er offiziell vom Innenminister Bashaga angeklagt, als Koordinator zwischen IS und al-Kaida fungiert zu haben.

Innenminister und Moslembrüder der Korruption beschuldigt

Shagaabi wies die Vorwürfe zurück und beschuldigte seinerseits Bashaga sowie die Führung der Moslembruderschaft und der Libyan Islamic Fighting Group (LIFG), korrupt zu sein. Sie stellten ein großes Übel dar und seien für die Destabilisierung und schlechte Sicherheitslage ebenso verantwortlich wie für die Vertreibung hunderter Libyer. Er machte auch Enthüllungen über das Netzwerk der Moslembruderschaft und deren Zusammenarbeit mit dem IS und anderen terroristischen Gruppierungen einschließlich der Familie Sallabi. Er habe Beweise, dass Bashaga, Ali as-Sallabi und desssen Bruder Ismail Gelder in Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro, die sie aus Katar und von der ‚Einheitsregierung‘ zur Kriegsführung erhalten hätten und die von der Libyschen Zentralbank ans Innenministerium überwiesen wurden, veruntreut hätten. Er selber sei immer noch Mitglied des Innenministers der ‚Einheitsregierung‘, das von Minister Bashaga geleitet wird, und beziehe von dort sein Gehalt. Im Moment kämpfe er in Tripolis gegen Haftar.

Doch jetzt hat Shagaabi noch einen Feind, den er gnadenlos bekämpfen will: Innenminister Bashaga.

Shagaabi: „Wo ist der Innenminister? Was geht in Tripolis vor sich? Wer fährt das dunkle Auto und wer fährt ohne Kennzeichen? Wo sind die Sicherheitskontrollen? Das Ausmaß der Kriminalität ist sehr hoch!“ Er selber gehöre weder dem politischen Islam noch den Rebellenmilizen an.

Er beschuldigte islamistische Führer wie Ali as-Sallabi, dessen Bruder Ismail, Ahmed al-Madschbari, Abdulhakim Belhadsch, Haitham al-Tadschouri sowie Fawzi Bouctaf und Hashem Bishr, aus Libyen geflohen zu sein. Ali und Ismail as-Sallabi seien auch für die Vertreibung dutzender libyscher Familien aus Bengasi und anderen Städten verantwortlich.

Spezialreisepass für Terroristen Shagaabi vom Außenministerium

Wie ebenfalls bekannt wurde, verfügt al-Shagaabi neben seiner Anklage vom Innenministerium auch über einen speziellen Reisepass, ausgestellt vom Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘.

Der Pass wurde am 6. November auf den Namen Emad Faraj Mansour Ali ausgestellt, der Nachname al-Shagaabi wurde weggelassen. Als Beruf ist ‚Berater der LIA‘ (Libyan Investment Authority) eingetragen. Nur 19 Tage nachdem Shagaabi seinen Pass erhielt, erließ das Innenministerium gegen ihn den Haftbefehl.

Der auf Shagaabi ausgestellte Spezialpass ist ein Dokument für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Sein Inhaber genießt diplomatische Privilegien, unter anderen die visumfreie Einreise in verschiedene Länder wie die Türkei, Jordanien, den Libanon, Ägypten, Marokko sowie die meisten afrikanischen und asiatischen Länder.

Wenn as-Shagaabi ein Terrorist ist, wie kann er dann mit einer Art Diplomatenpass ausgestattet werden?

Wer hat den Spezialpass ausgestellt?

Laut Corruption Black Box ist Mustafa al-Manea für die Ausstellung des Spezialpasses an as-Shagaabi verantwortlich. Al-Manea, zum Führungskader der Moslembruderschaft gehörig, musste ebenfalls vor der LNA aus Bengasi fliehen und ist heute Rechtsbeistand der Libyschen Zentralbank in Tripolis sowie Mitglied des Verwaltungsrates der LIA. Ihm wird vorgeworfen, die Bank zu kontrollieren, indem er sie seit Jahren mit seinen strategischen und hoch sensiblen Dossiers infiltriert. Seine Karriere in Tripolis begann al-Manea bei der Libyschen Zentralbank (CBL) als Assistent von Siddik al-Kabir.

Laut dem libyschen Gesetz über die Organisation der politischen und konsularischen Arbeit und dessen Durchführungsbestimmungen wurde die Berechtigung zur Erteilung von Sonderpässen festgelegt. Darin ist nicht vorgesehen, dass bei der LIA beschäftigten Beratern Spezialpässe ausgestellt werden.

Der große Filz von Tripolis

Mustapha al-Maneas Bruder, Ali al-Manea, ist Vorsitzender der sogenannten Vertriebenenvereinigung von Bengasi (Benghazi Displaced Families 'Association), die enge Beziehungen zum Präsidenten des Hohen Staatsrat, Dar al-Iftaa, und Mitgliedern des Präsidialrats in Tripolis wie dem Erziehungsminister, Mohamed Ammari Zayed, pflegt.

Auf Nachfragen von Journalisten beim Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis in der für die Ausstellung von Diplomaten- und Spezialpässen zuständigen Abteilung sagte der Beamte, dass es sich bei dem Pass von Shagaabi um einen gültigen Spezialpass handle. Diese Art von Pässen würde nach Zustimmung des Außenministers auf Anweisung der Behörden ausgestellt. Es sei in seiner Abteilung keine Mitteilung über den Erlass eines Haftbefehls oder der Widerruf des Spezialpasses von as-Shagaabi eingegangen. Man sei davon ausgegangen, dass diese Person einem Sicherheitscheck unterzogen worden sei.

In Libyen scheint es Behördenpraxis zu sein, als Verschleierungstaktik bei der Ausstellung von Papieren die Familiennamen wegzulassen, um die Identifizierung von Personen zu erschweren. Schon bei der Ernennung von Mustafa al-Manea zum Verwaltungsratsmitglied von LIA am 23. Februar 2019 wurde auch sein Name nur als Mustafa Mohammed Ali angegeben, unter Weglassung seines Familiennamens al-Manea. Die Ernennung von al-Manea erfolgte durch den Vorsitzenden der ‚Einheitsregierung‘ Fayez as-Sarradsch, der auch umstrittener Vorsitzender der Verwaltungsbeirats der LIA ist. Sarradsch seinerseits soll durch Siddik al-Kabir zur Ernennung von al-Manea gedrängt worden sein.

Der politische Hintergrund

Dieser öffentliche Streit zwischen dem Innenminister Bashaga und Shagaabi entbrannte wenige Tage, nachdem Bashaga von Konsultationen in den USA zurückgekehrt war. Am 25. November erklärte Bashaga öffentlich in Tripolis, dass die Kontrolle der Milizen über die staatlichen Institutionen beendet werden müsse. Er kritisierte die Zusammenarbeit von Beamten mit Milizen und Kriminellen.

Nach dieser Aussage Bashagas gab das US-Außenministerium bekannt, dass hochrangige US-Beamte am 24. November mit dem Oberbefehlshaber der LNA, Feldmarschall Haftar, zusammengetroffen waren, um über das weitere Vorgehen und eine politische Lösung des Libyenkonflikts zu beraten. Die USA legten dabei besonderes Gewicht auf die Bekämpfung von Milizen und Extremisten sowie auf die Verteilung der Ressourcen zum Wohle aller Libyer.

Wollte Innenminister Bashaga zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Die Forderungen der USA nach Bekämpfung der Extremisten erfüllen und gleichzeitig einen lästigen Mitwisser über die Klinge springen lassen? Und ist Bashaga ein ‚aufrechter Kämpfer‘ oder ein Terrorist?

https://www.addresslibya.co/ar/archives/85572

https://almarsad.co/en/2019/11/27/special-report-an-alleged-terrorist-with-a-special-passport-courtesy-of-gnas-foreign-ministry/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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