Schwere Anschuldigungen gegen die USA

Libyen/AFRICOM. Haben die USA Mitte Mai 2020 den Luftangriff auf den damals von der LNA gehaltenen Luftwaffenstützpunkt al-Watiya im Westen Libyens ausgeführt und nicht die Türkei?

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Den Milizen der damaligen ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch (mit Sitz in Tripolis) war es am 18. Mai 2020 mit Hilfe von Luftangriffen und syrischen Söldnern beim dritten Versuch gelungen, den bis dahin von der Libyschen Nationalarmee (LNA) gehaltenen Luftwaffenstützung al-Watija einzunehmen. Offiziell wurde bisher davon ausgegangen, dass die Luftunterstützung von einer türkischen Fregatte aus erfolge, die vor der Westküste Libyens kreuzte.[1]

Der libysche Journalist Mahmoud al-Misrati ging schon vor einiger Zeit mit einer andere Version der damaligen Vorgänge an die Öffentlichkeit. Die LNA habe sich aufgrund eines Angriffs von AFRICOM (United States Africa Command) von der Luftwaffenbasis al-Watija zurückgezogen – und nicht aufgrund von türkischen Drohnenangriffen. AFRICOM habe direkt in die Kämpfe eingegriffen und die in al-Watiya stationierten Pantsir-S1-Luftabwehrsysteme der LNA zerstört, so dass die LNA gezwungen war, al-Watiya aufzugeben. Die USA hätten auch mit weiteren Luftangriffen gedroht, falls sich die Armee nicht vollständig aus der libyschen Hauptstadt Tripolis zurückziehen würde.

Von der LNA wurden die Behauptungen von al-Misrati nicht kommentiert, ihnen wurde aber auch nicht widersprochen. Im östlichen Libyen kursieren schon länger Gerüchte, dass die Luftabwehrsysteme der LNA im Luftwaffenstützpunkt von den USA bombardiert worden seien. Die erste offizielle Bestätigung der LNA, dass die USA tatsächlich ihre Streitkräfte ins Visier genommen haben, kam von Admiral Faradsch al-Mahdawi , der in einem Interview mit pronews.gr, das im Juli aufgenommen, aber erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, erklärte: „Die Raketen kamen von amerikanischen und nicht von türkischen Schiffen“ und hinzufügte: „Die Amerikaner haben uns in al-Watiya bombardiert“.

Für diese Version sprechen auch Indizien in Form von Fotos und Videos, die den robust gebauten Hangar, in dem sich das Pantsir-S1-Luftabwehrsysteme befand, nach dem Einsturz zeigen, und der kaum durch den Angriff türkischer Drohnen mit leichter Munition verursacht sein konnte. Auf einem von der Türkei veröffentlichten Video des Angriffs auf al-Watiya sind nur leicht bestückte türkische Drohnen zu sehen, von dem direkten Treffer des Hangars existieren jedoch keine Aufnahmen.

Eine vom damaligen libyschen Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘ veröffentlichte Erklärung, in der es hieß: „Wir verurteilen den brutalen Angriff auf den Luftwaffenstützpunkt Uqba bin Nafie [Al Watiya] durch eine türkische Fregatte, die in libysche Hoheitsgewässer eingedrungen ist“ sollte wohl eher von den wahren Schuldigen ablenken, denn die Erklärung bezog sich auf eine türkische Fregatte der G-Klasse. Die Hauptaufgabe der türkischen Fregatten der G-Klasse ist jedoch die Luftverteidigung. Sie verfügen nur über Schiffs- und Luftabwehrraketen, die nicht für den Einsatz gegen Ziele an Land bestimmt sind. Die Türken setzten ihre Fregatten hauptsächlich zur Luftabwehr der LNA-Drohnen ein. Daher scheint ein Angriff mit Marschflugkörpern von einem US-amerikanischen Schiff die wahrscheinlichere Version zu sein.

Nach der Einnahme von al-Watiya durch die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ und deren syrische Söldner wurde eine dort erbeutete Pantsir-S1 auf den in Deutschland gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein gebracht. Die USA bezogen nach dem Fall von al-Watiya auch Stellung gegen die LNA und trafen sich mit der Führung der ‚Einheitsregierung‘.

Es liege auf der Hand, warum die USA ihre Intervention zugunsten der Türkei und der Regierung in Tripolis geheim halten wollen. Griechenland und Frankreich, zwei ihrer NATO-Verbündeten, unterstützten die LNA und deren Oberkommandierenden, auch weil zwischen der damaligen ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch und der Türkei getroffene Abkommen – wie das über den Verlauf gemeinsamer Seegrenzen – nicht nur gegen internationales Recht, sondern auch gegen deren Interessen verstieß. Ein offenes Eingreifen der USA gegen die LNA hätte zu erheblichen Spannungen innerhalb der NATO geführt. Aus diesem Grund versuchten US-amerikanische Beamte, öffentlich eine neutrale Haltung gegenüber Libyen einzunehmen.

Nachdem die Situation in Libyen immer unhaltbarer wird, scheint die USA wieder bemüht, sich der LNA anzunähern. So gab es am 10. August in Kairo ein Treffen zwischen dem LNA-Oberkommandierenden Haftar und dem US-Botschafter in Libyen, Richard Norland.

LibyaReview schlussfolgert: „Da die Wahlgespräche im Sande verlaufen und die neue GNU-Regierung es nicht schafft, die Institutionen zu vereinen und die ausländischen Söldner aus Libyen zu vertreiben (die Türkei hat sich wiederholt geweigert, sie abzuziehen), scheint eine neue Krise vor der Tür zu stehen, die nicht nur die Annäherung zwischen den USA und der LNA, sondern auch den Zusammenhalt der NATO selbst auf die Probe stellen wird.“

[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/kurznachrichten-aus-libyen-20-05.2020

https://libyareview.com/15843/did-the-united-states-really-bomb-the-libyan-national-army-in-al-watiya-base/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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