Unsichere Lage im Tschad

Libyen/Tschad/LNA. Die Tötung des tschadischen Präsidenten Déby und Kämpfe mit Aufständischen im Grenzgebiet zu Libyen könnten die gesamte Region destabilisieren.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bereits am 14. April wurde berichtet, dass von libyschem Gebiet aus bewaffnete Aufständische der Front for Change and Concord in Chad / Front für Wandel und Eintracht im Tschad (FACT) in den Tschad eindrangen, um den Kampf gegen die tschadischen Regierungstruppen aufzunehmen. Bereits einen Tag vorher hatte FACT verkündet, die im Norden des Tschads gelegene Region Tibesti vollständig unter Kontrolle gebracht zu haben. Dies dürfte nicht schwierig gewesen sein, da der dort beheimatete Stamm der Tibu die FACT unterstützt.

Am 17. April gab die tschadische Armee bekannt, dass sie einen Konvoi von Aufständischen, der aus Libyen kam, „zerstört“ habe. Es sollen 300 Kämpfer getötet worden sein. Ausgerechnet der 17. April war auch der Tag, an dem das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vom 11. April verkündet wurde und die Idriss Déby mit 79 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Wenig später war Déby tot. Ein Regierungssprecher gab bekannt, dass der 68-jährige Staatschef seinen schweren Verletzungen, die er sich bei Zusammenstößen mit einer Rebellengruppe an der Front zugezogen hatte, in der Hauptstadt N’Djamena erlegen sei. Es fragt sich, warum sich ein 68-jähriger, gerade neu gewählter Regierungschef in das Kampfgetümmel an der Front stürzen soll.

Idriss Débry wurde am 23. April beigesetzt, Frankreichs Präsident Macron saß bei der Beerdigung neben Idriss Débys Sohn und Nachfolger, Mahamat Idriss Déby, um diesen zu stärken. Andere westliche Regierungschefs waren nicht zugegen. Auch übten die Europäer bei den Stellungnahmen zu den Vorgängen im Tschad Zurückhaltung und die Presse verwies immer wieder auf die Menschenrechtsverstöße der Regierung Déby und darauf, dass die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch das Militär nicht verfassungsgemäß sei. Die USA hatten ihre Mitarbeiter im Tschad sowieso schon angewiesen, das Land zu verlassen.

Mahamat Idriss Déby hat die Führung einer militärischen Übergangsregierung übernommen. Regierung und die Nationalversammlung wurden aufgelöst, ein Übergangsmilitärrat ernannt und die Verfassung außer Kraft gesetzt; sie soll durch eine nationale Übergangscharta ersetzt werden. Luft- und Landgrenzen wurden geschlossen und eine Ausgangssperre verhängt.

Die aufständische FACT erklärte inzwischen, sie wolle ihre Offensive in Richtung Hauptstadt N'Djamena fortsetzen, ihre Kämpfer sollen zum Teil unter dem Kommando der libyschen Miliz von Yad Usama Gweli stehen, ein wichtiger Verbündeter der Türkei in Libyen. Der Türkei wird nachgesagt, die FACT mit Waffen und Geld zu unterstützen. Der Konflikt in Libyen hat unmittelbare Auswirkungen auf den Tschad und andere angrenzende Staaten, wobei Frankreich in Gegnerschaft zur Türkei und den islamistischen Gruppieren steht.

Französische Luftstreitkräfte sollen im Norden Tschads in den vergangenen beiden Tagen Stützpunkte der Rebellen bombardiert haben. Dabei soll der Anführer der Rebellen getötet worden sein. Im Tibesti-Gebirge und entlang der Grenze zu Libyen kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Konfrontationen zwischen Rebellen und der tschadischen Armee. Im Februar 2019 stoppten auf Bitten der tschadischen Regierung französische Bomber den Vormarsch der Rebellen.

Vor allem Libyen befürchtet, dass die gewaltsamen Vorgänge im Tschad eine Rückwirkung auf ihr Land haben. Am 21. April gaben die Streitkräfte der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter Feldmarschall Haftar bekannt, Truppen seien zur Verstärkung des Grenzschutzes unterwegs zur libysch-tschadischen Grenze. Schon bald konnte sie die Beschlagnahmung einer großen Menge Waffen in liegengebliebenen Fahrzeugen melden. In einer Stellungnahme hieß es: „Die Kampfbereitschaft aller Land- und Luftstreitkräfte wurde im südöstlichen Bezirk Kufra nahe der Grenze zu Tschad nach dem Tod von N'Djamenas langjährigem Präsidenten Idriss Déby erhöht.“ Am 23. April erklärte die LNA, sie habe eine bewaffnete Luftaufklärungsoperation entlang der Grenze zwischen Libyen und dem Tschad durchgeführt. Man beobachte die weitere Entwicklung im Norden des Tschads vom Stützpunkt as-Sarra aus.

Déby hatte 1990 an der Spitze einer bewaffneten Rebellion die Macht ergriffen und war zuletzt ein sicherer Verbündeter Frankreichs und des Westens. Die tschadische Armee gilt als bestens ausgebildet und ist für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich unverzichtbar beim Kampf ihrer dort stationierten französischen Soldaten und Kampfflieger, die gegen den ‚islamistischen Terrorismus‘ in der Region ins Feld ziehen. Die tschadische Armee hatte 2013 den Franzosen sogar in Mali geholfen, gegen Extremisten vorzugehen.

Der Tschad ist ein unglaublich armes Land, aber reich an Bodenschätzen. Das Vorgehen der Regierung gegen politische Gegner ist brutal und Frankreich als ehemalige Kolonialmacht im Land unbeliebt. Islamistische Kräfte und al-Kaida gewannen an Stärke, zuletzt wohl auch unterstützt von der Türkei, die sich über das besetzte westliche Libyen einen Zugang zu den subsaharischen Gebieten verschaffen will. Bereits Ende September 1998 hatte sich auf Initiative Gaddafis die Gemeinschaft der Sahara-Sahel-Staaten mit den Mitgliedern Libyen, Burkina Faso, Mali, Sudan und Tschad gegründet, um die Einigung der afrikanischen Staaten voranzubringen. Diese Gemeinschaft wurde vom Westen nach dem Nato-Krieg 2011 und dem Zusammenbruch Libyens als militärischer G5-Sahelstaatenverbund wiederbelebt, nun unter westlicher Führung. Der Türkei ist daran gelegen, auch ihren Einfluss in diesen Staaten geltend zu machen und ihre Bedeutung als Regionalmacht zu vergrößern.

Der Stamm der Tibu, der in dem Grenzgebiet länderübergreifend sein Siedlungsgebiet hat und in der Regel in Gegnerschaft zu den politischen Kräften im Osten Libyens und der LNA stehen, ließ schnell durch den Präsident des Tibu-Kongresses die Botschaft an den US-Botschafter in Libyen, Richard Norland, melden, dass die russische Wagner-Gruppe Militäroperationen gegen den Tschad unterstütze. Dies klingt mehr als unwahrscheinlich, steht doch die private Wagner-Gruppe in Libyen auf Seiten der LNA und ist die LNA der Feind aller dschihadistischen Gruppierungen und Moslembrüder, insbesondere der Türkei. Es dürfte sich bei dieser Aussage der Tibu um ein reines Ablenkungsmanöver handeln, denn Frankreich unterstützte bisher – anders als die restliche EU – in Libyen die LNA und die LNA betrachtete ihrerseits den getöteten tschadischen Präsidenten als einen ihrer wichtigsten Sicherheitsverbündeten, der die Islamisten an der südlichen Grenze Libyens in Schach hielt. Die Tibu sind an schwachen Nationalregierungen interessiert, von denen sie sich mehr Autonomie versprechen und sie hoffen auf mehr Beteiligung an den Einnahmen durch die in ihren Stammesgebieten geförderten Rohstoffe.

Der libysche Politanalyst Hussein Muftah geht davon aus, dass die Vorkommnisse in Libyen und im Tschad in einem engen Zusammenhang stehen, da die Aufständischen im Tschad von Libyen aus finanziert und ausgebildet werden. Muftah sagte auf SkyNewsArabia, dass die Ereignisse im Tschad enorme Auswirkungen auf die gesamte Region haben und mit Besorgnis verfolgt werden. Sollte es den FACT gelingen, Gebiete an der Grenze zu Libyen zu kontrollieren, würde dies erhebliche Auswirkungen in Libyen haben. Muftah: „Wir müssen auch den nördlichen Niger und die Bewegungen von IS-Kämpfern im Auge behalten, die in Zusammenhang mit dem Vormarsch von Boko Haram an der subsaharischen oder südafrikanischen Küste stehen.“ All diese Ereignisse werden die Situation und Stabilität in Libyen negativ beeinflussen und islamistischen Kräften in Libyen Auftrieb geben. Muftah forderte die Länder der gesamten Region dazu auf, gemeinsam und entschlossen gegen diese Gruppen vorzugehen.

Der libysche Politanalyst as-Suwaei wies darauf hin, dass durch den Tod von Präsident Déby ein Sicherheitsvakuum in Libyen entstanden ist. Die Situation erfordere, dass Tripolis möglichen geopolitischen Veränderungen im Tschad nicht nachgibt.

Die unzugänglichen saharischen Grenzgebiete an der libysch-tschadischen Grenze sind nur schwer zu kontrollieren und es wird befürchtet, dass sich FACT-Aufständische dorthin zurückziehen könnten, um den Kampf gegen die tschadische Regierung fortzusetzen Die Bundesregierung hat schon mal die Fortsetzung und Aufstockung des Bundeswehreinsatzes in Mali beschlossen.

Für die EU eine schwierige Situation, unterstützt sie doch in Libyen die von der Türkei gestützte GNU-Übergangsregierung von Dabaiba, während sie in den Sahelstaaten zusammen mit Frankreich gegen islamistische Gruppierungen und al-Kaida Krieg führt, die von ihrem Libyen-Verbündeten Türkei unterstützt werden.

Eines ist allen ausländischen Staaten, die in dieser Region unterwegs sind, gemeinsam: Ihr Interesse gilt den Rohstoffen und ist rein geostrategischer Natur. Für die betroffenen Sahelländer bringen sie ausnahmslos Leid.

Karte Libyen/Grenzgebiete: https://gela-news.de/category/karten

https://libyareview.com/12086/chadian-army-destroys-convoy-of-rebels-coming-from-libya/
https://www.libyaherald.com/2021/04/15/after-chadian-insurgents-move-from-libya-to-chad-u-s-embassy-reiterates-the-need-for-a-libya-free-from-foreign-interference-and-in-control-of-its-borders/
https://www.chinadaily.com.cn/a/202104/20/WS607ebe51a31024ad0bab9278.html
https://libyareview.com/12086/chadian-army-destroys-convoy-of-rebels-coming-from-libya/
https://de.rt.com/afrika/116302-tschads-praesident-idriss-deby-ist-tot/
https://twitter.com/MLNA2021/status/1384903803456139265
https://libyareview.com/12162/libyan-army-seizes-large-amount-of-weapons-in-the-south/
https://www.srf.ch/news/international/tschad-das-ausland-schweigt-zum-undemokratischen-machtwechsel
https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/deby-trauerfeier-101.html

https://twitter.com/AMI_Q08/status/1384590875569831937
https://www.reuters.com/article/tschad-rebellen-idDEKBN2C81FM
https://twitter.com/LibyaReview/status/1384809371348127744
https://almarsad.co/en/2021/04/21/muftah-chads-situation-will-affect-libya-negatively/
https://almarsad.co/en/2021/04/21/al-suwaei-debys-death-has-dangerous-repercussions-to-libyas-security/
https://almarsad.co/en/2021/04/23/lna-strengthened-combat-readiness-along-border-with-chad/
https://www.tagesschau.de/inland/bundeskabinett-bundeswehr-mali-103.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden