Warum die ‚Einheitsregierung‘ abdanken muss

Libyen. In einem Brief an die Liga der Arabischen Staaten fordert die libysche Ihya-Bewegung, dem Präsidialrat und der ‚Einheitsregierung‘ die Anerkennung zu entziehen.

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Auszug aus dem Schreiben von Prof. Aref Ali Nayed, dem Vorsitzenden der Ihya Libya Movement, an den Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Aboul Gheit:

In diesem offenen Brief habe ich die Ehre, Eurer Exzellenz die höchste Wertschätzung der Mitglieder der Ihya-Libyen-Bewegung zu übermitteln, eines libyschen nationalen Blocks von Akademikern, Politikern und Gemeindeführern, die eine gemeinsame Vision für Libyen teilen, die Ihya-Libyen-Vision 2023, die von einem Team vielversprechender Jugendlicher am Libya Institute for Advanced Studies ausgearbeitet wurde.

Ich möchte Ihrer Exzellenz auch unseren herzlichen Dank und unsere Anerkennung für Ihre ehrenwerte nationale Haltung gegenüber unserem Land, Libyen, und seinem Volk, das gegenwärtig einer neuen unmittelbaren kolonialen Bedrohung ausgesetzt ist, übermitteln. Dies ist der Unverfrorenheit des Präsidialrats der ‚Einheitsregierung‘ zuzuschreiben, der auf ungesetzliche Weise Verträge und Vereinbarungen unterzeichnen, die nicht vom gewählten libyschen Parlament [Repräsentantenhaus/HoR] ratifiziert wurden, obwohl das Parlament das einzige gesetzgeberische Organ in Libyen darstellt. Diese ungesetzlichen Handlungen haben die nationale Sicherheit Libyens und seiner Nachbarn gefährdet und sie sind im Begriff, erschreckende regionale Konfrontationen und einen blutigen neuen Bürgerkrieg auszulösen. Deshalb appellieren wir an Ihr erhabenes Haus, die Rücknahme der Anerkennung des Präsidialrats und seiner ‚Einheitsregierung‘ in Betracht zu ziehen, da sie zu einer Geißel für Libyen und sein Volk geworden sind.

Bereits am 28. November 2019 baten wir den ehemaligen UN-Sondergesandten für Libyen, Herrn Ghassan Salamé um die Rücknahme der Anerkennung des Präsidialrats und seiner ‚Einheitsregierung‘ durch die UN, damit diese nicht weiterhin Vereinbarungen und Memoranden of Understandings (MoU) mit der Türkei und anderen Ländern abschließt, die nichtig sind. Die Gründe hierfür:

  1. Der Präsidialrat ist nicht gewählt und wurde weder ernannt noch von einem gewählten Gremium bestätigt. Er spiegelt nicht den Willen des Volkes wider, der die Grundlage der Gesetzesgebung bildet.
  2. Dem Präsidialrat ist es bei zwei Abstimmungen misslungen, das Vertrauen der Mitglieder der gewählten gesetzgebenden Körperschaft, des libyschen Parlaments, für seine Regierung zu gewinnen. Darüber hinaus wurden die Mitglieder der ‚Einheitsregierung‘ nicht vor dem gewählten libyschen Parlament vereidigt.
  3. Der Präsidialrat hat alle Klagen verloren, die vor libyschen Gerichten gegen ihn angestrengt worden waren. In mehreren Verfahren wurde entschieden, dass der Präsidialrat „keine Rechtsfähigkeit“ hat und dass alle seine Entscheidungen, Handlungen und Tätigkeiten nichtig und ungültig sind und somit als Wirtschaftsverbrechen gelten, die unter keine Verjährungsfrist fallen.
  4. Der Präsidialrat hat viele seiner Mitglieder entweder durch Rücktritt oder Boykott verloren. Die Entscheidungen des Präsidialrats sollten aber im Kollektiv getroffen werden; daher hat er durch den Verlust der meisten seiner Mitglieder seinen rechtlichen Status als Kollektiv verloren.
  5. Gemäß dem politischen Abkommen von Skhirat (das nie in die Verfassungserklärung aufgenommen wurde) ist die Amtszeit des Präsidialrats auf ein Jahr begrenzt und kann höchstens um ein weiteres Jahr verlängert werden. Dessen ungeachtet hält der Präsidialrat ohne jede rechtliche Grundlage bereits im fünften Jahr an seinem Machtmonopol fest.
  6. Obwohl der Präsidialrat in weniger als 10% der libyschen Gebiete seine Autorität ausüben kann und weniger als 1 % der natürlichen Ressourcen unter seiner Kontrolle hat, nutzt er die internationale Anerkennung, um 100 % der finanziellen Ressourcen des libyschen Volkes zu kontrollieren. Dies geschieht mit Hilfe des Vorsitzenden der Libyschen Zentralbank, der bereits zweimal vom libyschen Parlament seines Postens enthoben wurde und seine vorgesehene Amtszeit um Jahre überschritten hat.
  7. Der Präsidialrat hat die öffentlichen Gelder des libyschen Staates unrechtmäßig und ohne jegliche Billigung oder Genehmigung des libyschen Parlaments vereinnahmt, ausgegeben und vergeudet.
  8. Der Präsidialrat hat mit öffentlichen Geldern, die dem libyschen Volk gehören, terroristische Gruppen wie den Revolutionären Schura-Rat Bengasi, dem Schura-Rat von Derna und andere finanziert.
  9. Am 28. November 2019 wagte es dieser Präsidialrat erneut, ohne die Zustimmung des libyschen Parlaments dubiose bilaterale Abkommen und Verträge mit der Türkei abzuschließen. Die Dokumente sind inhaltlich vage und in ihren Konsequenzen bedenklich. Sie haben dazu geführt, dass mehr als zehntausend terroristische Söldner nach Libyen gebracht wurden, ganz zu schweigen von Tonnen von Waffen, Material und Munition. Dies stellt eine eklatante Verletzung des Waffenembargos dar, das vom Sicherheitsrat gegen Libyen verhängt wurde.

In Anbetracht all der hier aufgeführten Punkte ist es höchste Zeit, dass die Vereinten Nationen international geltende Standards zur Anerkennung von Exekutivbefugnissen des Präsidialrat und seine ‚Einheitsregierung‘ anwenden. Würden diese Standards tatsächlich angewandt, wäre vollkommen klar, dass es sich bei diesem Präsidialrat de facto um eine Regierung handelt, deren Status in der Realität schon längst zusammengebrochen ist; die Vereinten Nationen hätten ihre Anerkennung daher schon vor Jahren zurückziehen müssen.

Der Entzug der internationalen Anerkennung würde den Schwierigkeiten eines ganzen Volkes und den despotischen Handlungen und der ungerechten Veruntreuung der Ressourcen des libyschen Volkes durch eine Regierung ein Ende setzen, die nach den Urteilen der libyschen Justiz keinerlei rechtliche oder verfassungsmäßige Grundlage hat, um zu regieren.

Soweit das Schreiben von Aref Ali Nayed, dem Vorsitzenden des Ilhya Libya Movement. Und so viel zum Rechtsverständnis der UNO und der internationalen Gemeinschaft, die frei nach dem Motto verfährt: legal, illegal, scheißegal. Hauptsache, die uns hörige Regierung bleibt an der Macht.

Welchen Schaden die ‚internationale Gemeinschaft‘ damit der Glaubwürdigkeit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zufügt: wohl auch scheißegal.

https://almarsad.co/en/2020/06/22/ihya-libya-movement-to-the-arab-league-withdraw-recognition-of-the-presidential-council/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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