Warum ein Libyer den Pulitzer-Preis erhält

New York/Libyen. Der Autor Hisham Matar stilisiert in seinen Romanen einen Terroristen zum Helden und erhält dafür 2017 den Pulitzer-Preis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Seit Generationen gibt es in Libyen Kämpfe um Freiheit und Macht
Seit Generationen gibt es in Libyen Kämpfe um Freiheit und Macht

Surian Soosay

Eigentlich wäre es ein Grund zur Freude, wenn ein libyscher Autor den renommierten amerikanischen Pulitzer-Preis für Biographie oder Autobiographie[1] gewinnt. Allerdings weicht die Freude schnell zunächst Erstaunen, dann Entsetzen, liest man den Namen des Geehrten: Hisham Matar!

Wer ist Hisham Matar? Hisham Matar ist der Sohn seines Vaters Dschaballah Matar. Vater-Sohn-Beziehungen waren denn in den drei Werken[2] Hisham Matars auch das Thema. Das erste handelte von einem jungen Libyer und dessen Zusammenleben mit einem Vater, der gegen Gaddafi kämpfte. Im zweiten Buch geht es um einen jungen Mann, der im Exil im Kairo lebt und dessen Vater entführt wurde. Matars dritter Roman, der ihm nun den Pulitzer-Preis bescherte, heißt The Return: Fathers, Sons and the Land in Between („Väter, Söhne und das Land dazwischen“). Alle drei bisher von Matar veröffentlichten Bücher tragen stark autobiografische Züge, allerdings fallen wichtige Wahrheiten unter den Tisch.

Während in den Büchern Hishams Vater Dschaballah zu einem Helden hochstilisiert wird, der den Kampf gegen Gaddafi aufnahm, war dieser in Wahrheit ein gefährlicher Terrorist, in dessen Kairoer Wohnung sich in den 1980er Jahren die Mitglieder der von der CIA unterstützten Terrorgruppe National Front fort he Salvation of Libya (Nationale Front für die Rettung Libyens – NFLS) trafen. Laut CIA war die NFLS die größte und aktivste libysche Oppositionsgruppe und Matar der Kopf dieses gegen Gaddafi gerichteten Komplotts.[3]

Das geteilte Berlin war zu Zeiten des Kalten Kriegs ein Tummelplatz für Geheimdienste aller Couleur. Hier trieben auch ein anderer Libyer, Ragab Mabruk Zatout, und mit ihm die Terrorgruppe Al Burkan (Der Vulkan) ihr Unwesen, ebenfalls mit dem Ziel, Gaddafi zu stürzen.[4] Dschaballah Matar war öfter Gast in Berlin und hatte gemeinsam mit Zatout zu dem verbrecherischen Bauunternehmer Hilmar Hein Kontakt, der für die Gruppe Waffen besorgte und andere kriminellen Aufträge erledigte. Dschaballah Matar war bei der Berliner Staatsanwaltschaft und Polizei genauso aktenkundig wie beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim MAD und BND sowie bei der CIA, dem MI6 und bei Scotland Yard. Dank der guten Beziehungen Matars zu einer Düsseldorfer Baufirma war es ihm möglich, als Mitarbeiter getarnte Agenten und Regierungsgegner nach Libyen einzuschleusen. Mark Altten beschreibt, wie das Trio Hein, Zatout und Matar das Bordell Regina in Berlin besuchte und den Chef des Etablissements, den ehemaligen Fremdenlegionär Dieter Harbecke, kennenlernten. Laut Altten ein „Mann fürs Grobe“. Und Der Spiegel berichtete, dass Mittelsmänner von Zatout und Matar in London Hilmar Hein von ihren Anschlagsplänen erzählt hatten: „Sie wollen Anschläge auf die libyschen Botschaften, die Volksbüros, in Bonn und Brüssel verüben. Aber das soll nur der Anfang sein: Es gehe darum, Gaddafi zu beseitigen. Ob er ihnen helfen könne? Es gibt 30 Millionen Dollar dafür.“ [5] Hein begab sich auf Killersuche, so von mehreren Personen aktenkundig bezeugt. Laut Altten „lagern noch heute auf einer französischen Bank in Genf einige Millionen, an die nur heranzukommen ist, wenn zwei Unterschriften aus dem Dreigestirn Matar-Zatout-Hein vorgelegt werden können.“ Blutgeld für den Mord an Gaddafi.

Die im Ausland tätigen, libyschen Terrororganisationen stehen zusammen mit der CIA nicht nur in Verbindung mit dem Tod einer jungen Polizistin in London und dem Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin mit drei Toten und vielen Schwerverletzten.[6] Mark Altten listet die Verbrechen, begangen zwischen Ende Januar 1984 und Ende Februar 1985, auf:

„Am 21. Januar 1984 wurde in Rom der Libyer Ammar Taggazy von Unbekannten erschossen.
Am 28. Februar 1984 starb in Würzburg ein in Libyen tätiger Koch
Am 17. April 1984 verletzten in London Pistolenkugeln die Polizistin Yvonne Fletcher tödlich.
Mitte August 1984 fand das Leben des libyschen Geschäftsmannes Ali el-Gia-hour in einer Londoner Wohnung ein grausames Ende.
Am 14. Oktober 1984 wurde ein Anschlag auf eine libysche Einrichtung in Bonn verübt.
Am 13. Januar 1985 starb bei einem Anschlag in Rom der Libyer Farag Makhyoun.
Am 28. Feburar 1985 wurde in Wien der aus Libyen stammende Ezzedin al-Ghadamsi durch Schüsse schwer verletzt.“

Diese Terroraktionen sollten den Sturz Gaddafis in Libyen vorbereiten. So griffen am 8. Mai 1984 NFSL-Leute das Hauptquartier und die Privatwohnung von Gaddafi in der Bab al-Asisija-Kaserne in Tripolis an. Laut Süddeutscher Zeitung kam es zu einem fünfstündigen Feuergefecht, bei der alle Angreifer und dutzende von Gaddafis Leibwächtern getötet wurden. Gaddafi selbst überlebte. In den Berliner Polizeiakten steht dazu: „Zatout ist der Mitbegründer der libyschen Dissidentenbewegung Libyan National Salvation Army.“ Und: „Zatout ist als Angehöriger der LNSA anzusehen, der auch Matar zuzurechnen sein dürfte. Als Deckbezeichnung dieser Gruppierung wurde auch der Name Al Burkan bekannt.“[7]

Bevor sich Dschaballah Matar dem Terrorgeschäft zuwandte, war er unter Gaddafi zunächst Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, wo auch sein Sohn Hisham zur Welt kam. 1973 legte er sein Amt nieder und die Familie kehrte nach Libyen zurück, bevor sie 1979 – wie viele andere reiche Libyer in jenen Jahren – nach Ägypten emigrierte.

Später besaß der stinkreiche Matar neben seiner Wohnung in Kairo nicht nur einen Landsitz im vornehmen englischen Yorkshire, sondern auch eine Adresse im US-amerikanischen Virginia, nur wenige Blocks von Zatouts Haus entfernt. Doch im Jahr 1990 nahmen die ägyptischen Behörden Matar in Kairo fest und übergaben ihn der libyschen Justiz. Laut offiziellen Angaben saß er bis 2011 in Tripolis im Gefängnis. Danach verliert sich seine Spur. Sein Sohn Hisham behauptet, er sei von Gaddafi ermordet worden. Was sonst.

2011, das Jahr des NATO-Kriegs gegen Libyen, wurde Hisham Matar als Schriftsteller hochgejubelt. Nicht nur bei Amnesty International fanden seine Werke lobende Erwähnung, sondern auch in der FAZ. Er war ein umworbener Interviewpartner der westlichen Medien, die seinen Vater geschickt als Opfer des „Gaddafi-Regimes“ aufbauten.

Ein anderer Sohn von Dschaballah Matar heißt Ziad. Er forderte 2011 ebenfalls die Freilassung seines Vaters und wollte ein schnelleres Tempo der NATO-Operationen in Libyen. Er war, wie auch sein Vater und sein Bruder, führendes Mitglied der NFSL.

Die Praxis, politisch höchst fragwürdige Personen mit höchsten Preisen auszuzeichnen greift immer mehr um sich. Man denke nur an den Friedensnobelpreis für Barak Obama und die Europäische Union oder an den Film-Oscar für den Dokumentar-Kurzfilm „The White Helmets“[8] über die syrischen Weißhelme, bewiesenermaßen Unterstützer der Al-Nusra-Front und des IS, vor allem finanziert vom britischen Außenministerium und USAID[9]. Nicht nur, dass damit die Preisverleihungen zu einer politischen Farce verkommen, entwürdigen sie auch ältere Preisträger, deren Werke noch für Qualität und Haltung standen und nicht für politischen Opportunismus.

Wieso wird gerade Hisham Matar mit dem Pulitzer-Preis für Biographie und Autobiographie geehrt? Die wahre Biographie des Dschaballah Matar dürfte doch der Jury bekannt gewesen sein. Ist es inzwischen nicht mehr moralisch verwerflich, sondern opportun, Terroristen mit besonderen Ehrungen auszuzeichnen, wenn sie nur die „Richtigen“ ermorden wollten, auch wenn dabei viele Unschuldige starben? So wie Assad weggebombt werden darf, weil er der Böse ist und Giftgas verwendete, obwohl dies weder bewiesen ist noch völkerrechtskonform?

Durch diese Auszeichnung erhält Hisham Matar einen schönen Batzen Preisgeld und die Auflage seiner sonst kaum verkäuflichen Bücher dürfte sich beträchtlich erhöhen. Damit wird ein Propagandapamphlet der US-Politik, das den Regime-Change in Libyen nicht nur rechtfertigt, sondern hochlobt nach dem Motto „der Diktator musste weg“, ein Publikumsinteresse wecken, dass es ohne diese Auszeichnung nicht erreicht hätte. Und der Zirkelschluss funktioniert ebenfalls: Ein Schriftsteller mit einem so hohen Renommee erscheint a priori glaubwürdig.


[1] Der Preis, der mit 15.000 US-$ dotiert ist, wird seit 1917 verliehen. Unter anderem für die Biographien von Charles W. Eliot, Theodore Roosevelt und Oscar Wilde .

[2] Country of Men („Land der Männer“), London 2006 und Anatomy of a Disappearance („Geschichte eines Verschwindens“), London 2011

[3] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011

[4] https://www.freitag.de/autoren/gela/libyer-geheimdienste-waffenschieber

[6] www.freitag.de/autoren/gela/der-anschlag-auf-die-diskothek-la-belle
und: Manfred G. Meyer „Gaddafi, Koks und Knaben – ein CIA-Mordkomplott“, Berlin 2012

[7] Berliner Polizeiprotokoll vom 11.9.1985, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“

[8] „The White Helmets“ („Die Weißhelme“) von Orlando von Einsiedel und Joanna Natasegar, GB 2016

[9] United States Agency for International Development, eine US-amerikanische Behörde zur Koordination der Aktivitäten der US-Außenpolitik im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden