Nirgends wird es geschrieben, nirgends wird es gesagt, wer die wahren Verantwortlichen für das Drama sind, das sich nicht nur in Libyen selbst, sondern auch in der Sahara und auf dem Mittelmeer abspielt. Dabei weiß es jeder: Hätte es 2011 den Krieg gegen Libyen nicht gegeben und hätten Nato-Bomben den libyschen Staat nicht zerstört, gäbe es heute keine Massenflucht von Migranten, die vor allem aus Schwarzafrika stammen und über das Mittelmeer nach Europa wollen.
Bis 2011 hat die Dschamahirija-Regierung dafür gesorgt, dass Migranten sich nicht auf die gefährliche Mittelmeerüberfahrt machen konnten. Es war bis 2011 nicht so, dass Schwarzafrikaner in Libyen ein schlechtes Leben hatten und in Lagern misshandelt wurden, sondern sie fanden als Arbeitskräfte im reichen Libyen ein Auskommen. Für die meisten von ihnen war nicht Europa, sondern bereits Libyen das Endziel ihrer Migrationswünsche.
Daneben unterstützte die libysche Regierung bis 2011 viele Projekte in den angrenzenden Sahelländern Mali und Niger, wie zum Beispiel mobile Schulen für Beduinenkinder. Projekte, an deren Fortführung der Westen, der heute in diesen Ländern den Ton angibt, überhaupt kein Interesse hat. Ihm geht es darum, das neoliberale Projekt voranzubringen, um sich die Bodenschätze dieser Länder, man denke nur an das Gold in Mali oder das Uran im Niger, in bester neokolonialer Manier anzueignen. Selbstverständlich ist auch das Eisenbahnprojekt, das Schwarzafrika durch die Sahara mit der Mittelmeerküste verbinden sollte, seit 2011 Geschichte. Diese Anbindung Schwarzafrikas an die Häfen des Mittelmeeres hätte die afrikanischen Länder wirtschaftlich wirklich ein gutes Stück vorangebracht. Nicht umsonst erfreute sich Gaddafi in den subsaharischen Ländern großer Beliebtheit und war dort das Entsetzen über seinen Sturz besonders groß. Dank des Krieges wurden auch Projekte wie Desertec eingestellt, das in der Sahara erzeugten Öko-Solarstrom über Unterseekabel von Libyen aus nach Italien hätte bringen sollen. Alles, was der Westen afrikanischen Ländern nun anzubieten hat, läuft über die neoliberale Schiene und dient dazu, die ärmsten Länder der Welt weiter auszubeuten.
Hoffnungslos verheddern sich die heute gnadenlos vom Westen abhängigen Regierungen der bitterarmen Sahelländer in den Versuchen, die Sahara-Gebiete zusammen mit Nato-Einheiten militärische abzusichern, um geostrategisch Vorteile zu erlangen und vor allem China aus Afrika zu verdrängen. Was dabei mit der Bevölkerung dieser Länder passiert? Interessiert doch im Westen echt niemanden, auch wenn immer mehr in Elend und Verzweiflung gedrängte Habenichtse versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Ob vom Westen so gewollt oder ungewollt, sei dahingestellt.
In der Sahara wird versucht, die Migranten zunächst davon abzuhalten, überhaupt nach Libyen zu kommen. Ein völlig aussichtsloses Unterfangen. Der Weg wird gefährlicher und teurer, aber die Sahara ist nicht mit Schlagbäumen, Zäunen und Überwachungseinrichtungen abzusichern, wie Berichte aus dem im Niger gelegenen Agadez zeigen.
Sind die Migranten erst einmal in Libyen, werden sie um jeden Preis von dort fliehen wollen. Über die Zustände in den Migrantenlager wurde ja hinlänglich berichtet. Es befinden sich nicht nur die neu hinzugekommenen Migranten auf der Flucht, sondern auch die Schwarzafrikaner, die bis 2011 in Libyen ihr Auskommen fanden, versuchen nun, das zerstörte und am Boden liegende Land in Richtung Europa zu verlassen. Dies würden übrigens inzwischen auch eine große Anzahl Libyer gerne tun.
Und was machen die Europäer? Sie unterstützen genau diese ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch, die für das ganze Flüchtlingselend in Libyen verantwortlich ist und die ohne jede Legitimation an der Macht ist, gesteuert von Milizen und Moslembrüdern, mit deren ganz eigenen Agenda. Wie Regierungsstellen in Tripolis, Milizen und Schlepper in Westlibyen Hand in Hand arbeiten, um sich an den Ärmsten der Armen zu bereichern, ist hinreichend bekannt. Und die Flüchtlingsboote stechen alle von Westlibyen aus in See, von dort, wo die Sarradsch-Regierung nominell das Sagen hat.
Italien rüstet eine hochkriminelle Küstenwache mit modernstem Gerät aus, damit sie Migranten wieder zurück nach Libyen bringt. Es fließt viel Geld, um diese kriminellen Strukturen am Leben zu erhalten. So verdienen Mafiosi, die an diesen mörderischen Geschäften beteiligt sind, doppelt. Sie werden von den Migranten für die Flucht bezahlt und von der EU für die Verhinderung der Flucht. Was spielt das dann für eine Rolle, wenn schwarze Hungerleider zu hunderten und tausenden absaufen, wenn mit ihnen so viel Geld verdient werden kann?
Jedem EU-Politiker ist klar, dass nur eine stabile Regierung in Libyen in der Lage wäre, diese Zustände zu beenden. Doch daran besteht kein Interesse, solange nicht klar ist, dass diese Regierung nach der Pfeife des Westens tanzt. Den Libyern werden Wahlen vorenthalten, den Libyern wird das Recht vorenthalten, ihr Land wieder aufzubauen, den Libyern werden von allen Seiten Waffen geliefert, damit sie sich gegenseitig töten können.
Wie weit wollen es die Europäer noch treiben? Wieviele Tote soll es im Mittelmeer noch geben? Wollen sie es darauf ankommen lassen, dass die EU an der Flüchtlingsfrage zerbricht? Wollen sie Libyen total vernichten? Wie lautete die hoffentlich satirisch gemeinte Überschrift eines Artikels: „Nato muss Libyen dringend noch mal bombardieren!“[1] Und warum, weil ein Saif al-Islam Gaddafi an der Macht unbedingt verhindert werden muss: „Saif al-Islam al-Gaddafi hat unter anderem versprochen, dass durchaus belastende Flüchtlingsthema zu beenden.“ Nur, will man das überhaupt?
Und wie war das noch einmal mit den Menschenrechten?
[1] https://qpress.de/2019/07/24/nato-muss-libyen-dringend-nochmal-bombardieren/
Kommentare 7
Vielen Dank, Frau Gutsche (******). Sie haben völlig recht, die Zerstörung des libyschen Staates 2011 und die bis heute andauernden Folgen sind eine Katastrophe.
Ebenso, dass die ursächlichen Verantwortlichkeiten in der «Bel Etage» der deutschen Medienlandschaft nicht thematisiert werden (dürfen).
Oder kan sich jemand vorstellen (wie Sie es ja am Anfang Ihres Beitrages ja auch gleich benennen) solch einen - den Westen so blossstellenden - Text in (z.B.) der FAZ, der Süddeutschen oder in der ZEIT veröffentlicht zu sehen?
"Und wie war das noch einmal mit den Menschenrechten?"
Die sind leider so etwas wie ein Brief an den Weihnachtsmann.
Ja, es ist sehr sehr schlimm was mit der Bombardierung Libyens und Gaddafis Ermordung losgetreten wurde, vor aller Welts Augen..... einfach schrecklich.....
Schlimm, schlimm, schlimm und in Brüssel, den westlichen Hauptstädten wird Theater aufgeführt. Laufend, nicht nur im Sommer und wir Bürger sehen zu.
https://de.qantara.de/content/juristische-aufarbeitung-der-gaddafi-diktatur-die-opfer-fordern-gerechtigkeit
Und wie ist es damit? Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht ganz sicher bin, ob diese so einseitige Sicht auf Ghaddafis Herrschaft nicht ein bisschen propagandistisch daherkommt. Sicherlich waren die Zeiten seiner Herrschaft für West und auch Ost ruhiger, aber das waren insgesamt auch andere Zeiten. Was aber war in der Vergangenheit, war er nur der reine Wohltäter als den Sie ihn darstellen?
Eine ganze Weile war er auch in der Region umstritten mit seinen panarabischen Ideen.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14317301.html
Der von Ihnen angeführte Spiegel-Artikel stammt aus dem Jahr 1981 und wird dem damaligen Vorgängen wirklich nicht gerecht. Beim Tschad-Krieg ging es um den Aouzou-Streifen (Tibesti-Gebirge) mit seinen Bodenschätzen, der von beiden Staaten beansprucht wurde und im Grenzgebiet lag. In den ursprünglich von den Kolonialmächten festgelegten Grenzen gehörte der Aouzou-Streifen zu Libyen, wurde aber vom Tschad beansprucht. Mit militärischer Unterstützung Frankreichs hat der Tschad diesen Krieg gewonnen und anschließend hat der internationale Gerichtshof dem Tschad - wie könnte es anders sein - den Aouzou-Streifen zugesprochen. Damals war Kalter Krieg und Gaddafi, der wie alle Blockfreien, auf die Unterstützung der UdSSR zählen konnte, war einem Bashing und Verleumdungsangriffen, angezettelt durch diverse Geheimdienste, vom Schlimmsten ausgesetzt.
Den anderen angeführten Artikel möchte ich als Hetzpropaganda abtun. Ich verweise auf meinen Artikel:https://www.freitag.de/autoren/gela/kampagne-gegen-gaddafi-nimmt-wieder-fahrt-auf
Tatsächlich war Gaddafi ein arabischer Politiker und kein Heiliger. Mit den politischen Gegnern sprang er nicht immer sanft um. Aber es wurde von westlicher Geheimdienstseite auch nichts unversucht gelassen, ihm alles nur erdenklich Schlechte anzudichten. Und wie es in einem wirklich lesenswerten Artikel bei Russia Today heißt: Von Gaddafi ist nicht bekannt, dass er politische Gegner zerstückeln und dann in Säure auflösen ließ - so wie das die besten Verbündeten des Westens tun.https://deutsch.rt.com/meinung/90603-migrationschaos-in-deutschland-teil-eins/
Gaddafi hat viel für sein Volk und viel für Afrika geleistet. Die Öleinnahmen kamen dem Volk zugute. In den letzten Jahren hatte er sich aus dem politischen Alltagsgeschäft bereits zurückgezogen.
Gaddafi ist tot und die Zeiten haben sich geändert. Was jetzt zählt, ist der Wiederaufbau von Libyen. Und ich glaube, diese Riesenaufgabe anzugehen, könnte Saif al-Islam Gaddafi am besten gelingen. Er hat die Kontakte und internationale Beziehungen, er kennt das politische Geschäft, er hat 2011 Libyen und seinen Vater, mit dem er nicht immer einer Meinung war, nicht verraten. Er hat Gefangenschaft und Krieg in Libyen durchlitten. Ich denke, die Libyer vertrauen ihm, auch weil er ein Garant ist, dass die Stämme und Städte nach wie vor in der libyschen Politik eine maßgebliche Rolle spielen können.
Noch ein kleiner Nachtrag: Gaddafi war natürlich im Westen verhasst, weil er zum einen die Öleinnahmen für Libyen sicherte und zum anderen Freiheitsbewegungen unterstützte. v.a. in Afrika, so zum Beispiel die SWAPO in Namibia oder Nelson Mandela und den ANC in Südafrika.