Wer trägt die politische Verantwortung?

Libyen/Tripolis. Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis fordern Tote und Verletzte.

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In Libyen wird wieder gekämpft. Die libyschen Streitkräfte stehen in den Vororten von Tripolis, um die ‚Einheitsregierung‘ zu stürzen und den Kampf gegen die kriminellen und extremistischen Milizen der Hauptstadt aufzunehmen.

Wie kam diese ‚Einheitsregierung‘ überhaupt zustande? Im Dezember 2015 wurde in Marokko unter UN-Schirmherrschaft das sogenannte Skhirat-Abkommen geschlossen. Beteiligt waren einerseits das Parlament und die daraus hervorgegangene Regierung, die 2014 aufgrund von Bedrohungen durch extremistische Milizen in den Osten des Landes, nach Bengasi bzw. Tobruk, geflohen waren, und andererseits eine extrem-islamistische Pseudoregierung in Tripolis, die die verlorenen Wahlen des Jahres 2014 nicht anerkannt hatte. Dies hatte zur Folge gehabt, dass in Tripolis der Bürgerkrieg eskaliert war.

Das Skhirat-Abkommen sah vor, dass innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens eine libysche Regierung, eine sogenannte ‚Einheitsregierung‘, die sich aus beiden Regierungen im Osten und Westen Libyens zusammensetzt, geschaffen werden sollte. Voraussetzung dafür war, dass das demokratisch gewählte und auch von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannte Parlament in Tobruk zustimmt. Diese Zustimmung ist nie erfolgt. Der Grund dafür war die eindeutige Bevorzugung der islamistischen Kräfte in Tripolis, sowohl was die Einsetzung von Ministern als auch die politischen Inhalte betrafen.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Anfang 2016 Fajez al-Sarradsch und seine ‚Einheitsregierung‘ mit Hilfe der italienischen Marine von Tunesien aus nach Tripolis gebracht, wo er sich zunächst in einem außerhalb gelegenen Marinestützpunkt verbarrikadieren musste. Seine Anerkennung als rechtmäßige Regierung Libyens durch die UN, die EU und eine sogenannte internationale Gemeinschaft erfolgte umgehend, ohne dass dafür irgendeine Legitimation vorlag. Dieses Vorgehen ist ein Hohn, wollte der Westen doch Libyen in Sachen Demokratie und Rechtssicherheit Lehren erteilen. Nun trat gerade die ‚internationale Gemeinschaft‘ diese Werte mit Füßen.

In den Jahren darauf folgte eine fortgesetzte Unterstützung und Stärkung der extremistischen Kräfte, auf die die ‚Einheitsregierung‘ angewiesen war. Ohne den Schutz der extremistischen Milizen, hervorgegangen aus ehemalien LIFG-Kämpfern (Libyen Islamic Fighting Group), die von al-Kaida-Leuten wie Belhadsch geführt wurden, hätte sich die ‚Einheitsregierung‘ nicht einen Tag in Tripolis halten können. Die Tripolis-Milizen reizten ihr Erpressungspotential voll aus. Sie sorgten für den Schutz der ‚Einheitsregierung‘ und sie schrieben vor, was politisch läuft und was nicht. Unter diesen Umständen wurden das Parlament und die Regierung im Osten beim politischen Prozess marginalisiert, die nun ihrerseits begannen, selbstständig zu handeln, Institutionen und eine Armee aufzubauen und sich Bündnispartner zu suchen.

Um welche Art von Milizen es sich in Tripolis handelt, beschreibt Heise.de unter dem Titel „Das Kartell“: Es handelt sich um „die Tripoli Revolutionaries Brigade, geführt von einer gangsterähnlichen Figur namens Haitham al-Tajuri, die Nawasi Brigade, die von der ‚Qaddur-Familie‘ geführt wird; die Special Deterrence Force (SDF, häufig Rada-Miliz genannt), unter Führung von Abdel Rauf Kara, und eine Abu Slim-Einheit des zentralen Sicherheitsapparates.

Diese vier Milizen haben sich in der Folge seit 2016 zu einem "Kartell entwickelt", das laut einer Recherche von Wolfram Lacher (Stiftung Wissenschaft und Politik) mit Mitteln arbeitet, wie man sie aus Mafiafilmen kennt, Entführungen und betrügerische Manöver mit Banken, die über Korruption, Erpressungen und Tricks mit Kreditpapieren und Devisen laufen.

Diese Milizen stellen zusammen mit Milizen aus Misrata die Gegner der Militäroperation Haftars. Sie verfügen über ein weitgefächertes Beziehungsgeflecht, das nicht nur mit Muslimbrüdern vernetzt ist, sondern auch mit Islamisten, die mit al-Qaida in Verbindung gebracht werden.“[1]

Diese Milizen plündern das Land aus und reißen sich die Öleinnahmen unter den Nagel, während die Infrastruktur ganz Libyens verkommt, die Bevölkerung hungert und die medizinische Versorgung zusammengebrochen ist.

Libyen war bis 2011 das reichste Land Afrikas. Doch dann erfolgte der größten Raubzug der Geschichte. Die Nato bombte, von der libyschen Zentralbank in Tripolis wurden die Geldscheine mit Lastwagen abtransportiert, der Gold- und Silberschatz verschwand, die libyschen Staatsgelder im Ausland wurden gesperrt und später geplündert. Millionen kamen kriminellen libyschen Milizen zu gute. Libyen war „befreit“, zumindest von seinem Wohlstand und seinen Finanzmitteln.

Die ‚Befreier‘, sprich ‚Aufständischen‘ vor Ort, ergingen sich in einer Orgie aus Mord- und Totschlag. Folterungen und illegale Gefangennahmen waren und sind bis heute an der Tagesordnung. So sieht es also aus, wenn ein Land mit Demokratie und Rechtssicherheit beglückt wird.

Es ist ein Hohn, dass heute noch eine Anklage gegen Saif al-Gaddafi, der keinerlei politische Ämter innehatte, vor dem Internationalen Strafgerichtshof aufrechterhalten wird,[2] während die USA trotz aller Gräuel, die z.B. im Irak bestens belegt sind, vom Internationalen Strafgerichtshof als sakrosankt angesehen werden.

Jetzt stehen also wieder Kämpfe an. In einem Land, in dem die Menschen bis 2010 sicher und im Wohlstand lebten. Bereits 2010 wurde im Osten des Landes der Sturz Gaddafis und der Dschamahirija-Regierung vorbereitet. Unruhen wurden geplant und angestachelt. Die Nato bombte das Land in Schutt und Asche, indem sie die UN-Resolution 1973 weit überdehnte. Zivilisten wurden getötet ebenso wie Infrastrukturprojekte der Gas- und Wasserversorgung zerstört – natürlich ohne jegliche Konsequenzen beim Internationalen Strafgerichtshof.

Seit 2011 versinkt Libyen im Chaos, das Land, das 2010 noch den höchsten Human-Development-Index in Afrika aufwies. Besonders höllisch wurde es innerhalb Libyens für afrikanische Migranten.

Und was tut die ‚internationale Gemeinschaft‘ heute? Sie steht offiziell immer noch auf der Seite der nicht mehr haltbaren ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, obwohl sie deren Sache längst als verloren erkannt und aufgegeben hat. Bereits als die libysche Armee (LNA) nach Süden vorrückte, meldeten sich keine Proteste von Seiten der UN oder der EU. Auch ließ man die Armee gewähren, Stellungen rund um Tripolis zu besetzen. Aber anstatt ‚ihre‘ Milizen, die man bisher mit Geld und Waffen versorgte, angesichts deren bevorstehender Niederlage aufzurufen, die Waffen niederzulegen, fordert sie den Rückzug der libyschen Armee (LNA), im Wissen, dass die Armee sich nicht zurückziehen wird, sondern im geheimen Einverständnis mit UN und EU in Tripolis mit dem Milizen-Alptraum aufräumt. Wird’s blutig, ist nicht sie schuld, sondern UN und EU werden ihre Hände in Unschuld waschen. Die Drecksarbeit haben ja dann andere erledigt. Dank an General Hafter, der wahrscheinlich als nächstes abgeräumt wird.

Die ‚internationale Gemeinschaft‘ lässt weiter in Libyen sterben. Alle Kräfte, die weltweit mit westlichen Regierungen kooperieren, sollen sich die Vorgänge in Libyen ganz genau betrachten. Sie werden nicht Macht und Geld gewinnen, sondern zum Abschuss freigegeben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

So verlogen und brutal wie der Krieg gegen Libyen begann, so verlogen und brutal wird er vom Westen und seiner Verbündeten weitergeführt und so verlogen und brutal könnte er enden.

[1] https://www.heise.de/tp/features/Libyen-Aussichtslos-gegen-die-militaerische-Loesung-Haftars-4399747.html?seite=all

[2] https://www.freitag.de/autoren/gela/internat-strafgerichtshof-uebt-siegerjustiz

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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