Wie rassistisch ist die UNO?

Diversitätsproblem. Der westliche Block ist in den Vereinten Nationen weit überrepräsentiert und steht für Rassismus und Neokolonialismus

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Colum Lynch belegt in einem Artikel in ForeignPolicy[1], dass die UNO ein richtig fettes Diversitätsproblem hat. Dies stehe im Gegensatz zum von ihr gepflegten Image als eine Institution, die für Gleichberechtigung eintritt. Einerseits habe sie sich in der Vergangenheit zwar tatsächlich für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und gegen die Apartheit in Südafrika stark gemacht, andererseits zeige sie bei der Einstellung von Mitarbeitern ihr rassistisches und neokoloniales Gesicht, wenn lukrative und einflussreiche Posten unverhältnismäßig häufig mit Personen aus westlichen Ländern besetzt werden und Bewerber aus Entwicklungsländern das Nachsehen haben.

Stellenbesetzungen am Beispiel OCHA

Der Autor benennt als Beispiel das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA, dessen Aufgabe es ist, die Aktivitäten der UN-Hilfsorganisationen in Folge von Naturkatastrophen oder politischen Zusammenbrüchen abzustimmen. Lynch wirft der OCHA vor, sie arbeite so, als verwalte sie „in neokolonialer Manier ein Lehen“ und dies „mit einem speziellen angelsächsischen Touch“. Insgesamt seien zwar 23 Prozent der Posten mit Afrikanern besetzt, in den oberen Dienstgraden fänden sich allerdings keine. Mitarbeiter aus Asien (16 %), Lateinamerika (4 %) und Osteuropa (3 %) seien in Führungspositionen noch stärker unterrepräsentiert als jene aus Afrika.

Laut Lynch wurde OCHA in den letzten 13 Jahren von drei weißen Männern und einer schwarzen Frau geleitet, alle vier ehemalige britische Regierungsbeamte, wobei das Auswahlverfahren für die Stellenbesetzung nicht transparent war.

Etwa 54 Prozent der Stellen bei OCHA sind mit Personen aus dem westlichen UN-Block besetzt und stellen damit mehr Vertreter als Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa zusammen. Und dies, obwohl die Hilfsaktionen von OCHA gerade für Länder aus diesen Teilen der Welt gestartet werden. Offensichtlich werden die OCHA-Posten nach dem Motte „Wer zahlt, schafft an“ besetzt.

Die Zahlen aus dem New Yorker UN-Hauptquartier sind noch heftiger: 71 Prozent der Stellen sind mit Staatsangehörigen aus westlichen Ländern besetzt und in einigen Abteilungen wie z.B. der politischen Abteilung und der Abteilung für strategische Kommunikation sind westliche Staatsbürger mit mindestens 90 (!) Prozent vertreten. Klar, wessen Interessen in diesen UN-Gremien vertreten werden.

Dagegen regte sich jetzt Protest. Gegen den jetzigen Leiter von OCHA, Mark Lowcock, der aus dem britischen Ministerium für internationale Entwicklung kam, wurde von einem OCHA-Mitarbeiter formell Beschwerde eingelegt: „OCHA hat ein Problem mit Rassismus und Neokolonialismus. Und es fängt an der Spitze an.“ Posten seien konsequent an Weiße und Briten verteilt worden. Ein Blick auf die Fotos des Führungspersonals auf der Website von OCHA zeige: „Zwölf von 15 Fotos auf der Seite sind von Weißen, nur drei von Farbigen und keines (ja, NULL) von Schwarzen“.

Diese Politik der Stellenbesetzung hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Verteilung von Hilfsgütern, so zum Beispiel in Syrien, wo die Hilfen vorrangig in den von dschihadistischen Kämpfern und der Türkei kontrollierten Gebieten ankommen und der Bevölkerung, die unter Kontrolle der unliebsamen Assad-Regierung steht, vorenthalten wird.

Imperialismus und Kolonialismus als Hindernis für den Aufbau demokratischer Strukturen

In einer von Hans Koechler bereits 1995 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „The United Nations and International Democracy“[2] wird die Wiederkehr von Imperialismus und Kolonialismus als Folge der Etablierung einer „Neuen Weltordnung“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der Politik der gegenseitigen Abschreckung zur größten Bedrohung für den internationalen Frieden und als Hindernis für den Aufbau demokratischer Strukturen innerhalb der UNO gesehen.

Eine demokratische Schieflage ist schon dadurch gegeben, dass die Bevölkerung in den Ländern des Südens kontinuierlich angestiegen ist, während die nördlichen Länder nur eine Minderheit der Erdbevölkerung sind. Doch diese Mehrheitsverhältnisse werden innerhalb der UN nicht wiedergespiegelt, sondern die reiche Minderheit des Nordens dominiert den armen Süden und setzt ihre eigene Agenda durch.

In den ärmeren Ländern, insbesondere des Südens, mangelt es auch an den Ressourcen, um entsprechend partizipieren zu können. Es fehlt schlichtweg das Geld, um an UN-Missionen teilzunehmen, Flüge nach New York oder in die Schweiz zu finanzieren, genügend Delegierte zu UN-Versammlungen, die zeitgleich angesetzt werden, zu entsenden. Büros sind teuer, auch qualifizierte Mitarbeiter, ebenso wie High-Tech-Büroequipment.

Dementsprechend befindet sich die Zahl der UN-Angestellten und UN-Mitglieder aus den verschiedenen Ländern in einer Schieflage, ebenso wie die Verteilung von Standorten der UN-Organisationen. In Indien mit seinen etwa 1,4 Milliarden Einwohnern haben 26-UN-Organisationen ihren Sitz[3], dafür gibt es in China mit etwa der gleichen Einwohnerzahl überhaupt keine richtige UN-Organisation, sondern nur ein sogenanntes „Länderteam der Vereinten Nationen“ (UNCT), d.h. ein „interinstitutionelles Gremium, das sich aus den Vertretern von 24 in China tätigen Fonds, Programmen und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen zusammensetzt“.[4] Südafrika darf sich mit seinen etwa 60 Millionen Einwohnern über 17 UN-Organisationen freuen[5], während sich auf der UN-Homepage zu Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas mit etwa 204 Millionen Einwohner, gar kein Hinweis auf eine dort ansässige UN-Organisation findet.[6] Dafür der Hinweis: „Nigeria. Humanitärer Bedarf auf Rekordhöhe, UN ruft dringend zu Unterstützung auf“.

Deutschland beherbergt im Vergleich dazu rund 30 UN-Organisationen. Ihre Mitarbeiter sitzen in Berlin, Bonn, Dresden, Frankfurt a.M., Hamburg, München und Nürnberg.[7] Und selbstverständlich befindet sich der Hauptsitz der UNO in New York. Man erinnere sich, als der amerikanische Präsident Donald Trump dem iranischen Außenminister Sarif im Januar 2020 zunächst die Einreise zum US-Sicherheitsrat verweigerte.

Mit dem Zerfall von Staaten wie dem einstigen Jugoslawien, hat sich der westliche Block noch größeren Einfluss in der UNO gesichert, da viele der daraus entstandenen kleinen Einzelstaaten zu reinen Vasallen des reichen Westens wurden und entsprechend dessen Wünschen abstimmen.

Auch die Vorgänge um das heutige Libyen werfen ein Licht, wie wenig geschätzt der afrikanische Kontinent bei der UN ist. Neben zwei Nordafrikanern, Tarek Mitri und Ghassan Salamé, versuchten sich seit 2011 der Brite Ian Martin, der Deutsche Martin Kobler und der Spanier Bernardino Léon als UN-Sondergesandte am libyschen Desaster und scheiterten grandios. Im Moment ist die stellvertretende Sondergesandte, die US-Amerikanerin Stephanie Williams, amtierend im Amt und dominiert die Verhandlungen zwischen den verfeindeten Parteien. Williams war die Vertretung von Ghasan Salamé, der im März 2020 sein Amt niederlegte, und seitdem steht eine Neuwahl an, die aber ständig verschoben wird, weil man sich auf keinen Kandidaten einigen kann. Vermutlich soll Williams so lange im Amt bleiben, bis die US-Wahlen vorbei sind. Bis dahin darf sie Vermittlungserfolge verbuchen, die sich der amtierende Präsident Trump auf die Fahnen schreiben kann, egal wie tragfähig sie sind. Die Afrikanische Union hat sich bereits bitterlich beschwert, dass kein Afrikaner – es liegen mehrere Vorschläge vor – für das UN-Amt nominiert wurde.

Black votes matter

Vielleicht sollten sich all jene, die sich zurecht gegen Rassismus empören, eine längst überfällige Reform der UNO und die Gleichstellung insbesondere der Völker des Südens fordern, anstatt sich an der Forderung nach der Abschaffung des Begriffes „Mohrenkopf“ abzuarbeiten. Eine demokratische UN-Reform, die es den Ländern des globalen Südens und anderen benachteiligten Ländern ermöglichen würde, eine größere Einflussnahme auf internationale Entscheidungen, deren Hauptbetroffene meist sie selbst sind, nehmen zu können, ist mehr als überfällig. Veränderungen, die tatsächlich etwas bewirken, müssen in den globalen Machtzentren erfolgen.

[1] https://foreignpolicy.com/2020/10/16/un-diversity-problem-workforce-western-ocha/

[2] „The United Nations and International Democracy“, Hrsg. Hans Koechler, Jamahir Society for Culture and Philosophy, Wien, 1995

[3] https://in.one.un.org/who-we-are/

[4] http://www.un.org.za/agencies/

[5] http://www.un.org.cn/pages/UNCountryTeamInChina.html

[6] https://nigeria.un.org/

[7] https://unric.org/de/un-in-deutschland/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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