God save the Pence!

Zweite Chance für Blair Trotz des hohen Sieges kann sich Labour nicht in Sicherheit wiegen und muss nun einem Euro-Referendum näher treten, das erhebliche Risiken birgt

Der Sieg für Labour bei den Unterhauswahlen werde "harte Konsequenzen für die britische Demokratie" haben, argumentieren manche Kommentatoren in London. In der Tat hat New Labour wiederum ein erdrückendes Übergewicht zu verbuchen, was insofern erstaunlich ist, als die Mehrheit von 1997 entscheidend mit der Abnutzung und den Korruptionsskandalen der Tories wie auch einem weit verbreiteten Gefühl zu erklären war, nach 18 Jahren Tory-Regierung sei es Zeit für einen Wandel. Jetzt aber, so hört man, bestehe die Möglichkeit, dass sich Labour in Downing Street ähnlich fest einniste wie die Tories zwischen 1979 und 1997 - dies werde die Demokratie lähmen. Erinnerungen an die Zeit zwischen 1979 und 1990 werden heraufbeschworen, als die Tories mit einer dominanten Führungspersönlichkeit (Maggie Thatcher) das politische Leben Großbritanniens eisern im Griff hielten - angesichts der Popularität von Labour und der Dominanz Tony Blairs in Partei und Regierung sei diese Gefahr nun angeblich wieder gegeben. Ausgerechnet die Eiserne Lady nutzte daher kurz vor der Wahl einen ihrer inzwischen seltenen öffentlichen Auftritte, um in schrillen Tönen vor einer "gewählten Diktatur" unter Blair zu warnen. Aber auch einige Labour-Politiker räumten ein, ihnen sei eine erschlagende Labour-Dominanz nicht unbedingt recht. So ließ etwa Labours Ex-Vize Roy Hattersley bereits vor dem Votum wissen, ein zweiter Erdrutschsieg sei "bad for Labour and bad for Britain".

Doch diese Ängste sind übertrieben. Zunächst einmal fällt der Labour-Vorsprung längst nicht so gigantisch aus, wie es den Anschein hat, da die Wahlbeteiligung mit 59 Prozent so niedrig war wie seit 1918 nicht mehr. Labour reichte ein gutes Viertel der Stimmen aller Wahlberechtigten, um eine komfortable Unterhausmehrheit zu erhalten. Grund dafür ist das britische Wahlsystem, bei dem allein der Sieg in einer möglichst großen Zahl von Wahlkreisen zählt und die Mehrheit der Siegerpartei dadurch künstlich vergrößert werden kann. Bei der jetzigen Abstimmung kommt hinzu, dass Labour vorrangig in kleinen Wahlkreisen triumphierte. Fazit: Die Partei Tony Blairs konnte eine komfortable Stimmenmehrheit in eine erdrückende Parlamentsmehrheit ummünzen. Kein Mandat für eine "gewählte Diktatur" - aber ein Umstand, der bei anstehenden Entscheidungen von Belang sein dürfte. Denn Blair Co. stehen mehr denn je unter dem Druck der Erwartung, ihre im Grunde schon vor der Wahl vom Mai 1997 formulierten Versprechen einzulösen. Bisher hatte man mit dem Argument laviert, man brauche mehr Zeit, um nach 18 Jahren Misswirtschaft und Radikalliberalismus der Tories nachhaltige Verbesserungen - besonders im Gesundheits- und Bildungssektor - bewirken zu können. Jetzt werden die Wähler sehr viel weniger kulant sein. Wenn Blair nicht bald Ergebnisse vorweist, dürfte die Mehrheit bei der nächsten Wahl bröckeln. Und sollten sich die Konservativen bis dahin nicht gefangen haben, so stehen die Liberalen bereit, obwohl es nach wie vor eher unwahrscheinlich ist, dass sie in absehbarer Zeit direkte Regierungsverantwortung erobern.

Der wichtigste Grund aber, warum der Wettkampf zwischen den Parteien bald wieder spannender (und vielleicht sogar ausgeglichener) sein wird, heißt Europa. Zugegeben, Hague konnte mit seiner Anti-Euro-Kampagne im Wahlkampf kaum punkten (und seine Entscheidung, den Verlust britischer Souveränität zu einem seiner zentralen Wahlkampfthemen zu machen, war zweifellos ein folgenschwerer Fehler). Das heißt aber keinesfalls, dass die Briten diesem Thema mit Gleichgültigkeit begegnen, sondern höchstens, dass sie Wahlen nicht für ein geeignetes Forum halten, darüber zu entscheiden. Da jetzt eine heftige Debatte - über den Beitritt zum Euro und vielleicht sogar den Verbleib in der EU - unvermeidbar ist, hat Labour viel zu verlieren und wenig zu gewinnen, das Gros der Briten bleibt Europa gegenüber skeptisch. Und sollte Labour ein Referendum über den Beitritt zum Euro verlieren, wäre das für die Tories ein willkommener Überlebensschub. Ein solches Szenario könnte zusätzlich von einem weiteren Kursverfall der britischen Währung profitieren. Direkt nach der Wiederwahl Blairs sackte das Pfund gegenüber dem Dollar soweit ab, wie seit 15 Jahren nicht mehr. In einem Land, dessen Bevölkerung mehr als irgendwo sonst das eigene Geld mit nationaler Souveränität und Selbstbewusstsein assoziiert, könnte sich die Opposition kaum eine bessere Munition wünschen.

Viel wird allerdings auch davon abhängen, in welche Richtung die neue Tory-Führung die Partei steuern wird. Hagues neo-thatcheristische Agenda (als deren Galionsfigur auch George W. Bush hofiert wurde) bestand aus Steuersenkungen, einem von sozialer Verantwortung befreiten Staat und einer satten Portion Nationalismus - vornehmlich bei den Themen Asylanten und Europa. Noch kann man nur spekulieren, wer Hagues Nachfolger(in) wird. Nur soviel steht fest, die Konservativen werden die Labour Party ab sofort in der politischen Mitte attackieren und damit mehr als nur taktischem Kalkül folgen. Das dürfte sich in der Nominierung der künftigen Parteiführung niederschlagen.

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