1989: In der Sprengfalle

Zeitgeschichte Vor 25 Jahren stirbt Alfred Herrhausen, Vorstand der Deutschen Bank, durch ein RAF-Attentat. Im Windschatten des Mauerfalls wird der Mord kaum als Politikum wahrgenommen
Ausgabe 47/2014

Die auf ein Fahrrad montierte Sprengladung explodiert, als der Wagen von Alfred Herrhausen am 30. November 1989 eine Lichtschranke passiert. Der Manager stirbt nicht weit entfernt von seinem Haus im Taunus. Am nächsten Tag würdigen die Nachrufschreiber die Sonderstellung, die Herrhausen in der Bankenwelt zukam.

1930 geboren, gehörte er zu der Alterskohorte, deren Mitglieder in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR eine Art zweiter Gründergeneration der beiden deutschen Staaten darstellten: zu jung, um noch persönlich mit den Verbrechen des Faschismus belastet zu sein, andererseits alt genug, um schnell und erfolgreich in die Arbeit des Wiederaufbaus integriert zu werden. Herrhausen war auf eine Eliteschule der NSDAP geschickt worden, studierte nach dem Krieg Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre, war Corpsstudent, promovierte und begann seine Karriere bei der Ruhrgas AG und den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW). Seit 1970 im Vorstand der Deutschen Bank, wurde er dort 1985 Vorstandssprecher und hatte ab 1988 – nachdem sein Kollege Friedrich Wilhelm Christians in den Ruhestand gegangen war – dieses Amt allein inne.

Der Banker gilt als innovativer und fordernder Manager. Er habe das Allfinanzkonzept und durch Erwerbungen im Ausland die Internationalisierung seines Geldhauses vorangetrieben, heißt es. Bei Versuchen, dieses umzustrukturieren, sei er auf Widerstand seiner Kollegen gestoßen und habe kurz vor seiner Ermordung mit Rücktritt gedroht. Durch sein Eintreten dafür, dass Entwicklungsländern teilweise ein Schuldenerlass gewährt werde, sei er in Konflikt mit US-Banken geraten, die dabei größere Abschreibungen hätten hinnehmen müssen als sein eigenes Institut. Bis heute bleibt offen, ob Herrhausen dabei philanthropische oder Konkurrenz-Überlegungen leiteten. So erscheint er in manchen Rückblicken als Mann des Übergangs zwischen dem Typ des traditionellen Bankiers und den eher windhundhaften Vertretern dieses Berufsstandes, denen er vielleicht ungewollt den Weg bereitete. Die kommenden Verwerfungen seiner Branche hat auch er nicht vorhersehen können und verhielt sich reserviert gegenüber frühen Warnungen. In einem Spiegel-Interview hielt er eine große Krise für unwahrscheinlich: „Wir haben alle einen Computerbildschirm auf dem Schreibtisch, sind also alle sofort davon unterrichtet, was rund um den Globus geschieht. Das hilft einem doch, die Situation zu analysieren und notfalls auch schnell einzugreifen.“

Herrhausens Mörder gehören zur sogenannten dritten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF). Die erste – darunter Ulrike Meinhof und Andreas Baader – verstand sich als Guerilla, die eine latente revolutionäre Situation, in der zugleich die Gefahr eines neuen Faschismus bestehe, zur Entscheidung bringen wollte. Als sie ab 1972 aufgerollt worden war, trat eine zweite Generation an. Deren Aktionen richteten sich oft darauf, ihre gefangenen Genossinnen und Genossen freizupressen. Im Showdown des Deutschen Herbstes 1977 scheiterte sie. Die dritte Generation hatte nicht die ideologische Ausstattung der ersten und die kurzzeitigen operativen Zwecksetzungen der zweiten. Sie trat durch Anschläge auf führende Manager hervor, ohne dass dies – im Unterschied zur Erschießung des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, anlässlich eines missglückten Entführungsversuchs 1977 und der Ermordung der Geisel Hanns Martin Schleyer im gleichen Jahr – in einem Zusammenhang mit dem Versuch der Gefangenenbefreiung stand. Angeblich hatte die dritte Generation, anders als ihre beiden Vorgängerinnen, kein größeres Umfeld von Sympathisanten mehr. Außerdem soll ihre personelle Basis schmal gewesen sein. Umso auffälliger ist, dass ihre Protagonisten offenbar über eine Art High-Tech-Ausrüstung und eine Logistik verfügten, wie man sie früher bei der RAF nicht kannte. Ihre Schläge führen sie mit großer Präzision, ja fast schon perfektionistisch aus.

Nie aufgeklärt: die Morde an Beckurts, Zimmermann, Herrhausen und Rohwedder

1985 wurde Ernst Zimmermann, Vorstandsvorsitzender der Motoren- und Turbinen-Union und Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, von einem „Kommando Patsy O’Hara“ der RAF ermordet. 1986 kam Karl Heinz Beckurts, Begründer der Neutronenphysik in der Bundesrepublik, damals Forschungsleiter bei der Siemens AG, durch einen Anschlag ums Leben, bei dem eine elektronische Sprengfalle benutzt wurde. Zu der Tat bekannte sich ein „Kommando Mara Cagol“ der RAF. Und 1991 starb Detlev Rohwedder, der Präsident der Treuhandanstalt zur Abwicklung der DDR-Wirtschaft, durch die Kugel eines Scharfschützen. Auch hier wurde ein Bekennerschreiben der RAF gefunden.

Der letzte Anschlag der RAF überhaupt richtete sich 1993 nicht gegen Personen, sondern gegen die neue Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt bei Darmstadt. Sie wurde noch vor ihrer Inbetriebnahme durch eine Sprengstoffexplosion zerstört. In diesem Fall wurden Täter identifiziert. Dagegen sind die Morde an Beckurts, Zimmermann, Herrhausen und Rohwedder nie aufgeklärt worden.

Dies gibt bis heute Gerüchten und Verschwörungsthesen Nahrung. Wieder einmal wurde eine Spur zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR oder zu etwaigen Versprengten dieser mittlerweile nicht mehr bestehenden Behörde gesucht, besonders eifrig im Fall Rohwedder, aber man wurde nicht fündig. Bei Herrhausen gab es Spekulationen, die von ökonomischen Nutznießern seiner Ermordung, etwa in den USA, ausgingen. Auch sie gingen ins Leere.

Erörterungswürdig ist die Rolle der staatlichen Sicherheitsorgane. Alfred Herrhausen galt als einer der am meisten gefährdeten Manager der Bundesrepublik. Bei der Abklärung seines Wohnumfeldes hat man sich merkwürdigerweise nicht viel Mühe gegeben. Die relativ umfangreichen Vorarbeiten der RAF – Verlegung des Kabels für die Lichtschranke – wurden offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Zwei Jahre nach dem Attentat präsentierten die Ermittlungsbehörden einen V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes, der sich selbst und zwei weitere Personen der Täterschaft bezichtigte. Später widerrief er dieses Geständnis, danach auch den Widerruf.

1991 gelang es dem Landesamt für Verfassungsschutz von Rheinland-Pfalz, einen V-Mann, der bereits 1985 angeworben worden war, im Umfeld der dritten RAF-Generation zu platzieren. Er war bei der Vorbereitung des Zugriffs auf deren Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im Juni 1993 beteiligt. Nicht erst seit den Prozessen um den Tod des V-Mannes Ulrich Schmücker (1976 – 1991) ist bekannt, dass sich Verfassungsschutzbehörden immer wieder erfolgreich darum bemühten, terroristische Gruppen zu infiltrieren. 1976 wurde von Verfolgungsbehörden eine Sprengstoffexplosion an der Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle, wo Häftlinge aus der RAF einsaßen, ausgelöst („Celler Loch“). Zweck der Aktion soll gewesen sein, einen V-Mann zu platzieren. In jedem ungeklärten Mordfall, auch bei Alfred Herrhausen, wird der Verdacht der Fahrlässigkeit oder gar der teilnehmenden Beobachtung durch die Sicherheitsorgane – wenn nicht von noch Schlimmerem – immer wieder einmal erhoben werden, ebenso wie aktuell bei den NSU-Morden.

Das Attentat vom 30. November 1989 geschah kurz nach dem Fall der Mauer und während der allgemeinen Begeisterung über eine sich dadurch abzeichnende Wiedervereinigung. So blieb die Ermordung Alfred Herrhausens ein Kriminalfall und wurde nicht – wie die Auseinandersetzung zwischen Terrorismus und Staatsgewalt 1977 – ein Politikum. Der Staat war jetzt nicht herausgefordert, er sah sich in diesen Wochen enorm bestätigt, bald danach auch durch die Verhaftung von ehemaligen RAF-Mitgliedern, die nach dem Ausstieg aus ihren terroristischen Aktivitäten einige Jahre Zuflucht in der DDR gefunden hatten.

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