Wichtiger als die Personalquerelen, mit denen sich die Bundestagsfraktion der Linkspartei auf ihrer Klausurtagung vergangene Woche befasste, dürften einige ungelöste Probleme sein, die von dieser unerfreulichen Oberfläche teils abgebildet, teils verdeckt wurden.
Die Doppelspitze aus Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht galt als Ausdruck eines Burgfriedens: zwischen einem an Regierungsbeteiligung interessierten Flügel und den hauptsächlich im Westen starken Vertretern einer massiven Skepsis gegenüber rot-rot-grünen Bündnissen. Vor allem die Parteivorsitzende Katja Kipping macht seit längerer Zeit geltend, dass dieser Dualismus veraltet sei. Inzwischen gebe es viele neue Mitglieder, die keiner der beiden Richtungen angehören. Kipping, die selbst schon seit Ende der 1990er Jahre dabei ist, will sich auf diese neuen Mitglieder stützen. Neben antikapitalistischen Gewerkschaftern, die nach wie vor auf Oskar Lafontaine hören, und Realos aus den neuen Bundesländern gebe es nun eben auch eine libertäre Strömung mit postmaterialistischer Orientierung, lautet das Argument. Der verspielte Name „Mittelerde“ soll ausdrücken, dass das bisherige Schema nicht mehr ausreicht.
Mit dem Wahlergebnis vom 24. September scheint diese Auffassung bestätigt: Die Linke hat in Ostdeutschland alarmierend hoch verloren, vor allem an die AfD. Das schwache Plus im Gesamtergebnis geht auf im Grunde nur geringfügige Zuwächse im bevölkerungsreicheren Westen zurück. Aber auch dort haben sich Erwerbslose und Arbeiter abgewandt. Hinzugekommen sind Wählerinnen und Wähler aus den akademischen urbanen Mittelschichten, darunter immerhin auch junge Leute. Hauptursache für die Verluste ist der Misserfolg der Partei im Bereich einer ihrer Kernkompetenzen: der sozialen Frage. Hier hat die Linke Hoffnungen bei armen Menschen geweckt, denen sie nicht gerecht werden konnte, nicht aus Unfähigkeit, sondern aus Mangel an Durchsetzungsmöglichkeiten.
Russland als Ausweg
Zunächst wurden die Enttäuschten oft zu Nichtwählern. Dort holte sie dann die AfD ab. Von ihr erhofft man sich weniger als zuvor von der Linken, aber man hat jetzt wenigstens eine Protestpartei, die jene nicht mehr sein wollte. Was da verloren geht, kommt nicht mehr wieder. Lafontaine und Wagenknecht werden als Kopie wahrgenommen, Gauland als Original. Das ist grauenhaft ungerecht, aber so kann Politik eben sein. Ob der Zuwachs aus den intellektuellen Milieus dauerhaft sein wird, ist ungewiss. Beim Verfall der Piratenpartei hat die Linke tatsächlich ein paar interessante Eroberungen machen können. Falls aus Jamaika etwas werden sollte, ist von den Grünen wohl auch noch ein bisschen was zu holen. Doch dieses Reservoir ist schmaler als dasjenige der SPD, aus dem sich die Linke seit der Agenda 2010 einige Zeit bedienen konnte und das nun weitgehend versiegt ist.
Der Misserfolg in der Sozial- und Wirtschaftspolitik ist bitter und lässt die Frage nach einer Regierungsbeteiligung neu stellen. Wer sie früher forderte, wurde oft als karrieristisch und anpasserisch verschrien. Jetzt sehen sich Funktionäre, denen derlei immer fern lag, mit Erkundigungen ihrer bisherigen Wähler und Wählerinnen konfrontiert, was sie denn erreicht haben, und sie begreifen, was der SPD-Stratege Franz Müntefering einst lehrte: dass Opposition Mist ist. Das geht bis in die Kommunen hinunter, wo die Linke mancherorts über Jahre Menschen anzog. Sie blicken nun mit Zweifeln auf ihre Partei. Weil man hier nicht weiterkommt, beißt man sich an einem längst abgenagten Knochen fest: der Zuwanderungsfrage. Die Grenzen sind dicht, es wird künftig keine relevante Verteilungskonkurrenz zwischen Biodeutschen und Immigranten mehr geben. Die Linkspartei ist hier auf einem Thema von gestern sitzen geblieben und kommt nicht mehr davon runter wie in anderer Weise Horst Seehofer.
Nicht erst seit der Flüchtlingsdebatte, sondern noch aus PDS-Zeiten hat Wagenknecht innerparteiliche Feinde. Anders kann man es leider nicht nennen. Man fragt sich, welche alten Rechnungen beispielsweise Gregor Gysi mit ihr offen hat, und man will es zugleich lieber nicht wissen. Mancher mag sich denken: Sollen doch die Ossis das unter sich ausmachen.
Wagenknecht ist eine glänzende Intellektuelle, eine solide Fachpolitikerin für Wirtschaft und Finanzen sowie eine Kommunikatorin mit großer Ausstrahlung nach außen, leidet aber unverkennbar an der fraktionsinternen Tretmühle: nicht die beste Voraussetzung für den Vorsitz, mit dem sie sich mehr schadet als nützt. Aber sie kommt vorderhand nicht aus der Nummer heraus. Es würde einerseits als eine Art Rechtsruck der Partei interpretiert, und andererseits würde die AfD Wagenknecht noch infamer und penetranter an die Brust drücken. Ein Widerspruch? Nein, sondern irre. Kommt es zu Jamaika, wird es im Bundestag eine relativ starke Mitte-links-Oppositions-SPD geben und mit der AfD eine recht deftige Rechtsopposition. Die Linke könnte dabei inhaltlich untergehen, als fünftes Rad am Wagen.
Andrea Nahles wird auf den Putz hauen. Es besteht die Gefahr, dass Bartsch und Wagenknecht und die Parteivorsitzenden Kipping und Bernd Riexinger daneben nicht zu eigenen Akzenten finden. Die Aufgabe, den Kampf gegen die Militarisierung der Außenpolitik zu führen, wird der Partei aber niemand abnehmen. SPD und Grüne sind bei diesem Thema seit dem Jugoslawien-Krieg verbrannt. Mit einem Eintreten für eine rationale Russland-Politik könnte die Linke einen Nerv treffen, der auch Jamaika und die SPD zucken lässt.
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