Auch Aktionäre sind Menschen

Kommentar Ackermann, Esser und ein weltfremdes Karlsruher Urteil

Als die Düsseldorfer Richterin Brigitte Koppenhöfer im Sommer 2004 den ehemaligen Mannesmann-Chef Klaus Esser, den Vorstands-Sprecher der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und den früheren Vorsitzenden der IG Metall, Klaus Zwickel, von der Anklage der Untreue (begangen durch hohe Abfindungen) freisprach, begründete sie dies so: sie hätten zwar gegen das Aktien-, nicht aber gegen das Strafrecht verstoßen.

Die öffentliche Aufregung hielt sich danach in Grenzen. Zwar hatte Franz Müntefering den Kapitalismus noch nicht analysiert, doch ein gewisses Rumoren gegen das so genannte raffende Kapital war durchaus schon hörbar gewesen. Hinsichtlich des Urteils aber war das Volk offenbar nicht ganz so dumm, wie man es oft annimmt. Die Menschen kapierten: Es hätte keinen zusätzlichen Arbeitsplatz und auch keine Lohnerhöhung gegeben, wenn Ackermann Co. in den Knast gegangen wären. Frau Koppenhöfer sah völlig richtig, dass es hier um einen Umverteilungskonflikt zwischen Managern und Aktionären ging. Offenbar war sie der Ansicht, die Justiz sei nicht der Büttel der Anteilseigner. Diese Meinung teilt der Bundesgerichtshof nicht. Auch Aktionäre seien Menschen, so befand er, und die hohen Abfindungen hätten deren Eigentum geschmälert. Das sei Untreue.

Damit schließt sich das Gericht einer Neuen Sozialen Bewegung an, die vor etwa einem Vierteljahrhundert begann: der "Shareholders´ Revolution", dem Aufstand der Anteilseigner.

Vorher hatte es den Managerkapitalismus gegeben. Die Vorstände waren bemüht, aus der Produktion möglichst viel Gewinn herauszuholen und erhebliche Teile davon wieder zu investieren. Dividenden wurden ebenfalls gezahlt, und dass sie durch die Neuanlagen geschmälert wurden, grämte die Aktionäre nicht. Ihr Eigentum wuchs durch die Wertsteigerung der AG ja ebenfalls.

Das ging so lange gut, bis nach der Entfesselung der Finanzmärkte - vor allem durch den Zusammenbruch des Währungsregimes von Bretton Woods im Frühjahr 1973 - die Anteilseigner merkten, dass die Rendite in der Spekulation weit höher sein könne als in der Produktion. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, den im Unternehmen verkörperten Wert dort zu belassen und zu vermehren, sondern den Aktienkurs kurzfristig in die Höhe zu treiben und die Papiere schnell zu verkaufen. Alles, was dabei störte, musste weg. Das waren nicht nur Gewerkschaftsrechte, sondern auch die langfristigen Pläne angeblich behäbiger Vorstände und deren oftmals kostspielige, allerdings den sozialen Frieden fördernde Kungelei mit dem Staat. Im Verlauf dieser Revolte änderte sich der Manager-Typ: der bullige Boss wurde durch den wendigen Akquisiteur und Verkäufer ersetzt: Klaus Esser.

Er hat das Vermögen der ihm anvertrauten Aktionäre um Milliarden gesteigert, nicht zuletzt durch den Abwehrkampf gegen Vodafone. Klaus Tolksdorf, Vorsitzender des 3. Strafsenats beim Bundesgerichtshof, aber meint, Esser habe sie geschädigt, denn die Millionen Abfindung, die er erhielt, fehlten ja nun in ihrem Portefeuille. Das ist falsch: Wer die Aktien auf dem Höchststand verkaufte, ist fein raus. Der Abzug durch die Prämien traf nur diejenigen, die die Anteile behalten oder neu erworben haben. Mehrheitsaktionär ist nun aber gerade Vodafone geworden. Der Chef dieses Unternehmens, Chris Gent, hat der Abfindung ebenfalls zugestimmt, und zwar mit gutem Grund: die 57 Millionen Handgeld sind eine schlappe Vermittlungsprovision angesichts des Kaufpreises von 188 Milliarden, die Vodafone für Mannesmann gezahlt hat.

Offenbar hat die Karlsruher Kammer den Shareholder-Kapitalismus, dem sie Genüge tun wollte, doch nicht so ganz verstanden. Ihr Urteil könnte eher wie ein Dokument weltfremder richterlicher Unabhängigkeit erscheinen.

Doch halt. Es entspricht durchaus einem Zeitgeist, der seit der Bundestagswahl kräftig weht. Man erinnert sich: Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb haben eine eigene Mehrheit für ihre jeweilige Variante des Sozialabbaus erreicht. Dieses Jahrhundertprojekt muss von breiteren Schultern gestemmt werden - deshalb große Koalition. Sie stattet sich zusätzlich mit ideologischem Schmiermittel aus: Alles müsse warmherzig ablaufen, ohne soziale Kälte, die Wirtschaft sei für die Menschen da und nicht umgekehrt. Seit dem Karlsruher Urteil schwillt dieses Geschnatter vollends zu einem mächtigen Chor. Im Vergleich dazu wirkt der ehrliche Josef Ackermann weniger betrügerisch. Er hat immer die Wahrheit über den Kapitalismus gesagt.


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