Auf ein Altes!

Krisenmanagement Basis und Überbau

Das neue Jahr beginnt insofern beruhigend, als man sich langsam wieder zurechtfindet. Ende 2008 wusste man einige Wochen lang nicht, wo einem der Kopf stand: Politiker und Medien, die stets nur die Wohltaten des entfesselten Marktes gepredigt hatten, forderten plötzlich seine Bändigung und taten so, als hätte sie nie etwas Anderes gewollt.

Das alles ist der rhetorische Überbau. Allmählich taucht seine Basis wieder auf: Es ist die alte.

Die Automobilindustrie soll milliardenschwere Subventionen erhalten. Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sagt, diese Branche sei das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Das ist ein zugleich realistisches und niederschmetterndes Bekenntnis. Gerade hat der Nobelpreisträger Paul Krugman seinen Landsleuten klarzumachen versucht, dass es diese Industrie in absehbarer Zeit in den USA nicht mehr geben werde, und sein Kollege Robert B. Reich hatte schon 1992, bevor er Bill Clintons Arbeitsminister wurde, bemerkt: Das sei gut. So alt sieht Deutschland also aus.

Schulen sollen jetzt derart schnell saniert werden, dass ihre Rektoren und die für solche Gebäude zuständigen Kommunalverwaltungen in Verlegenheit geraten. Seit Jahrzehnten mussten sie andersherum planen, und jetzt wissen sie nicht sofort, wie sie das versprochene Geld in der verlangten Geschwindigkeit (denn es soll die Konjunktur schnell ankurbeln) ausgeben sollen. Wer langsameres Denken gewöhnt ist, darf sich beruhigen: Es sollen ja nur Häuser gebaut oder erneuert werden. Das dreigliedrige Schulsystem bleibt erhalten, man ist nach wie vor auf vertrautem Terrain.

Auch in der Frage der Finanzierung sind altes und neues Denken verlässlich vereint. Gestern noch ließen sich die Regierungen daran messen, ob es gelinge, Staatsverschuldung und -quote zu senken. Jetzt erwecken sie den Eindruck, es werde in die umgekehrte Richtung gehen. So weit die Marktliberalen nicht umgeschwenkt sind, müssen sie sich neue Argumente für ihre alte Politik einfallen lassen. Hier sind sie auch schon:

Die Spitzenverbände der "Wirtschaft" fordern die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und der Steuern. Das taten sie schon immer. Sie brauchen noch nicht einmal den Zweck zu ändern, dem diese segensreiche Maßnahme dienen soll: Früher war es die Verstetigung des Aufschwungs, jetzt ist es die Reparatur einer Rezession.

Ein Plädoyer für Steuersenkungen könnte allerdings zugleich ein Argument für höhere Staatsverschuldung sein - es sei denn, man fordert zugleich eine Begrenzung der öffentlichen Auf- und Ausgaben. Das wagt derzeit wohl niemand. Aber wenn Kanzlerin und Bischöfe in ihren Neujahrsbotschaften von "Gemeinsinn" und der Absage an materielle Werte reden, zeigen sie sich vorausschauend: Derlei könnte, falls es wirklich schlimm kommt, auch noch gebraucht werden. Das wird kaum ausbleiben, denn die Steuersenkungen werden kommen, und irgendwann wird zu neuer Sparsamkeit des Staates aufgerufen. Ein altes Spiel, zu dessen forcierter Fortsetzung ausgerechnet die jetzige Krise genutzt wird.

Nur scheinbar ist Keynes wieder modern geworden. Er hatte nicht nur staatliche Investitionen vorgeschlagen, sondern auch eine - wenngleich mäßige - Umverteilung von oben nach unten: Das fördere Nachfrage und Konjunktur. Die Linkspartei fordert das zwar, kann aber in der Krise nicht punkten. Ein weiteres Mal: Der Mainstream behauptet sich gegen die Gefahr von Neuerungen.

Selbst als Medienereignis ist die Krise ziemlich konservativ. Sollte sich herausstellen, dass das Vorab-Getöse gewaltiger ausfiel als das nachfolgende Ereignis selbst, wäre das aufatmende Publikum darauf eingestimmt, dass so weitergemacht werden kann wie bisher.

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