Bierseidel und Kamillentee

CSU-Parteitag zum Stoiber-Abschied Ende einer Überforderung

Bayern ist das bessere Deutschland, zumindest in der Ökonomie. Beschäftigungsdaten, Infrastruktur: sehr erfreulich. Zwei der drei deutschen Spitzenuniversitäten liegen in diesem Bundesland.

Bayern hatte ab 1945 besonders gute Startbedingungen: die industriellen Kerne in Franken sowie in Augsburg wurden durch Unternehmen angereichert, die aus Berlin und Umgebung in den sicheren Süden zogen. Arbeitskräfte lieferte das zunächst wenig entwickelte Niederbayern. München, einst vor allem Verwaltungssitz und Kulturstadt, ist inzwischen Medienstandort und beherbergt starke Finanzdienstleister. Da lässt es sich gut regieren. Die Politik muss der Wirtschaft nichts abschlagen und darf sich mit ihren Ergebnissen schmücken. Falls zur Herbeiführung dieses positiven Zustandes vielleicht doch eine Art politischer Pionier gebraucht wurde, war es der Ministerpräsident Hanns Seidel (1957-1960). Andere Amtsinhaber waren Fritz Schäffer, Wilhelm Hoegner, Hans Ehard, Alfons Goppel, Franz Josef Strauß, Max Streibl, jetzt ist es Edmund Stoiber. Nur ein einziger war Sozialdemokrat: Hoegner, und das ist lange her. Eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie über Bayern könnte über Baden-Württemberg erzählt werden.

Die Sonderstellung des östlichen Nachbarn hatte vor 1933 konfessionelle und folkloristische Gründe, nach 1945 ebenfalls, dann kam Strauß hinzu. Er war Münchner, wirkte zunächst jedoch in erster Linie als Bundespolitiker und benutzte Bayern als Machtbasis, in die er sich 1978 zurückzog, von der aus er aber bis zu seinem Tod weiterhin große Politik trieb.

Sein Nachfolger Streibl hatte nicht diesen Ehrgeiz, und auch Edmund Stoiber war mit dem Amt des bayerischen Ministerpräsidenten zufrieden. Sein Pech begann, als Kohl 1998 abgewählt war und die bisherige Führungsspitze der CDU 1999 im Schmiergeld-Skandal verbrannte. Es entstand eine Lücke, und in diese traten Angela Merkel und Edmund Stoiber. Von der Bundesratsbank aus musste Stoiber 1999 Oppositionsreden halten. Ihnen wurde mit großer Spannung entgegengesehen, doch enttäuschte er ziemlich regelmäßig. Er ist nämlich ein fast ausschließlich gouvernementaler Typ. Jeden Aschermittwoch musste er einen Bierhumpen schwingen, in dem angeblich in Wirklichkeit Kamillentee war.

Die Überlieferung, er habe 2002 sich davor drücken wollen, Kanzlerkandidat zu werden, ist glaubhaft, trotz des Showdowns von Wolfratshausen. Auf den Dämmen während der Flut im Wahlkampf wirkte er irgendwie deplatziert. Ein Populist ist er nämlich nur in Bayern. Aber auch dort saß der Janker nicht wie angegossen, sondern wie gerade angeliefert. Diejenigen, die sich über seine Versprecher und seine "Ähs" lustig machten, stellten sich damit ein schlechteres Zeugnis aus als ihm. Hielt man ihm nämlich seine wirtschaftsliberal-kulturkonservative Grundposition nicht als Mangel vor (und warum sollte man?), war an ihm letztlich nichts auszusetzen. Überforderung resultierte dagegen aus der Doppelrolle auf der Bundes- und Landesbühne, die Strauß meisterte, Stoiber aber nicht. Während der Schröder-Periode entdeckten Verteidiger des Sozialstaates sogar einen Verbündeten in ihm, allerdings keinen völlig zuverlässigen: in der Auseinandersetzung um die von Rot-Grün betriebene Rückwärtsreform der Krankenversicherung ließ er Seehofer im Regen stehen.

Wenn Stoiber Anfang dieses Jahres gezwungen wurde, seinen Rücktritt einzuleiten, dann nicht deshalb, weil er etwa schlecht oder gar erfolglos regiert hätte. Im Gegenteil: 2003 hat er das beste Landtags-Wahlergebnis eingefahren, das es in der Bundesrepublik gab. Das Bett war gemacht und die Begehrlichkeit der Nachdrängenden groß. Beckstein wird wie Alfons Goppel und Max Streibl sein, Bayern wird wahrscheinlich ein kapitalistisches Musterland bleiben. Die bürgerliche Demokratie ist dort trotz jahrzehntelanger CSU-Übermacht nicht abgeschafft worden. Wer sich gegen rechts wehren will, hat dazu Stoiber nie gebraucht und ist mit Schäuble und Franz Josef Jung jetzt ja auch anderwärts gut bedient. Da entsteht keine Lücke.


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