Bremer Verklärung

Wenig Substanz Die SPD legt einen Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm vor

Am 13. Mai wird die Bremische Bürgerschaft neu gewählt. Für die SPD ist dies die Chance, nach Berlin 2006 noch einmal zu gewinnen und die schlechte Bilanz vergangener Jahre aufzuhellen. Es ist also verständlich, dass sie am 6. Januar eine "Bremer Erklärung" veröffentlichte, in der "Das Soziale" stärker betont wird. Auch im angekündigten neuen Grundsatzprogramm soll ja nicht mehr so sehr vom "aktivierenden Sozialstaat" die Rede sein, sondern vom "vorsorgenden".

Bremen ist seit 1945 das sozialdemokratischste aller Bundesländer: die SPD stellte nach jeder Wahl den Regierungschef. Es gibt dort ein fast schon skandinavisches Image, das allerdings nicht dazu taugt, die Realität zu verdecken: eine miese Haushaltslage. Derzeit regiert in der Hansestadt eine große Koalition. Ein Wahlerfolg könnte zeigen, dass die Sozialdemokratie selbst aus einer solchen Verbindung etwas herausholen kann.

2003 hielt die SPD 42 Prozent der Stimmen. Die gegenwärtigen Umfragen geben ihr nur noch 38. Man muss allerdings nicht allzu viel auf sie geben. Die fehlenden vier Prozent liegen bei der Linkspartei. In die Richtung ihrer potenziellen Wähler muss geblinkt werden.

So viel zum taktischen Aspekt ihrer "Bremer Erklärung". Doch sollte sie nicht darauf reduziert werden. Das Papier enthält zwei interessante Vorschläge:

In absehbarer Zeit soll bundesweit eine kostenlose Ganztagsbetreuung von Vorschulkindern möglich sein. Das ist ein Vorhaben, bei dem der SPD die große Koalition in Berlin konzeptionell nicht im Wege stehen muss: auch mit Frau von der Leyen ist das machbar. Es fehlen aber belastbare Berechnungen für die Finanzierung. Auch in ihren neuen programmatischen Erklärungen hält die SPD an der Senkung der Unternehmenssteuer 2008 fest. Dieses Geld wird dann doch in den Kindertagesstätten fehlen.

Der zweite Schwerpunkt gilt dem Niedriglohnsektor. Geringe Einkommen in regulären Beschäftigungsverhältnissen sollen durch eine "negative Einkommensteuer" subventioniert werden. Es ist beabsichtigt, dadurch einen Abstand zum Arbeitslosengeld II herzustellen und ein Verharren in Hartz IV nicht zu ermutigen.

Der Begriff "negative Einkommensteuer" wurde einst von Milton Friedman, dem Vordenker des sogenannten Neoliberalismus, geprägt. Für die "Bremer Erklärung" ist sie von Peter Bofinger, dem Alibi-Keynesianer des Wirtschafts-Sachverständigenrates, aufgegriffen worden. Allerdings werden den Beschäftigten hier nicht Steuern erlassen, sondern die Sozialbeiträge. Für sie soll der Staat aufkommen.

Die "Beschäftigungsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" (Hartz IV) konnten bisher nur von gemeinnützigen Arbeitgebern angeboten werden. Doch gewinnorientierte Privatunternehmen hatten auch jetzt schon einen indirekten Vorteil: Wenn die Löhne bei ihnen niedriger als die Tarifsätze und nur etwas höher als die Ein-Euro-Jobs sind, bekommen sie Arbeitnehmer, die ein solches Angebot notgedrungen akzeptieren. Nach Bofingers Vorschlag hätten die Prinzipale nunmehr den unmittelbaren Zugriff auf subventionierte Jobs.

Lassen wir den Klassenkampf und fragen wir, ob hier nicht einer der Fälle vorliegt, in denen nicht nur die Arbeitgeber einen Vorteil haben, sondern auch die Arbeitnehmer. Tatsächlich werden nach dem Bofinger-Vorschlag - anders als bei Hartz IV - nicht mehr Partner-Einkommen und Vermögensbestandteile zwecks Kürzung der Lohnersatzleistung herangezogen. Aber Michael Schlecht, der Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik von Verdi, hat in einer erfreulich schnellen und gründlichen Analyse ausgerechnet, dass mindestens vier Problemgruppen nach dem Modell der "Bremer Erklärung" weniger verdienen würden als bisher oder bei gleichem Einkommen länger arbeiten müssten. Zugleich wäre der Aufwand an öffentlichen Mitteln höher als bei Hartz IV. Und hier schließt sich wieder der Kreis zur Steuerpolitik der großen Koalition, in der keine Mehreinnahmen für solche Zwecke vorgesehen sind.

Als Propaganda-Unternehmen ist die "Bremer Erklärung" wahrscheinlich gelungen. In der Substanz bringt sie wenig.


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