Brüder, zum Lichte empor

Gewissheit nach dem Debakel Die SPD wird aus ihrer Wahlniederlage schnell die falschen Lehren ziehen

Die Niederlage der Sozialdemokraten in Hessen und Niedersachsen ist leicht zu erklären: Viele Wählerinnen und Wähler hatten im Januar 2003 weniger Geld auf ihrem Lohn- oder Gehaltskonto als vorher. Der Grund ist die Erhöhung der Beiträge und die Anhebung der Bemessungsgrenze für die Altersversorgung. Da die für den 1. Januar geplante weitere Senkung der Einkommensteuer zurückgestellt wurde, fehlte eine mögliche Kompensation.

Das war´s auch schon. Grundsätzlich gibt es bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme zwei Möglichkeiten: eine egalitär-sozialstaatliche und eine neoliberale. Entscheidet sich eine SPD-geführte Regierung für die erste Variante, ruft Professor Baring zur Bürgerlichen Revolution. Wählt sie die zweite, demobilisiert sie den sozialdemokratischen Teil ihres Anhangs. Tut und lässt sie beides zugleich, hat sie die größtmögliche Opposition gegen sich. So geschah es. In Hessen und Niedersachsen machte die SPD Wahlkampf ohne eigene Themen. Mit der impliziten Logik ihres Regierungshandelns auf Bundesebene konnte sie schlecht für sich werben: zu groß ist da die Übereinstimmung mit CDU/ CSU, FPD und Grünen.

Um die Lücke zu füllen, klebten die Sozialdemokraten kurz vor dem 2. Februar auf die Plakate ihrer Kandidaten einen roten Zettel: »Kein Krieg«. Als Demonstration war das gut. Aber fälschlicherweise versprach sich die Partei davon weitere Stimmen. Der Effekt war bestenfalls ebenso groß wie die Losung, die ein Wahlkreis-Bewerber in sein Flugblatt drucken ließ: »Für Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe«. Auch hiergegen lässt sich nichts sagen. Doch hätte man nicht mit der Wurst nach dem Schinken werfen sollen.

Denn: In der Geschichte der Bundesrepublik hat es mehrere scheinbare außenpolitische Plebiszite gegeben, aber kaum ein reales.

Nachdem ab 1949 heftig über die Wiederbewaffnung gestritten worden war, gewann Adenauer 1953 die Bundestagswahl. Er interpretierte das als Zustimmung zu seiner Außenpolitik. Es war aber eine Akklamation für das beginnende Wirtschaftswunder. Seinen Wahlsieg 1983 verstand Helmut Kohl als ein Ja zur Nachrüstung. In Wirklichkeit wirkten sich der Pleitenrekord und die gerade auslaufende Wirtschaftskrise unter Helmut Schmidt aus. Eine Ausnahme scheint Brandts Wahlsieg 1972 im Zeichen der Ostverträge gewesen zu sein. Da ist etwas dran. Der Erfolg wäre aber weniger eindrucksvoll ausgefallen ohne den gleichzeitigen Boom, der durch forcierte Staatsausgaben unterstützt wurde.

Mit seinem Nein zum Irak-Krieg vermochte Schröder 2002 zu punkten, weil es im Osten die PDS gab, der er damit ein Prozent ihrer Stimmen wegnahm. In Hessen und Niedersachsen fehlte aber dieses Reservoir.

Jetzt kann die Friedensbewegung die Scherben auflesen. Die Instrumentalisierung ihres Anliegens durch ein hilfloses Wahlkonzept kann zu der politisch gewollten Falschinterpretation benutzt werden, in Hessen und Niedersachsen sei auch über die Außenpolitik abgestimmt worden.

Wahrscheinlich wird die SPD aus der Niederlage schnell die falschen Lehren ziehen. Noch am Wahlabend verbündete sich Wolfgang Clement bei Sabine Christiansen mit einem Unternehmensberater und Friedhelm Merz gegen den ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske. Sein neues Lieblingsprojekt, die weitere Schwächung des Kündigungsschutzes, will er zusammen mit der christdemokratischen Bundesratsmehrheit durchziehen. Die Bundesrepublik bekommt de facto eine Große Koalition.

Fast 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Hessen haben die Schwarzgeld-Affäre der CDU nicht etwa vergessen, sondern ratifiziert. Eine Partei, die mit der »Wirtschaft« so gut kann, dass sie von dieser viel Schmiergeld bekommt, verdient Vertrauen: das ist eine weitere Botschaft der Wahl. Ein nur schwach verdeckter antisemitischer Ausfall Kochs ist 2003 ebenso belohnt worden wie 1999 seine Aktion gegen das Zuwanderungsgesetz. Was anderwärts noch geächtet wird, hat in Hessen Legitimation durch den Wählerwillen. Möllemann ist überflüssig.

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