Das Herz der CDU berühren

Roland Koch Hessens Noch-Ministerpräsident wird plötzlich zum Zentrum von Putschgerüchten. Aber noch ist die Lage in der CDU nicht reif für einen Umsturz

Roland Koch (52), wird seinen Job in Hessen am 31. August abgeben. Viele Kommentatoren wollen ihm eine neue Auf­gabe in Berlin besorgen

Mancher sieht im Fehlen von etwa 40 Stimmen in den ersten beiden Gängen der Bundespräsidentenwahl den Anfang eines Putschs in der CDU. Vielleicht ist aber gerade schon einer gescheitert. Wäre Wulff endgültig durchgefallen, hätte im selben Moment die Kanzlerin gehen müssen.

Es ist aber zunächst nicht dazu gekommen, und das hat Gründe.

Jede große Partei, die noch lebendig ist, hat ein Putschpotenzial. Das muss so sein, sonst kann sie auf Gefahren nicht reagieren. Dazu ist aber immer mehr nötig als nur schlechte Laune und das Ressentiment von Frustrierten, die endlich zum Zug kommen wollen.

In der CDU gibt es zwei prominente Beispiele solcher Versuche. Als Ludwig Erhard 1966 stürzte, galt Rainer Barzel als der Intrigant, der das eingefädelt hatte. Der Konflikt mit der Koalitionspartnerin FDP war nebensächlich, ihr stand der Kanzler sehr nahe. Aber die Politik der damaligen schwarz-gelben Koalition hatte sich festgefahren: Das Laisser-faire in der Wirtschaftspolitik musste für einige Zeit durch mehr Staat abgelöst werden, in der Ostpolitik war der Abstand zur US-amerikanischen Strategie zu groß geworden, ohne die SPD war eine Notstandsverfassung nicht zu haben.

Letztlich ging es um den Übergang in eine ganz neue Phase der bundesrepublikanischen Geschichte. Da mussten andere Leute heran: für die Zwischenzeit Kurt Georg Kiesinger von der CDU, später, nach einer Wahl, der Sozialdemokrat Willy Brandt. 1966 gab es also nur vordergründig einen Putsch. Die Basis der bisherigen Politik selbst war ins Wanken geraten.

1989 ist dann eine Palastrevolte gescheitert. Monate vorher war vieles wie heute: die Union hatte Wahlen verloren (auf dramatische Art und Weise 1988 in Schleswig-Holstein), Kohl hatte die marktradikale Wende, für die Graf Lambsdorff 1982 das Programm geschrieben hatte, irgendwie vertrödelt, ein Ersatzmann stand bereit: Lothar Späth. Es gab auch einen Organisator des Wechsels: Heiner Geißler. Auf dem Parteitag im September konnte es klappen. In der Nacht vor seinem Beginn wurde die ungarische Grenze geöffnet, die Wiedervereinigung begann, Kohl war gerettet – für die längste Kanzlerschaft überhaupt.

Auch das war kein Mantel- und Degenstück. Die wirtschaftsliberale Umsteuerung der Bundesrepublik brauchte mehr Zeit, als einige ihrer Ideologen sich das so vorgestellt hatten. Sie hatten übersehen, dass das Wort „Wende“ auch etwas anderes bedeuten konnte als einen ruckhaften Kurswechsel, nämlich ein eher langsames Beidrehen.

Das hätten Angela Merkel und Guido Westerwelle in den vergangenen neun Monaten lernen können, sie wollen es aber nicht wahrhaben. Das marktradikale „Durchregieren“, von der CDU-Vorsitzenden schon 2005 angekündigt, ist bislang eine fast schon groteske Gestikulation geblieben. Die Umfragewerte sind im Keller. Nun muss die CDU, immer sehr empfindlich in solchen Lagen, irgendwie reagieren, aber wie?

Ausdruck der Hilflosigkeit ist, dass zunächst über Personalwechsel spekuliert wird, und die Medien am Rand des Sommerlochs machen da gern mit. Aber das Angebot ist schmal. Zu einem gelungenen Putsch gehört eine intakte innerparteiliche Gegenelite.

Wie eng es da aussieht, zeigt sich daran, dass plötzlich Roland Koch als möglicher Kanzler-Kandidat gehandelt wird. Er ist populär geworden, seit er im Frühjahr seinen Abschied von der Politik eingeleitet hat. Schon zu jenem Zeitpunkt sammelten die Zeitungen Stimmen, wonach in Kochs Rückzug auch der Untergang der Wirtschaftskompetenz bei der CDU zu sehen sei. Am aufregenden Mittwoch der Präsidentenwahl dann, so geht die von vielen CDU-Abgeordneten unterstützte Geschichte, soll es allein Koch gelungen sein, die Fraktion vorm dritten Wahlgang auf Linie zu bringen. Merkel habe hilflose Fußball-Metaphern angeführt, Koch dagegen habe die Unions-Gefühle ansprechen können.

Was plötzlich eine große Rolle zu spielen scheint. In Hessen jedenfalls wurde Koch 2008 abgewählt und blieb 2009 nur im Amt, weil die dortige SPD sich zerlegte und die FDP erstarkte. Seitdem war er eine Art Zombie. Nur dadurch, dass er gekonnt kündigte, gewann er neues Leben. Da Aussteiger zur Zeit viel Verständnis finden, könnte die matte späte Regierungszeit Kochs bei einem Wiederauftauchen auf Bundesebene leicht in Vergessenheit geraten. Doch was bedeutet das?

Wenig. Personalwechsel sind in der Politik fast immer möglich, Politikwechsel brauchen länger. Mag sein, dass Merkel und Westerwelle das bald ebenfalls sind. Aber diejenigen, die sie gegenwärtig schon ab- und wegschreiben, möchten zumeist die Fortsetzung ihres Kurses: Sparen in den öffentlichen Haushalten, Primat des Marktes. Offenbar geht das aber nicht so weiter. Beim G8/G20-Gipfel in Toronto hat Merkel noch eine Premiere feiern können: In der Frage der Fiskalpolitik (wenngleich nicht bei der Behandlung der Banken) hat nicht Barack Obama gewonnen, sondern sie. Vielleicht ist das ein Pyrrhus-Sieg gewesen. Das forciert marktliberale Experiment könnte enden, bevor es richtig begonnen hat.

Ein wirklicher Politikwechsel ist nicht in Sicht, er ist noch gar nicht richtig entworfen. Um einen Green New Deal wird man wohl nicht herumkommen, auch nicht um eine ­Regulierung des Finanzsektors sowie um den Mindestlohn und eine Revision der Hartz IV-Politik. Schwarz-Gelb ist dazu offensichtlich nicht imstande. Aber neue Kombinationen sind noch nicht aktuell.

So lange das so ist, mögen Personenwechsel an der Spitze denkbar sein, aber sie bleiben steril – so wie im September 2008 der SPD-Putsch am Schwielowsee, als Kurt Beck stürzte.

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