Das Kuckucksei

1963 Vor 50 Jahren geht das ZDF auf Sendung. Zuvor ist Kanzler Adenauer damit gescheitert, ein Staatsfernsehen zu gründen, das der öffentlich-rechtlichen ARD Paroli bietet
Ausgabe 13/2013

Im September 1957 hatte Konrad Adenauer seinen größten Wahlerfolg feiern können: 50,2 Prozent der Stimmen, absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag. Damit begann sein Abstieg: Seine Stellung innerhalb der Union wurde nicht gestärkt, sondern geschwächt. Solange die Christdemokraten auf Koalitionen angewiesen waren, konnte er sie mit dem Hinweis disziplinieren, es sei nur zu realisieren, was er mit der FDP oder anderen Fraktionen vereinbart hatte. Jetzt musste sich Adenauer nur noch mit CDU und CSU herumschlagen, die ihm gegenüber mehr Selbstbewusstsein entfalteten. Auch sonst meinte er, Anlass zur Panik zu haben.

„Die Lage war nie so ernst!“ – dieser viel verspottete Ausruf war keine Demagogie, sondern drückte ebenso Besorgnis aus wie seine rhetorische Frage: „Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?“ Seit 1957 gab es das atomare Patt zwischen den Blöcken, 1960 wurde Kennedy Präsident, dem der Kanzler nicht über den Weg traute. Hinzu kam die lästige Nachfolgefrage. Die Union wollte Ludwig Erhard als nächsten Kanzler. Adenauer hielt ihn für ungeeignet. Einige Zeit überlegte er, sich zum Bundespräsidenten wählen zu lassen, um von dieser Position aus noch Einfluss auf die Politik zu nehmen. Nachdem er feststellte, dass die Befugnisse dieses Amtes sich nicht so dehnen ließen, wie er hoffte, gab er den Plan auf und hatte sich blamiert. Was war los? Erstmals seit 1949 musste Adenauer wieder ernstlich um die Macht kämpfen. Hierher gehört sein Plan eines regierungsamtlichen Fernsehens, der ihm die nächste Niederlage eintragen sollte.

Standuhr in Rhöndorf

Adenauer hatte immer ein scharfes Auge auf die Presse. Er veranstaltete „Teegespräche“, in denen er ausgewählte Journalisten instruierte. 1955 musste Paul Sethe, einer der Gründungs-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gehen, weil er zu einem Kritiker von Adenauers Außenpolitik geworden war. Der Spiegel berichtete vom Hintergrund: „Bei einem Empfang im Palais Schaumburg fragte der Bundeskanzler beispielsweise Vertreter der Industrie, warum die Industriellen der FAZ eigentlich so viele Todesanzeigen-Aufträge geben.“ Von Franklin D. Roosevelt hatte sich Adenauer eine Variante von dessen fireside chats abgeguckt: Kaminplaudereien, mit denen sich der US-Präsident per Radio an das Volk wandte. So meldete sich in Krisenzeiten auch der bundesdeutsche Kanzler per Rundfunk zu Wort. Während er redete, war zwischendurch Glockenschlag zu hören. Man konnte sich dann eine ehrwürdige Standuhr in Adenauers Rhöndorfer Privathaus vorstellen.

Seit 1952 gab es in beiden deutschen Staaten Fernsehen, und dies wurde dem Kanzler allmählich unheimlich. Sein Biograf Hans-Peter Schwarz berichtet, Adenauer sei 1957 klar geworden, dass dieser Wahlkampf der letzte gewesen sei, in dem er auf dieses Medium noch keine besondere Rücksicht nehmen musste. Das Fernsehen wurde von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) getragen. Und hier argwöhnte der Kanzler und CDU-Vorsitzende zunehmenden sozialdemokratischen Einfluss. Jedenfalls konnte er damit nicht einfach Wahlkampf machen.

Abhilfe erhoffte er sich von der Gründung eines Zweiten Fernsehprogramms, auf das die Bundesregierung unmittelbaren Einfluss haben sollte. Allerdings musste er sich zu diesem Zweck mit den Ländern ins Benehmen setzen, denn sie waren für den Rundfunk zuständig. So schloss Adenauer 1960 mit den CDU-Ministerpräsidenten ein Verwaltungsabkommen zur Gründung einer Deutschland-Fernsehen GmbH – privatrechtlich verfasst, wenngleich zu 100 Prozent in öffentlicher Hand. Die Bundesregierung sollte ein Drittel der Anteile halten, auf die Länder entfielen zwei Drittel. Dieses Zugeständnis an den Föderalismus war nötig, behagte dem Kanzler aber nicht. Die Art, wie das Abkommen formal besiegelt werden sollte, erschien Adenauer-typisch trickreich, war aber wohl einer der Fehler, die ihm in dieser Spätphase unterliefen: zur Unterzeichnung des Gesellschaftervertrags waren die Vertreter der Länder nicht rechtzeitig eingeladen und deshalb nicht erschienen. Justizminister Fritz Schäffer (CSU) unterschrieb treuhänderisch für sie, danach konnten sie sich ihre Anteile übertragen lassen.

Doch jetzt wurden die Kritiker besonders wach. Sie fanden sich nicht nur bei den sozialdemokratischen, sondern auch bei den christdemokratischen Regierungschefs, allen voran der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Peter Altmeier. Ein Bundes-Fernsehen war ein Eingriff in ihre Rechte. Die Länder übernahmen ihre Anteile nicht, und Schäffer übergab diese der Regierung, formell weiterhin „treuhänderisch“. Das ging nun überhaupt nicht, alle schlafenden Hunde waren geweckt. Schließlich waren es die Nazis, die einst den Rundfunk reichseinheitlich zentralisiert hatten. Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen – alle SPD-regiert – riefen das Bundesverfassungsgericht an, und dieses erklärte am 28. Januar 1961 die Gründung einer Deutschland-Fernsehen GmbH für grundgesetzwidrig, da mit der Kulturhoheit der Länder unvereinbar. Zudem weise die geplante Konstruktion – anders als die Organisation der ARD-Sender als Anstalten Öffentlichen Rechts – nicht genügend Staatsferne auf.

Allerdings wurde das Kuckucksei, welches Adenauer den Ländern ins Nest gelegt hatte, zu guter Letzt doch ausgebrütet. Die Ministerpräsidenten hatten inzwischen nämlich selber Geschmack an der Sache gefunden und unterzeichneten am 6. Juni 1961 einen Staatsvertrag für ein Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), das wie die ARD als Anstalt Öffentlichen Rechts organisiert war. Am 1. April 1963 nahm es in Mainz den Sendebetrieb auf. Was als Anschlag auf den Föderalismus begonnen hatte, endete mit dessen Stärkung. Dabei war Adenauers Argument – es müsse mehr Pluralität geben – nicht völlig verpufft, sondern hatte mitgeholfen, dass die ARD ihr Monopol verlor. Parteipolitisch konnte der Kanzler sogar zufrieden sein, denn Karl Holzamer, der erste und langjährige ZDF-Intendant, war CDU-Mitglied. Auch wirkte das Zweite Deutsche Fernsehen stets staatsnäher als die ARD. Was politische Einflussnahme bedeutet, hat nicht zuletzt 2010 der Chefredakteur Nikolaus Brender zu spüren bekommen: Er verlor seinen Posten nach einer Intervention des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der sich seine CDU/CSU-Kollegen angeschlossen hatten.

SAT.1 und RTL

Ohnehin hatte sich Adenauers Initiative nicht vorrangig gegen die ARD gerichtet, sondern gegen ihm missliebige Printmedien, denen er etwas Eigenes entgegensetzen wollte. Zunehmend machte ihm der Spiegel zu schaffen. Wie hart es da zuging, zeigte 1962 die Polizei-Aktion gegen Rudolf Augsteins Magazin. Über diese Affäre stürzte nicht nur der Verteidigungsminister Strauß – sie war auch das Vorspiel zum Ende der Ära Adenauer 1963.

Dessen Vorstoß vor gut einem halben Jahrhundert erwies sich dennoch als zukunftsträchtig. Die Deutschland-Fernsehen GmbH sollte ja eine private Rechtsform erhalten. Seit 1952 erschien Axel Springers Bild-Zeitung und griff ständig das öffentlich-rechtliche Fernsehen an. Und dann gab es da Gerd Bucerius, bis 1962 Bundestagsabgeordneter der CDU, vor allem aber alleiniger Gesellschafter der Zeit, Mehrheitseigentümer des Nannen-Verlags und Verleger der Illustrierten stern.

Zusammen mit einigen Kollegen setzte er sich für ein „Freies Fernsehen“ ein. Was zunächst wie Zukunftsmusik klang, wurde 1984 Wirklichkeit: Das staatliche Rundfunk-Monopol fiel. Angesichts von SAT.1 und RTL kann seither darüber philosophiert werden, was das Bundesverfassungsgericht 1961 gemeint haben mag, als es forderte, es müsse dafür gesorgt werden, „dass der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird“. Der Einfluss privater wirtschaftlicher Macht auf das Fernsehen lag da wohl noch außerhalb des Vorstellbaren.

Georg Fülberth schrieb hier zuletzt über das Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts 1982

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