Matthias Platzeck ist hundert Tage im Amt als SPD-Vorsitzender, und jetzt ist er zweifelnder Kritik ausgesetzt: er führe nicht, die Partei zeige kein Profil. Dieser Abfall in der öffentlichen Meinung ist die Kehrseite einer früheren Überschätzung. Als Platzeck auf dem SPD-Parteitag mit mehr als 99 Prozent der Stimmen gewählt wurde, war dies das Überspielen einer großen Verlegenheit. Müntefering hatte hingeworfen, innerhalb von 48 Stunden guckten sich die sozialdemokratischen Granden einen Nachfolger aus, um weitere Diskussionen zu verhindern. Das dicke Ende war damit nicht vermieden, sondern hinausgeschoben.
Mittlerweile wird die SPD von der Kanzlerin vorgeführt, aber dazu gehören zwei. Beispiel Genshagen: Platzeck plauderte am Zaun leutselig mit Landsleuten, dann ging er ins Schloss und vereinbarte eine Familienförderung, die die Reichen begünstigt. Als anschließend die Basis maulte, wurde nachverhandelt, aber die SPD stand dann nicht besser da. Zwar können Kinder-Betreuungskosten jetzt auch bis zu 1.000 Euro monatlich abgesetzt werden, die Begünstigung der Besserverdienenden bleibt jedoch. Außerdem hat die CSU der Sache eine familienpolitische Spitze genommen, die eher nach dem Sinn der SPD gewesen wäre: Die Hausfrauen-Ehe wird wieder aufgewertet.
Bei der Altersversorgung wollte Müntefering ein solches Hin und Her vermeiden und vereinbarte ruckzuck, dass die Rente ab 67 noch schneller eingeführt wird - ein sozialpolitisches Selbstmord-Attentat der SPD. Als Kurt Beck Nachbesserungen verlangte, klang das nach Wahlkampf. Die CDU spielte den Zuchtmeister wie einst Herbert Wehner: ein bisschen mehr Disziplin gefälligst! Offenbar darf sie das jetzt.
In der Nahost-Politik hat Merkel ebenfalls die Trumpfkarte in der Hand. Das Hin und Her um den Untersuchungsausschuss belastete allerdings ausschließlich die Grünen. Aber im Konflikt mit dem Iran und in der Haltung zur Hamas ist das Existenzrecht Israels so tangiert, dass Merkels Platz an der Seite der USA - anders als im Irak-Krieg - alternativlos erscheint. Eine besondere Stellungnahme der SPD erübrigt sich, der Schröderkurs ist passé.
Aber Platzecks Partei steht nicht nur in der Bundespolitik im Abseits. Kürzlich beschloss der hessische Landtag, in dem die CDU die absolute Mehrheit hat, den Verkauf eines Universitätsklinikums an einen privaten Betreiber. Die SPD-Opposition hielt große Reden über die Verschleuderung öffentlichen Eigentums. Darauf hatte der Ministerpräsident Koch nur gewartet. Ohne Mühe konnte er darauf hinweisen, dass in Ländern, Kommunen und Kreisen, die sozialdemokratisch verwaltet sind oder waren, Krankenhäuser privatisiert wurden. In ihrer eigenen Regierungszeit hatte die SPD sich zu einem Sparkurs bewegen lassen, der die Infrastruktur dieser Kliniken ruinierte. Welche Alternative, bitte schön, hatte sie nun zur Privatisierung?
Zugleich zeigt sich, dass die SPD über ihr Lafontaine-Trauma noch nicht hinweg ist. Als der damalige Finanzminister und Parteivorsitzende im März 1999 zurücktrat, wurde ihm das als Flucht vor der Verantwortung vorgehalten. Dies geht jetzt nicht mehr: Schröder ist Lobbyist eines Medienkonzerns und Aufsichtsratsvorsitzender eines Gas-Konsortiums, Lafontaine aber sitzt nicht nur im Bundestag, sondern macht sozialdemokratische Basisarbeit. Auf einer Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt im Januar hielt er eine Grundsatzrede, die als perspektivreiches Parteiprogramm von Bedeutung werden kann. Als sich Lafontaine im IG Metall-Outfit bei streikenden AEG-Arbeitern in Nürnberg zeigte, mochte ihm die SPD dies ruhig als Populismus vorwerfen: Er steht einfach in der Lücke, die sie lässt. Er ist, obwohl Mitglied zweier anderer Parteien, zur Zeit der einzige sozialdemokratische Führer von überragender Statur.
Eine Schicht darunter ist es noch bedenklicher: Zwar schrumpft die klassische Basis der SPD, aber die Partei hat sich noch schneller von ihr abgewandt. Aus Facharbeitern werden Langzeitarbeitslose. Die Flinkdenker von der Neuen Mitte reden der Partei ein, dann müsse man sich eben eine andere soziale Grundlage suchen. Die hat sie noch nicht gefunden, sie ist wohl auch schon anderweitig vergeben.
Die SPD macht den Eindruck, als komme es auf den einzelnen Fehler gar nicht mehr an, weil man ohnehin nichts mehr richtig machen könne. Fast möchte man ihr einen Heilschlaf wünschen. Den aber gibt es allenfalls in der Opposition. Diese wäre nur durch Neuwahlen zu erreichen, und die wiederum muss die Sozialdemokratische Partei Deutschlands am meisten fürchten.
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