Den Kopf in die Schlinge gelegt

FDP Als sie nur noch Funktionspartei waren, gerieten die Liberalen auf die schiefe Bahn. Ihr Ausscheiden ist folgerichtig
Ausgabe 39/2013

Für den 22. September 2013, 18 Uhr, hatte der Kabarettist Jürgen Kuttner zu einem satirischen Wahlabend in die Berliner Volksbühne eingeladen. Das Publikum: Menschen jüngeren und mittleren Alters, gewiss eher links, unverkennbar individualistisch. Kaum jemand betrat den Saal, solange nicht die erste Hochrechnung da war. Als sie dann kam und ankündigte, die FDP werde dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören, brach lauter Jubel aus. Er wich den ganzen Abend nicht mehr. Die Schadenfreude nahm allmählich den Charakter des Nachtretens an, der Frust über andere Wahlergebnisse, von denen man keineswegs erbaut sein konnte, wurde weggelacht auf Kosten der FDP. Das war offensichtlich nicht nur szenetypisch. In der Elefantenrunde von ARD und ZDF fand sich Peer Steinbrück ein einziges Mal zu einem grimmigen Lächeln bereit: als das Ausscheiden der FDP erörtert wurde. Da hatte sich etwas angestaut.

Stets lernfähig

Einigen älteren Beobachtern, die selbst wohl nie freidemokratisch gewählt hatten und die FDP ebenfalls nicht mochten, wurde am Wahlabend die Endlichkeit ihres eigenen Erfahrungsschatzes bewusst. Jahrzehntelang, seit Adenauer 1956 versucht hatte, den Liberalen durch eine Wahlrechtsreform das Lebenslicht auszublasen, wurde diese Partei immer wieder einmal totgesagt, etwa bei Bildung der Großen Koalition 1966, nach dem Bündnis mit Brandt drei Jahre später und Genschers Seitenwechsel zu Kohl 1982. Immer war sie gerettet worden: durch Fürsprache von Intellektuellen, mit Leihstimmen von SPD und CDU, auch gestützt durch hohe Geldspenden. Wer das mehrmals erlebt hatte, war geneigt, ihr ein ewiges Leben zu prophezeien. Und plötzlich klappt das nicht mehr. In Umkehrung der bisherigen Erfahrungen könnte man die jetzige Katastrophe für final halten. Dabei ist die Frage, weshalb die FDP nunmehr scheiterte, vielleicht weniger interessant als jene andere: Weshalb sie es in der Vergangenheit stets neu verstanden hat, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Antwortet man darauf nicht mit der Aufzählung von Tricks und Zufällen, sondern findet dabei eine damals rettende Substanz, könnte dies schon ein Hinweis auf die Bedingungen eines Comebacks sein.

Seit gut 30 Jahren wird die Anhängerschaft der FDP mit folgenden Berufsbildern assoziiert: niedergelasssene Ärzte, Apotheker, Architekten, Betriebswirte. Historiker sind nicht darunter, Philosophen auch nicht. Erstere könnten aufzählen, dass liberale Parteien in der deutschen Geschichte immer wieder untergegangen sind (nicht erst 1933 und in Ostdeutschland nach 1945) oder doch von der Auslöschung bedroht waren, dass sie aber wiederkamen. Was waren die Ursachen?

Jetzt müssen die Philosophen ran. Als Wurzel des Liberalismus nennen sie das Bekenntnis zur Freiheit der Individuen und der Märkte. In einer Phase der frühen Unschuld wurde beides miteinander identifiziert. Später wurde gelernt, dass die Freiheit des Einzelnen durch die Entfesselung des Marktes bedrängt werden kann. Kapitalismus war nur in organisierter Form überlebensfähig: durch Arrangements zwischen Unternehmern und Gewerkschaften, oft vom Staat moderiert. Bürgerliche Parteien, die das verschliefen, setzten ihre Existenz aufs Spiel. Waren sie lernfähig, entstand eine neue Variante der Freiheitsideologie und -praxis: der Sozialliberalismus, erstmals um die vorige Jahrhundertwende bei Friedrich Naumann und dem Industriellen Robert Bosch. Sie blieben dabei immer auf der bürgerlichen Seite des kapitalistischen Beziehungsgefüges: misstrauisch gegen Machtansprüche der Gewerkschaften, die sie für zu weitgehend hielten, gegen staatlichen Zwang, auch gegen Monopole. Liberale Parteien verstanden sich dabei stets als Korrektive, mal im Verhältnis zum Konservativismus, mal zu dem, was sie für Sozialismus (und sei es in seiner mild-sozialdemokratischen Form) hielten. Die gesamte Geschichte der FDP seit der Gründung dieser Partei 1948 lässt sich so interpretieren.

Unter Adenauer stützte sie Ludwig Erhards (den die FDP zu den Ihren rechnete und dessen Zugehörigkeit zur CDU sie nie verstand) Widerstreben gegen angeblich zu viel Sozialstaat. Als Partei des laizistischen Freisinns wandte sie sich gegen klerikale Bevormundung des Individuums. Angeleitet von den Professoren Ralf Dahrendorf und Werner Maihofer lernte sie in den sechziger Jahren, dass die Einzelnen sich nur dann ihren Möglichkeiten entsprechend frei entfalten können, wenn öffentlich-rechtliche Infrastruktur bereitgestellt wird: kommunale Bodenvorratspolitik, Bildungsreform, Steuergerechtigkeit. Das führte sie in die Koalition mit der SPD, wo sie aber nach einiger Zeit wieder zur Bremserin gegen angeblich zu viel Staat wurde. Insofern war der Koalitionswechsel 1982 sogar folgerichtig. Das damalige Lambsdorff-Papier wird viel genannt, aber kaum gelesen. Wer es kennt, der weiß, dass es recht defensiv formuliert ist. Vom Sozialstaatler Kohl unterschied sich die FDP durch ihr Drängen auf mehr Markt.

Als Anhängsel überflüssig

Das Unglück der FDP begann, als Angela Merkel sich die neoliberale Agenda Anfang des Jahrhunderts selbst zu Eigen machte. Die FDP hatte sich tot gesiegt und war nur noch Verstärker. Indem sie die CDU zu übertrumpfen suchte – Steuersenkungen ohne Ende, dann auch noch für leicht identifizierbare Gruppen (Hoteliers) –, wirkte sie lächerlich. Sie übersah, dass sich mit der Weltfinanzkrise 2008 die Notwendigkeit eines neuen Sozialliberalismus abzeichnete. Noch bevor ihre Ideologen dies begriffen hatten – denen ist das bis heute nicht gelungen –, bereitete Angela Merkel selbst diese Korrektur vor.

In dieser Situation beging die FDP den Fehler, dass sie das glaubte, was ihre Gegner ihr vorwarfen, und dass sie diesem Vorurteil gerecht zu werden versuchte: dass sie nur eine Funktionspartei sei, also ausschließlich Mehrheitsbeschafferin und Leihstimmensammlerin. Daran war in der Vergangenheit nur so viel richtig gewesen, dass sie selbst Mehrheiten für einen der beiden Blöcke herstellte und dort ihren durchaus eigenständigen Vorstellungen von den Rechten der Einzelnen – und sei es mit Hilfe des Marktes, aber immerhin auch des Rechtsstaates – Geltung zu geben suchte. Indem sie sich zum Anhängsel machte, wurde sie überflüssig. Das zu schützende Individuum wurde zur Klientel.

Paradoxerweise besteht die Chance der FDP darin, dass es die AfD gibt, die ihr jetzt entscheidende Stimmen weggenommen hat: konsequenter als sie in den Disziplinen Marktradikalismus und letztlich auch der Bedienung von Interessenten (etwa Geldvermögensbesitzern). Die AfD könnte die Freidemokraten zwingen, die hoffnungslose Konkurrenz mit ihr gar nicht erst aufzunehmen und sich auf ihre alte Aufgabe als durchaus Werte geleitetes Korrektiv zu besinnen.

Georg Fülberth schrieb zuletzt über Wolfgang Schäuble und ein neues Hilfspaket für Griechenland

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