Vielleicht wird die CSU einmal ihrem Herrgott dafür danken, dass sie 2018 die Landtagswahl verloren hat. Ohne Abonnement auf die absolute Mehrheit wird das Leistungsprinzip wichtiger. Dies könnte zur effizienteren Personalauswahl führen. Daran hat es zuletzt wohl ein bisschen gefehlt.
In der Vergangenheit haben CSU-Chefs und bayrische Ministerpräsidenten immer wieder einmal gern erzählt, wie sie, aus kleinen Verhältnissen kommend, nur auf ihre eigenen Ellbogen vertrauend, nach oben gekommen sind. Einmal an der Spitze, legitimierten sie so die Beibehaltung rüder Manieren: Schließlich würden sie und ihr Freistaat nach wie vor angefeindet und müssten sich wehren.
Mit solcher Selbststilisierung verbindet sich der abschätzige Blick auf die Erben: Die setzten sich ins gemachte Nest. Zumindest teilweise erklärt sich so die Behandlung Markus Söders durch Horst Seehofer über lange Zeit hinweg. Genützt hat es Letzterem nicht: An diesem Wochenende soll Söder zu Seehofers Nachfolger als CSU-Chef gewählt werden.
An dieser Inszenierung stimmt nicht alles. Fast jeder Aufsteiger, auch in Bayern, war irgendwann einmal irgendjemandes junger Mann. Die großen Männer kommen nicht ohne Domestiken aus, die ihnen die Aktentasche tragen und hoffen, später an die Stelle des Alten zu treten. Bleibt der zu lange, erledigt sich das durch Zeitablauf, wie bei Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Andere sind, trotz mittleren Jahrgangs, aus den kurzen Hosen noch nicht ganz heraus, so Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer.
Sie wirken wie eineiige Zwillinge und deshalb verwechselbar. Wer an den Einen denkt, dem fällt gleich der Andere ein. Dobrindt ist Sozio-, Scheuer Politologe. Jeder von ihnen war CSU-Generalsekretär und ist Bundesverkehrsminister geworden, und sie haben sich in beiden Ämtern ähnlich benommen. Die Verwechselbarkeit besteht nicht nur zwischen Dobrindt und Scheuer, ihre Karrieremuster entsprechen auch denen anderer Politiker ihrer Alterskohorte in der CSU.
Scheuers Laufbahn war bisher so glatt wie der ganze Mann. Er wurde 1974 geboren, amtierte als Funktionär der Jungen Union, kam 2002 in den Bundestag, war 2009 bis 2013 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Eine eher läppische Irritation wegen seines Doktortitels beendete er dadurch, dass er keinen Gebrauch mehr von ihm macht. Als CSU-Generalsekretär (2013 bis 2018) tat er, was das Amt erfordert und wie es einst Söder vorgeturnt hatte: lautstark austeilen gegen alles Linke und Fremde. Das Vokabular, das er verwendete – zum Beispiel „Leitkultur“ –, lag bereit, er musste sich nichts Neues einfallen lassen. 2016 warnte er vor Migranten, die ins Christentum und den deutschen Fußball einwanderten und die man anschließend nicht mehr loswerde. Der Protest eines katholischen Kardinals und eines evangelischen Bischofs war eingepreist.
Als Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur wirtschaftet Scheuer so weiter wie sein Vorgänger Dobrindt. Das CSU-Projekt Pkw-Maut will er bis 2020 ins Ziel bringen.
In der Diesel-Krise sprach er sich gegen Hardware-Nachrüstungen, die die Autoindustrie bezahlen muss, aus. Als der Gegenwind stark wurde, schimpfte er die Unternehmen aus, um schließlich einem Schein-Kompromiss zuzustimmen, mit dem sie sich durchsetzten: Priorität hat der Neukauf von sauberen Wagen derselben Firma und die Einräumung eines Preisnachlasses. Bei dieser vorzeitigen Flottenerneuerung dürfte trotz des Rabatts ein Gewinn herausspringen. Wer nicht mitmacht, bekommt maximal 3.000 Euro für Nachrüstung, die aber erst 2020 zu haben ist. Scheuer ließ durchblicken, dass er den Unternehmen gern noch mehr gegönnt hätte, von der Koalitionsdisziplin aber daran gehindert worden sei. Im Übrigen gilt: BMW heißt Bayerische Motoren Werke, und die CSU stellt seit 2005 den Verkehrsminister.
Die Abgas-Affäre dürfte Scheuer als einen Kampf zweier Welten sehen: auf der einen Seite der Automobilkomplex, zu dem nicht nur die Industrie, sondern auch deren Kunden gehören, auf der anderen die Deutsche Umwelthilfe, Verwaltungsgerichte und vielleicht auch US-Konkurrenten im Wirtschaftskrieg, dazwischen das Ministerium. Dass die Konzerne die Käufer über den Tisch ziehen, hält er, da dies in der freien Marktwirtschaft geschieht, für eine private Vertragsangelegenheit. Wahrscheinlich ist diese Position noch nicht einmal unpopulär. Reduziert man den durchschnittlichen Kfz-Halter auf den Autofahrer ohne weitere Präferenzen, dürften ihn die Deutsche Umwelthilfe und die von dieser erwirkten Gerichtsurteile ähnlich nerven wie der Betrug der Konzerne, und es wäre manchem wohl lieber, die ganze Sache wäre nicht herausgekommen und er hätte einfach freie Fahrt für freie Bürger. Scheuers Haltung kommt solchen Interessen also entgegen, und insofern ist er nicht nur ein Mann des Kapitals, sondern auch des Volkes.
Über Förderung der digitalen Infrastruktur hat man bislang nicht viel von Scheuer gehört. Die seit 2013 in seinem jetzigen Ministerium für dieses Gebiet zuständige Staatssekretärin Dorothee Bär ist inzwischen ins Bundeskanzleramt gewechselt.
Wenn die Nachfolge Seehofers im Bundeskabinett ansteht, darf Scheuer sich zu denen rechnen, die infrage kommen. Gerd Müller, der dritte CSU-Minister, ist nicht für Innenpolitik, sondern für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe zuständig und seit Strauß’ Zeiten als ein Mann bekannt, der auch einmal aus der Reihe tanzt. Insofern stehen Scheuers Chancen nicht schlecht. Er bleibt ein Erbe unter Erben. Da Söder aber inzwischen Ministerpräsident ist und nun CSU-Chef wird, ist die Erbmasse kleiner geworden.
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