Egomanischer Egoismus

CSU Die von Horst Seehofer beschrittenen Sonderwege haben einen anderen Zweck als einst bei Franz Josef Strauß
Ausgabe 31/2015

Die Vorstöße und Fehlschläge der CSU, besonders ihres Vorsitzenden Horst Seehofer, lösen Kopfschütteln aus. Hat den bayrischen Ministerpräsidenten sein politischer Instinkt oder gar sein Glück verlassen? Seit 2009 scheinen nur noch Niederlagen seinen Weg zu pflastern. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das von der CSU im Koalitionsvertrag durchgesetzte Betreuungsgeld für grundgesetzwidrig. Die Pkw-Maut wird wohl an der EU-Kommission scheitern. Dass – geht es nach dem Willen der CSU – in Bayern kein Atommüll zwischengelagert werden darf, in anderen Bundesländern aber schon, gilt zu Recht als Gipfel des Regional-Egoismus. Während von rechts außen Asylbewerberheime angegriffen werden, links und in der Mitte den Flüchtlingen viel Hilfsbereitschaft begegnet, positioniert sich Horst Seehofer mit dem Vorschlag, an den Grenzen seines Freistaats Auffanglager zu errichten, in denen im Schnellverfahren über Anträge entschieden und dann flott abgeschoben wird.

Warum macht Seehofer das? Dass er mit Maut und Betreuungsgeld scheitern und in der Frage des Atommülls Hohn und Spott auf sich ziehen würde, musste ihm von Anfang klar sein – er hat es also billigend in Kauf genommen. In der Flüchtlingsfrage demonstriert er, das rot-grüne Lager ist für ihn eine vernachlässigenswerte Winzigkeit, zumindest in Bayern. Damit haben wir wohl den Schlüssel für Seehofers Verhalten gefunden. Er hat mit seinen Provokationen Erfolg. Das gilt zwar nicht für die Chance, dass er mit seinen Vorschlägen durchkommt. Da holt er sich tatsächlich auch mal ein blaues Auge in Berlin und bundesweit. Dies ist ihm egal, Hauptsache, in Umfragen, die weissagen, wie sich die Menschen in Bayern entscheiden würden, wäre am nächsten Sonntag Landtagswahl, steht die CSU ebenso glänzend da wie bei ihrem Triumph 2013, überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Debakel von 2008. Bleibt das so, dann ist die absolute Mehrheit der Landtagsmandate ungefährdet.

Blasser Epigone

Damit sich daran nichts ändert, veranstaltet Seehofer sein Theater, über das sich Leute aufregen, die in Bayern nichts zu melden haben. Im selben Maße, in dem er sich als schlechter Bundespolitiker vorführen lässt, präsentiert er sich als guter Landesvater, der atomaren Abfall und Fremde von den Seinen fernhält. Er lässt darauf hinweisen, dass es in Bayern ja mehr Kindertagesstätten gebe als in manchen SPD-regierten Ländern, die zwar das Prinzip hochhalten, aber das Geld nicht haben, um es zu verwirklichen. Bei einer Landtagsrede im Juli, die wegen ihrer überraschenden Mäßigung sogar von der Opposition gelobt wurde, berief er sich darauf, dass die Beunruhigung von Gemeinden und Bürgern, die nicht wüssten, wie sie Flüchtlinge unterbringen können, ja auch ohne seine Sprüche fortbestanden hätte. Er meinte offenbar, real existierende Fremdenfeindlichkeit dämpfen zu können, indem er sich bremsend an ihre Spitze stellt. Und schließlich liege Bayern, so liest man auch in der überregionalen Mainstream-Presse, halt näher am Balkan dran als andere Länder. Zudem mache nicht bajuwarisches Vorurteil, sondern die geltende Rechtslage Asylanträge von Menschen aus Serbien und dem Kosovo aussichtsloser als die der Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak.

Gewiss kann man Seehofers Politik unter dem Gesichtspunkt dessen beurteilen, was man so politische Kultur nennt, und ihm eine schädliche Wirkung auf diese attestieren. Franz Josef Strauß nannte intellektuelle Gegner 1978 „Ratten und Schmeißfliegen“ und Edmund Stoiber warnte vor der „Durchrassung“ des deutschen Volkes. Verglichen damit ist Seehofer ein blasser Epigone. Und gemessen an der brachialen und realen Demütigung Griechenlands durch Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel und andere hervorragende Europäer sind seine verbalen Auslassungen kaum mehr als Folklore.

Dass die CSU auf Bundesebene eher schwach dasteht, hat sicher auch mit der Großen Koalition zu tun. Da ist die CSU eben mit Abstand die kleinste Partnerin. Neben der FDP würde sie gewiss eine stattlichere Figur machen. Nicht zufällig passierte ihr Wahlunglück von 2008, als sie in Bayern die absolute Mehrheit verlor, ebenfalls während einer Großen Koalition in Berlin.

Ein zweiter Grund reicht weiter in die Vergangenheit zurück. Bayern ist nicht mehr, was es einmal war – zwar reicher als in seiner Aufstiegszeit während der 50er Jahre, aber ohne die einstige Dynamik, die unwiederholbar und auch nicht länger nötig ist. Einst profitierte das Land vom Reservoir billiger Arbeitskräfte aus den bisherigen Notstandsgebieten des Bayrischen Waldes und dem Zuzug von Industrien und Kapital, unter anderem aus dem gefährdeten Westberlin. Mit diesen Erfolgen präsidierten Landesväter wie Hanns Seidel und Alfons Goppel, während Strauß in Bonn Weltpolitik zu machen versuchte. Bayern war ihm eine Ressource, auf deren Basis er nach Höherem strebte. Dass er 1978 dort Ministerpräsident werden musste, war Ergebnis von Niederlagen, die Strauß nie akzeptierte: Er fühlte sich nach wie vor zum Kanzler oder doch wenigstens – Trostpreis – zum Außenminister berufen.

Das Festhalten an solchen Ambitionen nach Strauß wäre für seine Nachfolger nur eine Bürde gewesen, auf die sie schlauerweise nicht scharf waren. Stoiber wurde als Kanzlerkandidat gegen Schröder 2002 unglücklich, er hatte sich nach dieser Rolle nicht gedrängt. Es gibt keine Rechtfertigung für eine institutionelle Sonderstellung Bayerns in der Bundesrepublik (es sei denn, man führte sie auf die Position des Königs aus dem Hause Wittelsbach als „Erster Fürst des Reichs“ nach dem Kaiser seit 1871 zurück). Für Strauß war Bayern Mittel zum Zweck, für Seehofer ist es Selbstzweck.

Nachfolge ungelöst

Dass Letzterer nicht mehr so trittfest wirkt, hat vielleicht auch mit der ungelösten Nachfolge-Frage zu tun. Seehofer präferiert Ilse Aigner, Markus Söder mag er offenbar nicht. Vielleicht ist es nur die übliche Abneigung alternder Politiker gegen Kronprinzen. Söder revanchiert sich, indem er die Unangreifbarkeit der Netzwerke, in denen er sich eingerichtet hat, in fast schon herausfordernder Weise demonstriert. Seehofer mag hier eine Gefahr wittern, die über das Persönliche hinausgeht und die Zukunft der CSU betrifft:

Wirtschaftlich ebenso stabil wie Bayern ist Baden-Württemberg. Als einst Günther Oettinger (CDU) dort Peinlichkeiten unterliefen, spottete die FAZ, das Land sei derart prächtig ausgestattet, dass es jeden Ministerpräsidenten aushalte. Dies konnte so missverstanden werden, dass dieser immer von der CDU gestellt werde. Sie leistete sich Stefan Mappus, wie Söder ebenfalls gewieft im Umgang mit Seilschaften und der Industrie. Seehofer weiß, dass es auch eine Welt jenseits der Hinterzimmer gibt. Wird sie ignoriert, kann es ein böses Erwachen geben. Immerhin: Die Opposition wurde in Bayern so kleingehalten, dass sie gegenwärtig keine Herausforderung darstellt. Vor einigen Jahren waren die Freien Wähler eine Gefahr. Ihre Kritik: Die CSU sei zu abgehoben. Auch das mag eine Ursache für Seehofers forcierten Regionalismus sein. Ob er ausreicht, sein Erbe und das der CSU-Ahnen zu sichern, weiß niemand.

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