Ein Dichter für alle

Überraschendes Jubiläum 2008 jährte sich der Geburtstag des verstorbenen Dichters Peter Hacks zum 80. Mal. Anmerkungen zu einer Renaissance

Eigentlich war zu erwarten gewesen, dass die beiden Jubiläen - Todes- und Geburtstag - unbegangen vorübergehen würden, denn immerhin handelte es sich bei Peter Hacks um eine Unperson. Dass es eifrige Bemühungen einer zunächst sehr kleinen Gemeinde gab, musste daran nicht unbedingt etwas ändern.

2003 hatte der Eulenspiegel Verlag, vom Dichter autorisiert, eine 15-bändige Werkausgabe herausgegeben. Dieses Haus bringt seitdem in dichter Folge weitere Texte von Peter Hacks - Nachgelassenes, Briefe - hervor. Große Verdienste erwirbt sich der Jurist und Verleger André Thiele. In Hacks´ letzten Jahren hatte er ihm zugearbeitet, ohne ihn je persönlich getroffen zu haben. 2007 gründete er die Zeitschrift Argos. Mitteilungen zu Leben, Werk und Nachwelt des Dichters Peter Hacks (1928-2003). Er ist auch der Initiator der Peter-Hacks-Seite im Internet und des Hacks-Forums, das die zentrale Kommunikationsplattform für die Forschung ist. Es gibt eine Peter-Hacks-Stiftung und eine Peter-Hacks-Gesellschaft. Zu Beginn des Jahres kam ein Peter-Hacks-Kalender heraus.

"So viel Arbeit für ein Leichentuch" - hätte man mit Lessing sagen können. Man kennt die resonanzlosen Anstrengungen armer literarischer Gesellschaften, die sich um vergessene Schriftsteller bemühen. Aller Eifer hilft nichts, wenn die Umstände nicht stimmen. Zum Beispiel hatte vor Jahren der Reclam Verlag eine angeblich repräsentative Anthologie deutscher Balladen ohne einen einzigen Text von Hacks veröffentlicht - und dies, obwohl es seit Jahrzehnten kaum einen anderen deutschen Balladendichter gegeben hat. Das Peter-Hacks-Jahr schien ein Flop zu werden.

Da erschien im März in der FAZ ein großer Aufsatz von Frank Schirrmacher. Dazu war ein Liebesgedicht von Peter Hacks abgedruckt und so kommentiert: "Die Frage ist, ob diese paar Zeilen eine halbe Bibliothek von politischen Gemeinheiten aufwiegen. Die Antwort lautet, dass neunzig Worte in der richtigen Reihenfolge mehr wert sind als zehntausend Worte in der falschen. Das Letztere ist Gesellschaft, das Erstere ist Kunst. Es braucht viel Rechenkapazität, um aus neunzig einfachen Worten ein solches Gebilde zu machen. In der deutschen Literatur dauerte es von den Merseburger Zaubersprüchen bis zu dem Tag, da Hacks dieses Gedicht schrieb. Es ist, nach Maßgabe strengster Kriterien: vollendet."

Seitdem hat wohl nicht mehr die Hacks-Gemeinde ein Problem mit dem Reclam Verlag, sondern Reclam mit Hacks. Ein Balladenband ohne diesen Autor dürfte jetzt als mangelhaft gelten.

Schirrmacher nannte mehrere Gründe für seine Entscheidung, darunter auch diesen: "Also sprechen wir ruhig an gegen das Geschrei: er ist unser." Gemeint war der kommunistische Flügel des Fanclubs. In seiner schon vor 1989 einsetzenden Vereinsamung war Hacks mit radikalen Linken allein. Unter den Zeitschriften, die ihm für Veröffentlichungen blieben, war lediglich Konkret noch relativ prominent. Mehr zu Hause fühlte sich Peter Hacks in jenen Jahren wohl in den Zirkularen Rotfuchs und offensiv, betrieben von Personen, die sich von der DKP und der PDS abgesplittert hatten. Sie durften sagen: "Denn er war unser!" - und dies hielt Frank Schirrmacher wohl für einen Raub an einer von ihm für förderungswürdig gehaltenen deutschen Allgemeinkultur.

Als die Peter-Hacks-Gesellschaft fürs zweite November-Wochenende zu einer Tagung über den Dichter nach Berlin einlud, kam es dann nicht - wie zu befürchten - zu einem Mini-Treffen in einer Telefonzelle, sondern es wurde ein großer Erfolg. In der FAZ berichtete André Thiele hocherfreut, wer im Publikum der Schlussdiskussion im überfüllten Saal des Brecht-Hauses zusammengefunden hatte: "DDR-Staatsminister a.D. neben Manager, Chefredakteur neben Filmstar, Professor neben Dropout, Dichter neben Comedian". Anschließend sei der eine in ein teures Auto mit Münchner Kennzeichen gestiegen, der andere in die Straßenbahn. Denn Peter Hacks sei ein "Dichter für alle".

Wer sektiererisch gesinnt ist, könnte hier trübe Betrachtungen anstellen: Dass einer ein großer Mann war, werde erst anerkannt, wenn ihn ein bourgeoises Machtorgan zur Ehre der Altäre erhebt. Gewiss sind da auch ideologische Kollateralschäden zu befürchten. Andererseits: Reklame dieser Art verfängt auf die Dauer nur, wenn das Produkt etwas taugt. Sehen wir zu.

Westdeutsche Intellektuelle, die in den sechziger Jahren anfingen und nicht borniert waren, nahmen mindestens zwei DDR-Bewohner positiv wahr: Jürgen Kuczynski und Peter Hacks. Sie waren zunächst durch ihr ständig umfangreicher werdendes Werk präsent. Es wuchs und wuchs, die Autoren schienen nachgerade hinter ihm zu verschwinden. Während sich die Bibliotheksregale füllten, vergaß man manchmal, dass es immer noch sehr lebendige Menschen waren - ein sehr alter und ein noch recht junger -, deren Produktion für die Zufuhr sorgte. Die Kinder lernten in der Grundschule das Gedicht "Der Herbst steht auf der Leiter/Und malt die Blätter an" von Peter Hacks.

Nach dem Text seiner Essays musste man annehmen, dass er sonor und kräftig sprach. Hört man eine der Aufnahmen mit Originalton, wundert man sich: mittelhohe Stimme, scheinbar zurückhaltend, von verdecktem Ehrgeiz vibrierend, ätzend-analytisch und insistierend, wie ein linker Student vor 1968. Fotos zeigen manchmal einen Mann mit vollem Gesicht, dann auch - in seinen vierziger Jahren - scharf markierte, magere, einmal auch kasperlartige Züge eines hoffärtigen Menschen, dem seine Umgebung nicht genügte.

Der 18-Jährige schrieb an Thomas Mann und warb um Anerkennung. Mit 23 war er in München promoviert - über das Drama des Biedermeier -, bald darauf wurden mit großem Erfolg seine ersten beiden Stücke aufgeführt. Der 27-Jährige ging in die DDR. Seine Dramen Die Schlacht bei Lobositz, Der Müller von Sanssouci und Die Kindermörderin gehören zur Brecht-Schule, welcher Hacks bald entlief. Noch vor der Propagierung des Bitterfelder Wegs schrieb er ein Produktionsstück in Blankversen: Die Sorgen und die Macht. Die regierende Partei verlangte Umarbeitungen, die er lieferte, und verbot das Stück dennoch.

Ähnlich erging es ihm mit dem Bodenreform-Stück Moritz Tassow. Es blieb lange unaufgeführt liegen, wurde dann, nachdem es endlich inszeniert werden konnte, abgesetzt und war auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 gerade noch als Exempel für obszöne Kunst gut. Hacks verpackte Politik künftig in historische Gewänder. Da er alles konnte - darunter Kinderbücher und Libretti -, verdiente er sein Geld auch in anderen Genres. Sein Welterfolg Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe ist bestes Boulevard-Theater. Im September 2008 gab Ronald Weber in Argos bekannt, dass Hacks mit dem angeblichen irischen Autor Saul O´Hara identisch ist: Verfasser unter anderem der Komödie Heiraten ist immer ein Risiko - 1963/1964 das in der BRD meistgespielte Stück (340 Aufführungen), 1963 und 1984 verfilmt.

Aber das war Broterwerb. Hacks´ Hauptsache waren Theorie und Praxis einer sozialistischen Klassik. Kunst erreiche ihren Höhepunkt in einem Gleichgewicht, das von einem starken, wenngleich keineswegs allmächtigen Staat garantiert wird. Das ist die Zeit der klassischen Paare: Elisabeth I. und Shakespeare, Carl August und Goethe, Ulbricht und Hacks. Sein ihm selbst liebstes Stück war Margarete in Aix. Ulbricht erscheint dort als Ludwig XI. von Frankreich, er selbst als René von der Provence. Die Uraufführung war 1969 in Basel. Als Margarete in Aix 1973 auch in Berlin/DDR auf die Bühne kam, war die klassische Situation schon vorbei, Ulbricht gestürzt. Hacks überwarf sich mit Benno Besson, der René zum Trottel gemacht hatte. Vielleicht war das aber kein Missverständnis, sondern der Regisseur, mit dem der Dichter in der Vergangenheit seine größten Triumphe gefeiert hatte, inszenierte die neue, nicht mehr klassische Realität.

Hacks selbst hat in der Folgezeit den Niedergang der DDR dramatisch protokolliert, zum Beispiel im Bürokraten-Drama Prexaspes. Den in den achtziger Jahren sich vorbereitenden Übergang in den Kapitalismus sah er literarisch in einer neuen "Romantik" gespiegelt. Er verhöhnte sie nicht nur in seinen Angriffen auf deren angeblichen Anführer Heiner Müller, sondern auch in Stücken, die romantische Stilmittel persiflierend vorführten. Nach 1989 schrieb er das Requiem auf die Deutsche Demokratische Republik: den Gedichtzyklus Jetztzeit. Elisabeth, Carl August und Ulbricht mutierten zu Stalin: Es war vorbei. Ganz am Ende, kurz vor seinem Tod: drei Dramoletts, die er nicht mehr in die Werkausgabe aufnahm (oder aufnehmen konnte) - Grotesken auf die PDS und auf das heulende Elend der abgewickelten DDR-Intelligenz, eine Hommage auf eine Art Saddam Hussein.

Das war der politische Hacks. Er konnte auch unpolitisch sein, zum Beispiel in seinem Angriff auf Biermann 1976. In André Müllers Gesprächen mit Hacks (2008) ist nachzulesen, was ihn damals ritt: Er war genervt. Hacks erörterte nicht, wie die DDR zu verteidigen und weiterzuentwickeln war; wahrscheinlich hielt er das längst für hoffnungslos. Er stellte lieber Betrachtungen zu Biermanns Manieren und zu Kunstfragen an. Weder bei der Petition der angeblichen "Romantiker" wollte er mittun noch sich den Ergebenheitsadressen von wenig begabten DDR-Kollegen anschließen. Anders als Strittmatter schwieg er nicht, denn die Gelegenheit zur Polemik war günstig. Als ihn Heinar Kipphardt um die Zusendung einer Kopie des Anti-Biermann bat, beschied er ihn, das könne er doch in der Frankfurter Rundschau nachlesen. In die Erstausgabe seiner Essay-Sammlung Die Maßgaben der Kunst hat er den Text nicht aufgenommen (in die Edition letzter Hand allerdings doch).

Inzwischen gibt es Zank um das Erbe. André Thiele meint, sein Autor sei näher an Thomas Mann heranzurücken als an Brecht. Von Letzterem hat sich Hacks bekanntlich distanziert, von dem Romancier nicht. Der Grund: die Differenz zu Brecht musste explizit erklärt werden, gegenüber Thomas Mann ergab sie sich von selbst. Ist Peter Hacks ein Nur-Künstler und somit ein "Dichter für alle"? Vielleicht künftig einmal, in einer klassischen Situation. Jetzt nicht.

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