Ein Mann für alle Füller

Montblanc Die Affäre geht auch zu Lasten von Bundestags-Hausherr Norbert Lammert
Ausgabe 35/2016
Norbert Lammert wurde mit 18 Mitglied der CDU, mit 32 Bundestagsabgeordneter
Norbert Lammert wurde mit 18 Mitglied der CDU, mit 32 Bundestagsabgeordneter

Foto: CommonsLens/Imago

Die Klage, seit Merkel gingen der CDU die Konservativen aus, ist wahrscheinlich übertrieben. Unverändert wirken in der Union einflussreiche Politiker, denen die Berufung auf Heimat, Nation, Familie und Christentum eine Kampfideologie zwecks Machteroberung und -verteidigung ist.

Daneben gibt es die Habitus- oder Milieukonservativen, charakterisiert durch bestimmte Formen der Lebensführung: stabile Familie, möglichst viele Kinder, von früh auf kirchlich sozialisiert, bei den älteren Männern keine Wehrdienstverweigerung, daneben folkloristische Accessoires, zum Beispiel Schützenverein. Sie dürften weniger geworden sein, finden sich aber nicht nur in der Union. Drittens die sogenannten Wertkonservativen: Sie prüfen reserviert das hastige Neue und versuchen es in den Schranken von Normen und Institutionen zu halten. In Zeiten der marktkonformen Demokratie ist dies manchmal störend.

Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, gehört wohl zur zweiten und dritten Gruppe. Er stammt aus einer katholischen Familie, besuchte ein altsprachliches Gymnasium, leistete seinen Militärdienst in Nordrhein-Westfalen, wurde gefördert durch ein Stipendium des Cusanus-Werks der katholischen Bischöfe. Lammert ist verheiratet und hat vier Kinder. Seine Doktorarbeit schrieb er über einen CDU-Kreisverband des Ruhrgebiets. Mit 16 wurde er Mitglied der Jungen Union, mit 18 der CDU, mit 32 Bundestagsabgeordneter. Es gibt einige Parallelen zu den Anfängen Helmut Kohls.

Von ihm unterscheidet sich Lammert durch keineswegs versteckte Intellektualität. Aber als Wertkonservativer fiel er erst in seiner Eigenschaft als Bundestagspräsident auf. Das ist nicht ausschließlich eine Frage der Inhalte, sondern auch des Stils, in diesem Fall dessen, was man die „Würde des Hauses“ nennt, also ebenfalls wieder eher Habitus. Aber Lammert ist in seiner elfjährigen Amtszeit auch zum Verteidiger eines Werts geworden: der Rechte des Parlaments gegen forsches Vorgehen der Regierung und selbst seiner eigenen Mehrheit. Konservativ ist dies allenfalls in dem Sinn, dass eine Institution ihren durch die Verfassung zugewiesenen Platz gegenüber der Exekutive behauptet. Lammert versuchte die Minderheitsrechte der Opposition zu stärken. 2012 kritisierte er den Zeitdruck, unter den sich der Bundestag gesetzt sah, als die Kredite für Griechenland in kurzer Frist durchgepeitscht wurden. Falls er durch die Auswirkungen der „Montblanc-Affäre“ nicht mehr als Gauck-Nachfolger in Frage kommen sollte, mag das jenen zupass kommen, denen schon Horst Köhler und Christian Wulff zu selbstständig waren.

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