Als im Juni die SPD-Troika – Gabriel, Steinbrück, Steinmeier – den neuen Präsidenten François Hollande besuchte, hatte das eine werbetechnische, keine strategische Bedeutung. Die sozialdemokratische Führung zeigte sich mit einem Wahlsieger und sähe sich 2013 gern in der gleichen Position. Zudem sollte Gemeinsamkeit in der Differenz zu Angela Merkels Europa-Politik demonstriert werden. Über die Benennung dieser beiden Anliegen ging das Treffen nicht hinaus. Das Terrain, auf dem man sich gemeinsam bewegte, ist schmal. Merkel hatte Sarkozy im Wahlkampf unterstützt, die SPD war auf der Seite Hollandes. Dessen Sieg hat sich aber auf die Umfragezahlen der Deutschen kaum günstig ausgewirkt.
Es gibt kein europäisches Parteiensystem mehr. Die
mehr. Die siebziger Jahre, in denen die SPD die Gründung sozialistischer Parteien in Portugal und Spanien organisieren half, sind ebenso vorbei wie Helmut Schmidts vehemente Europa-Rede 1974 auf einem Labour-Parteitag oder auch nur die Episode des Blair-Schröder-Papiers von 1999. Solche Versuche der Vereinheitlichung funktionieren nicht mehr. Die Wirtschaften des Nordens, der Mitte und des Süden driften auseinander, hinzu kommt die Sonderstellung Deutschlands. Diese unterschiedlichen Wirklichkeiten werden vom jeweils nationalen Parteiensystem reflektiert. Zugleich wird in EU-Institutionen per Fiskalpakt eine Zwangsjacke für alle geschneidert. Indem Regierungsparteien diese national anpassen, ergibt sich zwischen ihnen dann doch wieder ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit, die sie gegenüber den Oppositionsparteien – vor allem außerparlamentarischen Bewegungen – exekutieren.Konsens beim FiskalpaktHollande regiert und muss letztlich mit Merkel auskommen, und die SPD ist in der Opposition. So zelebrierte der französische Präsident gerade in Reims mit der Kanzlerin eine ebensolche Eintracht wie vor einem Monat mit der SPD-Spitze in Paris. Auch auf die Wahlergebnisse von Schwesterparteien berufen kann sich die SPD nur bedingt. Gleichzeitig mit Hollandes Erfolg wurde die griechische PASOK arg gerupft.Hinzu kommen inhaltliche Unterschiede zwischen den sozialdemokratischen Parteien in Deutschland und Frankreich. Hollande will eine Steuer von 75 Prozent auf den Teil der Einkommen legen, der über eine Million Euro hinausgeht. Die rot-grüne Koalition hat einst den Spitzensatz gesenkt. In Frankreich sollen Menschen, die 41 Jahre in die Altersversicherung eingezahlt haben, mit 60 in Rente gehen können. Die SPD hat zusammen mit CDU und CSU in einer großen Koalition das Eintrittsalter in den Ruhestand auf 67 heraufgesetzt. Wenigstens besteht Konsens beim Mindestlohn, doch den gibt es in Frankreich schon seit 1950, Hollande lässt ihn nun erhöhen. Die deutsche Kanzlerin ist seit einiger Zeit zumindest verbal bemüht – und sei es aus Wahlkampfgründen – sich in dieser Frage von der SPD nicht abhängen zu lassen.Die kann sich auch beim Fiskalpakt nicht profilieren: Dem verhalf sie im Bundestag zur Zwei-Drittel-Mehrheit und sitzt hier de facto in einer großen Koalition. Dass die Sozialdemokraten in parlamentarischen Redeschlachten zugleich Unterschiede zur Regierung betonen und hinterher angebliche Siege feiern (Finanztransaktionssteuer) und Extras fordern (Schuldentilgungsfonds, Eurobonds), kann den Schulterschluss im Hauptgeschäft nicht überdecken. Vielleicht schadet das den Sozialdemokraten gar nicht so sehr: Sparen ist in Deutschland beim Volk beliebt, aber den Bonus bekommt dann eher die Kanzlerin.Dabei geht es da und dort François Hollande nicht sehr viel anders als der SPD: der Unterschied zu Merkel ist gefühlt größer als real vorhanden. Auch Frankreich hat dem Fiskalpakt zugestimmt. Und wie viel die Zugeständnisse wert sind, die Hollande und Monti der Kanzlerin beim jüngsten EU-Gipfel angeblich abgerungen haben, wird sich noch zeigen müssen. Schon wurde darauf hingewiesen, dass die Investitionen, die der Wachstumspakt in Aussicht stellt, im Wesentlichen aus umgeschichteten, früher schon bewilligten Mitteln bestehen.Ein Jahr zu frühDennoch steht Hollande links von der SPD. Wollte sie zu ihm aufschließen, müsste sie sich von Schröders Agenda-Politik verabschieden. Das ist für sie eine taktische Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Linksschwenk würde sie dem Beschuss des Unternehmerlagers und der Mainstream-Medien aussetzen. Wahrscheinlich wird die SPD den Schaden, den sie dadurch befürchtet, höher veranschlagen als den Vorteil, den ihr ein Verweis auf Frankreich bringen könnte – zumindest im Augenblick. Anders mag es in der Endphase des Wahlkampfs 2013 sein, falls es darauf ankommen sollte, möglichst viele Stimmen von links zurückzugewinnen.Denkbar ist, dass in einem Jahr der französische Charme verflogen ist. Hollande will nicht nur mehr Lehrer einstellen, er wird auch sparen müssen. Die „Sozialkonferenzen“, die er jetzt einberuft, unterscheiden sich in der Form von Sarkozys Verlautbarungs-Stil, könnten aber bald dazu da sein, den Gewerkschaften angebliche Sachzwänge beizubringen. Deren Bindung an die Sozialdemokratie ist in Frankreich weniger eng als in Deutschland, Konflikte sind möglich. Die wird die SPD 2013 nicht als werbewirksam für sich ausbeuten wollen. Frankreichs Wirtschaftsdaten sind nicht gut. Verschlechtern sie sich 2013 weiter, möchte man im Willy-Brandt-Haus vermutlich nicht so gern mit den französischen Genossen gesehen werden. Um für eine sozialdemokratische Wahlkampf-Taktik in Deutschland nützlich zu sein, hat Hollande ein Jahr zu früh gesiegt. Lesen Sie auch:Wie François Hollande ein neues Frankreich baut. Ein Vorbild für Europa?Hintergrund: Hollandes Pläne für Europa