Der Ort, an dem sich die Linkspartei kürzlich zu ihrem Parteitag traf – Bielefeld in Nordrhein-Westfalen – weckt Erinnerungen. Nicht weit davon entfernt hatte ihre Vorgängerin, die PDS, in Münster 2000 ihren Anspruch angemeldet, bundesweit angekommen zu sein. Deshalb tagte erstmals ihr Parteitag im Westen. Der Vergleich zeigt Erreichtes und bestehenden Nachholbedarf.
2000 hielt man irrtümlich das Ergebnis der Bundestagswahl von 1998 (erstmals mehr als fünf Prozent) für den Beginn einer gesicherten Zukunft und übersah, dass dieser weiter von den Stimmen des Ostens abhing. Der damalige Parteivorsitzende Lothar Bisky und Gregor Gysi als Chef der Bundestagsfraktion kündigten in Münster ihren Rückzug an und erklärten, es müsse auch so gehen. Das Ergebnis ist bekannt: Vier Prozent bei der Wahl 2002, Bisky und Gysi mussten wieder ran.
Offensichtlich wurde seitdem ein erfreulicher Weg zurückgelegt: Die Linke ist eine gesamtdeutsche Partei, in einem Flächenstaat, Hessen, wurde sie mittlerweile zum dritten Mal in den Landtag gewählt, in den westdeutschen Stadtstaaten Bremen und Hamburg hat sie jüngst zugelegt, in Thüringen stellt sie den Ministerpräsidenten. Einige ihrer hervorragenden Fachpolitiker vermögen sich öffentliches Gehör zu verschaffen. Insofern ist das Glas halb voll. Halb leer ist es freilich auch. Dies zeigt sich daran, dass zwei Themen von 2000 wiedergekommen, genauer: geblieben sind – die Personalie Gysi und die Frage einer Regierungsbeteiligung. Hätte die Partei keine anderen Sorgen, wäre dies Stagnation auf etwas höherem Niveau. Manche meinen, es fehle etwas sehr Wichtiges: Mitregieren im Bund. Und in der Tat, bis dahin ist es weit. Deutschland ist die wirtschaftliche Vormacht Europas. Seine Waren überfluten den Kontinent, die Regierung Merkel diktiert den Nachbarn die Finanzpolitik, die Arbeitslosigkeit ist niedriger als anderswo, die beiden Exportgewerkschaften – Metall und Bergbau/Chemie/Energie – ziehen mit ihren Unternehmern an einem Strang. In Gesellschaften, die auf dem Weltmarkt derart dominieren, hatte eine Opposition bisher nur dann eine Chance, wenn sie plausibel machen konnte, dass sie die Politik der Regierung zwar technisch besser als diese betreiben werde, aber auf keinen Fall inhaltlich anders. Dafür gibt es die SPD und die Grünen, und einmal, 1998, ist ihnen dies sogar gelungen.
Verhältnis von Wesen und Erscheinung der Linken
Das Argument, also werde für eine Politik der personell erneuerten Kontinuität eine Partei wie „Die Linke“ nicht gebraucht, mag in der Substanz zutreffen, an der verführerischen Oberfläche aber muss es nicht immer verfangen.
Dass aus Rot-Rot-Grün im Bund vorerst nichts wurde, ist oft mit unüberbrückbaren Unterschieden begründet worden, aber vielleicht hingen die Trauben nur zu hoch, entweder weil es arithmetisch nicht ausreichte oder nüchternes Kalkül darauf hinwies, man werde der geballten ökonomischen Gegenmacht oder auch nur dem Dauerbeschuss durch die Leitmedien nicht gewachsen sein. Ergibt sich eine Konstellation wie 1969 oder 1998: Einwechselung der zweiten Mannschaft, weil die erste verbraucht ist, könnte es geschehen, dass die Linkspartei gerufen wird. Wird oder sollte sie dieser Lockung widerstehen?
Das ist die Frage nach dem Verhältnis von Wesen und Erscheinung der Linken. Und sie stellt sich schon jetzt. Die Partei vertritt Interessen, die numerisch manchmal die Sache einer Mehrheit sind, sich aber machtpolitisch in einer fast hoffnungslosen Opposition befinden. Wenn sie eine Umverteilung von oben nach unten fordert, kämpft sie nicht nur für die völlig Abgehängten, sondern auch für alle anderen, die nicht zum oberen Zehntel der Gesellschaft gehören. Nur halten diese eine Unterordnung unter die herrschenden Eliten für alternativlos. SPD und Grüne meinen, das berücksichtigen zu müssen.
Umfragen zeigen, dass die von Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betriebene Militarisierung der Außenpolitik noch keine Mehrheit hat. Aber man arbeitet daran, drei von vier Bundestagsfraktionen sind sich da einig. Wahlen werden traditionell nicht mit diesem Thema entschieden. Opposition gilt da als gesinnungs-, nicht als verantwortungsethisch, und wird oft als spinnert abgetan. Vollends unpopulär ist die von der Linken vertretene Ansicht, dass sich ein so reiches Land wie Deutschland Flüchtlingen mehr als bisher öffnen soll.
Gäbe die Linkspartei diese drei Themen preis, verlöre sie ihre Kernwählerschaft und fiele schon dadurch als Mehrheitsbeschafferin aus. Hält sie kompromisslos an ihren Positionen fest, bleibt sie eine strukturelle Oppositionspartei. Oder auch nicht. Es ist kein Zufall, dass sie auf Länder- und Kommunalebene mittlerweile auch Exekutivfunktionen ausübt. Dort wird Sozial- und Infrastrukturpolitik gemacht, und diese sind mit der Umverteilungsfrage – und sei es nur abpuffernd – verbunden. Und man möchte wünschen, mehr linke Bürgermeister seien im Amt und dann bitte auch imstande, rechtspopulistischem Druck zu widerstehen. Niemandem ist es verwehrt, sich eine Lage vorzustellen, in der die Positionen der Linken auf Bundesebene nicht nur mehrheits-, sondern auch machtfähig werden. Es wäre ein anderes Land. Ob „Die Linke“, die dafür gekämpft hat, dort mitregiert oder nicht, wäre dann vielleicht gar nicht mehr so wichtig.
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