Zur Zeit steht Titan auf den Bestseller-Listen: der zweite Band des Cicero-Romans von Robert Harris. Hier finden wir wieder die Geschichte der späten römischen Republik, die in jeder Generation neu erzählt wird: die Popularen unter Führung von Julius Caesar stürzen eine Oligarchie und ersetzen sie durch eine Ordnung, die ebenso wenig taugt wie die bisherige. Zu ihrer Strategie gehört der politische Skandal.
Dieser ist in allen Zeiten der letzte Akt, in dem ein Regime zu Fall gebracht wird: durch die Aufdeckung des persönlichen Fehlverhaltens eines Repräsentanten. Da wird nur noch gestoßen, was ohnehin schon fällt und nicht mehr zu retten ist. Ein klassisches Beispiel war der Berliner Sklarek-Skandal 1929: Zwei Textillieferanten für die
tan auf den Bestseller-Listen: der zweite Band des Cicero-Romans von Robert Harris. Hier finden wir wieder die Geschichte der späten römischen Republik, die in jeder Generation neu erzählt wird: die Popularen unter Führung von Julius Caesar stürzen eine Oligarchie und ersetzen sie durch eine Ordnung, die ebenso wenig taugt wie die bisherige. Zu ihrer Strategie gehört der politische Skandal.Dieser ist in allen Zeiten der letzte Akt, in dem ein Regime zu Fall gebracht wird: durch die Aufdeckung des persönlichen Fehlverhaltens eines Repräsentanten. Da wird nur noch gestoßen, was ohnehin schon fällt und nicht mehr zu retten ist. Ein klassisches Beispiel war der Berliner Sklarek-Skandal 1929: Zwei Textillieferanten fXX-replace-me-XXX252;r die Berliner Behörden hatten versucht, der Ehefrau des Oberbürgermeisters Gustav Böß einen Pelzmantel zu schenken. Er verlangte eine Rechnung. Als diese zu niedrig ausfiel, zahlte er die Differenz an einen Fonds für Arme. Aus diesem wurde – vielleicht ohne sein Wissen – unter anderem auch eine in Not geratene Verwandte des Oberbürgermeisters unterstützt. Was würden wir dazu heute sagen? Richtig: Peanuts. Berlin aber befand sich in Aufruhr, die NSDAP gewann die Kommunalwahlen im gleichen Jahr, Böß wurde nach einem Dienststrafverfahren entlassen. Später machten ihm die Nazis wegen derselben Sache noch einmal den Prozess und sperrten ihn ein. Andere haben sich zu anderen Zeiten ganz andere Dinge herausgenommen und blieben (und bleiben) unbeschädigt. Neben den Skandalen gibt es nämlich auch immer die Nicht-Skandale. In ihnen bleibt persönliches Fehlverhalten eines Politikers folgenlos, wenn sein Macht-Kontext nicht tangiert ist.Beim armen Böß war das anders. Es ging nicht um ihn, sondern um die ausgedehnte kommunale Wirtschaftstätigkeit, gegen die die Privatwirtschaft schon lange agitierte und die in der Krise von 1929 leicht zu diskreditieren war. Und die Brüder Sklarek waren Juden.Ob ein Skandal wirklich zum Skandal wird oder als Nicht-Skandal versandet: Es ist immer ein Symptom für wankende oder stabile Macht. Nehmen wir die Flick-Affäre Anfang der achtziger Jahre. Es ging um große Summen und evidente Straftaten. Betroffen waren vor allem CDU/CSU und FDP. Zu gleicher Zeit stürzten sie den SPD-Kanzler Schmidt und wurden in einer Neuwahl 1983 eindrucksvoll bestätigt. Ihre Zeit war nämlich noch nicht um, sie begann gerade erst, für lange 16 Jahre. Der inzwischen zurückgetretene Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff wurden 1987 rechtskräftig verurteilt, ebenso wie der einstige Vorstandssprecher der Dresdner Bank und vormalige FDP-Minister Hans Friderichs. Schon ein gutes Jahr später war Lambsdorff bereits wieder obenauf: Die FDP wählte ihn zu ihrem Bundesvorsitzenden. Später wurde er für seine Verdienste Ehrenvorsitzender der Liberalen. Ein Nicht-Skandal, der zeigte, was die Uhr geschlagen hatte. Gleichzeitig erwischte es damals den DGB ganz anders. Der politische Skandal um die gewerkschaftseigene Gesellschaft Neue Heimat war wirklich einer: Sozialer Wohnungsbau und Gemeinwirtschaft waren mega-out, der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter wurde persönlich diskreditiert, außerdem war das Unternehmen ohnehin schon vorher pleite.Und wie steht es um die Schwarzgeld-Affäre der Union von 1999? Wir begehen ein Jubiläum: Am 16. Februar 2000 verzichtete Wolfgang Schäuble auf das Amt des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Helmut Kohl war schwer beschädigt. Es ging um eklige Dinge: Schmiergelder von einem Waffenschieber. Die hessische CDU log, ihre schwarzen Kassen seien aus „jüdischen Vermächtnissen“ gespeist. Schlimmer ging es kaum noch. War das nun ein politischer Skandal? Ja und Nein.Ja: Definieren wir den politischen Skandal als finale Diskreditierung eines Systems durch den moralischen Sturz seines Repräsentanten, dann war die Schmiergeldaffäre ein Beispiel dafür. Sie bedeutete das Ende des „Systems Kohl“. Worin bestand es? Oberflächlich gesehen in Hinterzimmerpolitik, persönlicher Patronage, Undurchsichtigkeit. Damit sollte Schluss sein. So forderte es die Abgeordnete Merkel in einem FAZ-Artikel.Sack und EselDas war der Sack. Der Esel aber war die Zähigkeit, mit der sich Kohl geweigert hatte, den so genannten Rheinischen Kapitalismus zu schleifen. Sein dienstältester Minister war der Herz-Jesu-Sozialist Norbert Blüm. Die Industrieverbände waren schon lange unzufrieden mit Kohl. Seine Wahlen gewann er in den achtziger Jahren nur deshalb, weil die SPD bis 1995 (als Oskar Lafontaine ihr Vorsitzender wurde) in einem ständigen Formtief war. Auf dem Parteitag im September 1989 sollte Kohl durch Lothar Späth, den Repräsentanten des heraufziehenden IT-Kapitalismus, ersetzt werden. Da wurde die ungarische Grenze geöffnet, und jetzt ging es Kohl viel besser. Über den Kanzler der Einheit durfte zwar weiter gelästert werden, aber die marktradikale Reform konnte ihm niemand mehr abverlangen. Erst 1998 war mit Schröder der Richtige gekommen, Kohl verlor die Wahl, und 1999 erhielt er den Eselstritt. Jetzt bereitete sich das System Merkel vor, exekutiert allerdings zunächst von Schröder. Kohl hat sich nie als der Genosse der Bosse vorgestellt, sein Nachfolger aber schon. Auf dem Leipziger CDU-Parteitag 2003 zielte Merkel in dieselbe Richtung.Mit dem Ende des Systems Kohl begann eine Amerikanisierung des Parteiensystems. In den USA wird offen gespendet. Wer die meisten Millionen sammelt (2008: Obama), weist damit den größten Massenrückhalt nach, denn man soll – wie schon Schiller wusste – die Stimmen wägen und nicht (nur) zählen. In Europa ging auf diesem Weg Italien voran: Die Democrazia Cristiana versank 1993 in einem Korruptionsskandal. Der Nutznießer der Saubermänner-Bewegung wurde – Berlusconi.Auf der Bundesebene war die Schmiergeld-Affäre von 1999/2000 ein echter politischer Skandal: Indiz für einen Systemwechsel. Einen Nicht-Skandal erlebte man gleichzeitig in Hessen. Roland Koch hatte 1999 die Landtagswahl gewonnen. Am Ende des Jahres kam die Schmiergeld-Sache. Vier Jahre später erhielt die so schwer belastete CDU die absolute Mehrheit im Landtag – wahrscheinlich nicht trotz, sondern wegen der Affäre: Die Union hatte auf ihre Wirtschaftskompetenz gepocht.Demokratie ist teuerDemokratische Legitimation im Kapitalismus braucht Stimmen und Geld. Das Parteienfinanzierungsgesetz stellt Hürden auf. Die können illegal unterlaufen werden. Das wird es wohl auch heute noch geben. Aber die unmittelbare Abhängigkeit von finanzstarken Interessenten ist kaum noch ein Makel, sondern ein Ausweis von Tüchtigkeit. Deshalb gewinnt die FDP sogar wieder Wahlen. Einige sind beunruhigt, weil man dann ja auch keine Volksparteien mehr braucht. Deren Erosion wird beklagt, zu Unrecht: direkte oder auch nur repräsentative Demokratie ist teuer, ungenierte Kooperation zwischen Geld und Politik letztlich kostengünstiger.Das klingt zynisch. Gemüt muss sein. Deshalb erleben wir zur Zeit eine Art Kohl-Nostalgie. Ganz so tief ist der Mann damals denn doch nicht gefallen. Durch seinen Sturz hat er seiner Partei gedient und damit auch einem ökonomischen Hauptanliegen, für welches diese seit Adenauer steht: Marktwirtschaft.Zuletzt eine nicht erfundene Geschichte: In einer deutschen Mittelstadt lebt ein Milliardär und Freund Helmut Kohls. 1999 fand er, dass dieser von der Union, die sich teils von ihm abwandte, schofel behandelt wurde. Er ließ deshalb seine eigene Mitgliedschaft ruhen. Als er einige Jahre danach Ehrenbürger seiner Heimatstadt wurde, lud er zur Feier Menschen ein, denen er durch Sponsoring oder Freundschaft verbunden war, darunter Michael Schumacher, Otto Rehhagel und Helmut Kohl. Beim Büffet schob sich dieser an den Vorsitzenden der linken Stadtverordnetenfraktion heran und sagte: „Ich höre, Sie haben mich angezeigt?“ Gemeint war 1999. Der Angesprochene bejahte und zählte die Paragraphen auf, gegen die Kohl seiner Meinung nach verstoßen hatte. Der nickte versonnen und antwortete: „Aber gewonnen habe ich.“