Emmanuel Macron hatte seine Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg noch gar nicht begonnen, da war er schon kommentiert. Die FAZ nannte ihn einen „Mythos“, was nicht freundlich gemeint war. Inzwischen sei kaum mehr begreiflich, dass im Koalitionsvertrag ein Europa-Kapitel ganz am Anfang stehe. Wenn die SPD immer noch zu Macron halte, vergesse sie, dass Martin Schulz nicht mehr ihr Vorsitzender ist. Finanzminister Scholz dagegen liege richtig. Der ist gewieft. 1999 war Lafontaine nicht nur an Schröder gescheitert, sondern auch am Apparat des Finanzministeriums mit dem aus der Kohl-Regierung übernommenen ewigen Staatssekretär Manfred Overhaus. Scholz macht sich diese Lehre zunutze und behält Schäuble-loyale Abteilungsleiter bei. Damit hat er signalisiert, dass der Vorgänger sein Vorbild ist, auch in der Europa-Politik.
Dass er damit Teile der SPD konsterniert, passt in sein Konzept, als eher parteiübergreifender künftiger Kanzlerkandidat wahrgenommen zu werden. Auch im Verhältnis zu der gegenüber Macron verbindlicher auftretenden Angela Merkel markiert er den Schäuble-Nachfolger.
Dabei kann er sich auf Politiker der Unionsfraktion stützen, die behaupten, ein Europäischer Währungsfonds (EWF) sei nur nach einer Änderung der EU-Verfassung möglich. Dass diese an Referenden in einigen Mitgliedsländern scheitern würde, wissen sie. Auch Schäuble war dies bekannt, wenn er über einen EWF sprach. Wegen der verfassungsrechtlichen Hürden konnte dieser bei ihm nur schwach sein. Er sollte lediglich in Extremfällen handeln, um Staatsbankrotte zu verhindern. Von anderen Ideen des französischen Präsidenten – transnationalen Wahllisten, einem EU-Finanzminister und Eurozonen-Budget – hält man in der größten Regierungsfraktion wenig. Dass Scholz ganz offenbar eine europäische Einlagensicherung verzögern oder vermeiden will, gefällt dort.
All dies wusste Macron, als er in Straßburg antrat. Er nahm wieder einmal Zuflucht zur Beschwörung europäischer Werte. Macron machte sich den Vorschlag Merkels zu eigen, Staaten, die Geflüchtete aufnehmen, mit EU-Zuwendungen (auch aus Frankreich) zu belohnen. Das verschafft ihm keine Freunde in Osteuropa, wo man fürchtet, dadurch zurückgesetzt zu werden. Prompt wurde er vom EU-Kommissionspräsidenten Juncker abgemahnt: Er solle sich nicht allein auf eine deutsch-französische Achse verlassen, schließlich habe die EU nicht nur zwei Mitglieder, sondern immer noch 28. Macron scheint nicht stark zu sein, sondern schwach. Deshalb seine Tendenz, sich an Mächtigere anzulehnen, an Merkel und – mit der Teilnahme am Raketenbeschuss Syriens – auch an Trump.
Gewiss: Mit dem Versuch, in Frankreich die Gewerkschaften klein zu machen, findet er das Wohlwollen der Unternehmer. Ob er damit auf Dauer Marine Le Pens Bewegung eindämmen kann, ist nicht sicher. In Straßburg stellte er eine Umstrukturierung des europäischen Haushalts unter anderem zugunsten der digitalen Infrastruktur in Aussicht. Die französischen Bauern werden ihn fragen, was dann aus ihren Subventionen wird. Dazu äußerte er sich in seiner Rede nicht. Sein Werben für „Europa“ hat zu Hause nur so lange eine Chance, wie er auf Entgegenkommen in Berlin zählen kann. Zieht ihm die deutsche Politik den Boden unter den Füßen weg, wird es für ihn auch im eigenen Land schwierig. Seine Umfragewerte sinken. Dem Macron-Ballon könnte die Luft ausgehen.
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