Fortschritt durch Chaos

CSU Die neue Vielstimmigkeit in der CSU deutet nicht auf den Niedergang, sondern auf die Modernisierung der Partei. Und: In der Merkel-CDU wird gerade dasselbe Stück gespielt

Mit Horst Seehofer, so wird allenthalben kolportiert, habe sich die Christlich-Soziale Union in kürzester Frist völlig gewandelt. Konservative Positionen seien geschleift, ein ungewöhnliches Maß an innerparteilicher Vielstimmigkeit sei hörbar. Der Vorsitzende habe es dahin kommen lassen, dass seine Partei nicht mehr das sei, was sie früher war: eine straff geführte, erzkatholische und regional-populistische Partei mit bundesdeutschem Geltungsdrang.

In scheinbar plötzlichen Änderungen wird immer nur eine gründliche Verschiebung sichtbar, die schon lange vorher stattgefunden hat. Am Beispiel der CSU: Viel dramatischer als das angebliche Irrlichtern Seehofers war die Zertrümmerung der absoluten Mehrheit im vorigen Jahr. Durch die Lücke, die daraufhin in der Führung entstand, kam der zwischendurch bereits abgeschriebene Horst Seehofer.

Krachlederne Moderne

Inzwischen zeichnet sich ab, dass das zeitweilige Chaos nicht Niedergang bedeutet, sondern Modernisierung. Die ist aber nichts Neues für die CSU. Sie kehrt damit zu einem früheren Erfolgsrezept zurück.

Nachdem sie in den fünfziger Jahren für wenige Jahre aus der Regierung verdrängt worden war, kam sie unter dem Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Hanns Seidel machtvoll zurück. Ihr Historiker Alf Mintzel hat vor Jahrzehnten schon herausgearbeitet, dass sie damals in kurzer Zeit die modernste Partei der Bundesrepublik geworden ist: eine so genannte Apparat-Masse-Partei – anders als die nur aus dem Kanzleramt geführte Honoratioren-CDU. Selbst das Krachlederne war in Wirklichkeit Ergebnis einer raschen Modernisierung: die neuen Industrien, die – teilweise, wie Siemens, aus dem Nordosten nach München emigriert – im Süden angesiedelt wurden, suchten Arbeitskraftreserven. Die flossen ihnen aus dem bayerischen Land-Stadt-Gefälle zu. Nicht die alten Zen­tren Franken und Schwaben, sondern Ober- und Niederbayern schufen die neue Dynamik: die Beamtenstadt München wurde Wirtschaftsmetropole, eine erste Arbeitergeneration kam aus Ober- und Niederbayern und brachte die konservative Mentalität mit, die dort noch herrschte. So viel zur Lederhose, die im Wesentlichen nur Folklore gewesen ist.

Mann mit Quelle-Katalog

Die Wiedervereinigung minderte in den neunziger Jahren das Gewicht der CSU. (Die Gründung eines Ost-Ablegers, der Deutschen Sozialen Union, misslang.) Hinzu kamen allmählich die Abnutzungsfolgen einer fast schon ewig erscheinenden absoluten Mehrheit. Deren Verlust 2008 war deshalb auf längere Sicht ein Vorteil. Dass die CSU ihn zu nutzen weiß, zeigt ihr relativer Erfolg bei der Europawahl. Seehofer, der ein Versandhaus retten will, lässt sich als den „Mann mit dem Quelle-Katalog“ verspotten. Guttenberg weiß: eine Krise mag für viele Kapitalisten eine Katastrophe sein, aber für das Kapital als Ganzes ist sie das Beste, was diesem passieren kann – es wird aufgeräumt. Beide Positionen – der Ministerpräsident vom Sozialverband VdK Bayern, der CSU-Wirtschaftsminister mit dem Insolvenzrecht – sorgen auf je ihrem Flügel für Masse.

Die bayerische Entwicklung ist aber nur ein Nebenereignis. Auf der Hauptbühne – in der Merkel-CDU – wird das gleiche Stück gespielt. Diese Christlich Demokratische Union Deutschlands hat in Sachsen-Anhalt einen Ministerpräsidenten, der von sich sagt, er sei 1990 nur deshalb in die CDU eingetreten, weil diese ihn als erste gefragt habe. Wäre die SPD schneller gewesen, so fügte er auf Nachhaken hinzu, wäre er eben ihr Mitglied geworden. Bei Merkel war das nicht völlig anders: Ihr Aufstieg begann, als sie beim „Demokratischen Aufbruch“ die aus dem Westen gelieferten Computer installieren konnte. Ihre Familienministerin Ursula von der Leyen spricht in Köln vor einem Verdi-Mikrofon auf einer Streikkundgebung der Erzieherinnen und Erzieher, redet sie mit „meine Damen und Herren“ an, kumpelt nicht, sondern vertritt stattdessen glaubhaft ein zukunftsweisendes Konzept der Vorschulerziehung, für das sie von der – nun wirklich in diesem Punkt reaktionären – FAZ heftig gescholten wird. Hinter Annette Schavan – die einst bei der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk und beim Generalvikariat Aachen begonnen hatte – wird zur Zeit hergeredet, nach der Wahl werde für sie wohl nur noch ein Platz bei der Konrad-Adenauer-Stiftung bleiben.

Die Modernisierung des Konservatismus in Deutschland gibt künftigen schwarz-grünen Optionen einerseits ihre Legitimität und macht sie andererseits vorderhand überflüssig: Schwarz-Gelb liegt näher, und falls diese Variante im September zum Zug kommen sollte, muss sich die FDP anschließend warm anziehen: neben der thematischen Breite der CDU wird sie etwas dünn aussehen und um ihre Glaubwürdigkeit fürchten müssen.

Die gegenwärtigen Wirbel in der CSU sind also nur Teil des tief greifenden Modernisierungsprozesses der Gesamt-Union. Diese bemüht sich erfolgreich, jeweils so links und so rechts zu sein wie das Kapital selbst. In einem Land mit einer nur schwachen Arbeiterbewegung ist sie derzeit nur schwer schlagbar.

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