Gekränkt bis zuletzt

Helmut Kohl Der verhinderte Staatsakt zeigt, wie der Verstorbene auf Selbstbehauptung setzt – noch weit über seinen Tod hinaus
Ausgabe 26/2017
Nicht in allen Bereichen hat er Einfluss auf sein Vermächtnis behalten. Z.B. beim Mainzer Karneval
Nicht in allen Bereichen hat er Einfluss auf sein Vermächtnis behalten. Z.B. beim Mainzer Karneval

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Die Witwe Helmut Kohls hat der Bundesrepublik verboten, für ihren Mann einen Staatsakt in Berlin abzuhalten. Dem Bundestagspräsidenten Lammert blieb nur übrig, im Parlament einen Nachruf vorzutragen. Stattdessen gibt es einen „Europäischen Trauerakt“ in Straßburg. Anschließend wird der Sarg in Speyer beigesetzt.

Lammert klagte, Art und Ort der Würdigung seien „bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit“. Das erinnert an das Reden vom „öffentlichen Körper“ absolutistischer Monarchen. Maike Kohl-Richter mag das ähnlich sehen, aber mit anderer Adressierung der Geste. Nach dem Tode ihres Mannes soll sie mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, über die Ehrung gesprochen haben, bevor die Kanzlerin sie erreichte. Die Station Straßburg könnte so interpretiert werden, als wehre sich Europa symbolisch gegen ein übermächtiges Deutschland, indem es ihm Kohl wegnehme.

Dies dürfte aber – setzen wir voraus, dass er die Maßnahmen seiner Witwe vorab gebilligt hat – nicht die Absicht des Verstorbenen gewesen sein. Eher wird er an seine Bedeutung nicht nur als „Pater patriae“ (FAZ), sondern auch als Pate Europas gedacht haben. Der Affront richtete sich nicht gegen das, was er sein Vaterland nannte (im Dom zu Speyer, unweit von Kohls Grab, liegen deutsche Könige), wohl aber gegen ganz bestimmte Personen in der CDU.

2014 starb Reinfried Pohl, der Gründer der Deutschen Vermögensberatung Aktiengesellschaft. Bild.de brachte einen Nachruf Helmut Kohls, in dem er sich für treue Freundschaft bedankte. Pohl hatte sich vorher ein Denkmal gesetzt. In Marburg, seinem Wohnort, ließ er ein Museum errichten. In eine Vitrine sind dort Kohls Memoiren mit handschriftlicher Widmung gelegt worden: Dank für Freundschaft in guten und schlechten Tagen. Daneben platzierte man eine vom Ex-Kanzler handsignierte Zehn-Euro-Note. Diese Devotionalien erinnern an die dunkelsten Stunden in Kohls Laufbahn. 2000 war bekannt geworden, dass er über 2,1 Millionen Mark der CDU falsch deklariert hatte. Er behauptete, sie von Spendern erhalten zu haben, denen er mit seinem Ehrenwort Anonymität zugesichert habe. Wolfgang Schäuble widersprach ihm: Das Geld komme nicht von Sponsoren, sondern aus einer schwarzen Kasse. Als der CDU die Wahlkampfkostenerstattung gestrichen wurde, ging Kohl sammeln und erzielte Einnahmen von sechs Millionen Mark. Die Partei glaubte Schäuble und nicht Kohl. Angela Merkel distanzierte sich von ihrem Entdecker.

Da handelte Reinfried Pohl. Aus Protest gegen die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung Kohls ließ er seine Mitgliedschaft in der CDU ruhen. Er berief den Altkanzler zum Ehrenvorsitzenden des „Beirats“ seines Unternehmens. Ob und in welcher Höhe er sich an der schadensbegrenzenden Sammelaktion beteiligt hat, ist nicht bekannt.

Kohl hat Pohls Freundesdienste niemals vergessen, ebenso wenig wie die Kränkung durch seine Partei. Mehr noch als für Konrad Adenauer – er hatte ein Vorleben als Zentrums-Politiker – war die CDU, der er 1946 als 16-Jähriger beigetreten war, sein Leben. Die Demontage 2000 hat er nicht verwunden. Als Adenauer 1957 prophezeite, ein Wahlsieg der SPD bedeute den Untergang Deutschlands, meinte er das ernst. Ebenso dürfte Kohl der Überzeugung gewesen sein, alles, was der CDU nütze, sei auch gut für Deutschland, einschließlich schwarzer Kassen. Von der Partei verkannt, wählte er die Selbstbehauptung gegen sie – bis übers Grab hinaus.

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