Im Nebel des Wahlkampfs

Fehlstart Die Niedersachsen-Wahl und der Fall Schavan verschaffen im einsetzenden Wahlkampf kaum Rückwind. Doch verloren hat die Kanzlerin deshalb noch lange nicht
Im Nebel des Wahlkampfs

Foto: Odd Andersen / AFP

Jürgen Trittin behauptet, der Rücktritt Annette Schavans markiere „ein weiteres Mal den krassen Fehlstart“ Angela Merkels ins Jahr 2013. Damit spielt er auf eine weitere Niederlage der Kanzlerin an: die Abwahl von Schwarz-Gelb in Niedersachsen. Der Grünen-Politiker spricht kraft seines Amtes: Er ist Spitzenkandidat seiner Partei und begutachtet eine konkurrierende Kollegin: Frau Merkel, die zwar Regierungschefin, jetzt aber für ihn Mitbewerberin ist. Seine Wortwahl „Fehlstart“ weist noch auf einen anderen Kontext. Die Pannen Peer Steinbrücks, eines weiteren Spitzenkandidaten, wurden ebenfalls mit diesem Begriff belegt.

Hier zeigt sich eine Besonderheit des beginnenden Wahlkampfes: die frühe und nicht ganz einleuchtende Personalisierung. Tatsächlich wird im September nicht nur über den neuen Bundestag entschieden, sondern auch über das Kanzleramt. Da geht es um Merkel oder Steinbrück. Katrin Göring-Eckardt, Jürgen Trittin wie Rainer Brüderle bewerben sich nicht um diesen Job, Spitzenkandidaten ihrer Partei sind sie dennoch. Die Linke hat sich mit ihrem Acht-Personen-Team solcher Versuchung zwar entzogen, aber Gregor Gysi sieht sich medial längst in diese Rolle gedrängt.

Die Personalisierung verdeckt den Mangel an inhaltlichen Unterschieden. Mutmaßliche oder tatsächliche Alternativlosigkeit der Politik sucht ihren Ausweg im Schnitzen von Köpfen. Vielleicht haben Wahlforscher und PR-Agenturen diese Empfehlung längst gegeben.

Was nun den sogenannten Fehlstart Angela Merkels angeht, so werden hierfür drei Indizien genannt: Niedersachsen, Schavan, steigende Arbeitslosenzahlen. Wer eine Gegenargumentation aufbauen will, wird auf Folgendes verfallen: In Niedersachsen verwies CDU-Bewerber David McAllister noch in der Wahlnacht darauf, dass er auf der Schlussgeraden stark aufgeholt habe. Wenn schon die Spitzenkandidaten auf Bundesebene bewertet werden sollen, könnte das Schwächeln der SPD in der Endphase eher dem halb versteckten Peer Steinbrück angelastet werden, während die CDU immerhin stärkste Partei blieb und die überraschend zahlreichen Leihstimmen für die FDP nicht als Votum für Rösler, sondern für die Kanzlerin gesehen werden können.

Eine Umfrage im Auftrag der „Bild-Zeitung“ ergab allerdings, dass die Angelegenheit Schavan Frau Merkel und ihre Partei in der Meinung des Volkes beschädigt habe. Hier ist aber darauf zu achten, was die Demoskopen herausfinden wollten, nämlich: Wie Union und Kanzlerin in diesem einen konkreten Fall dastehen. Antwort: Mit Schavan schlechter als ohne sie. Ein Gesamturteil über ihre Politik ist das nicht. Außerdem hat die Kanzlerin bei der Fernsehpräsentation des Rücktritts eine ebenso gute wie anrührende Figur gemacht und die Sache so früh bereinigt, dass mit einer Fernwirkung bis zum Wahltag im September kaum zu rechnen ist.

Wo Rauch aufsteigt ...

Bleiben die steigenden Arbeitslosenzahlen. Deren Deutung lässt sich aus Merkels Sicht leicht in eine Überlegung einarbeiten, die sie in ihrer Neujahrsansprache angedeutet hat: Es wird ein schweres Jahr für Europa, wichtige Nachbarländer geraten ins Minus. Auch Deutschland, dem nur ein schwaches Wachstumsplus prophezeit wird, kann sich davon nicht völlig lösen. Aber letztlich werde es aus der Krise wohl ähnlich unangefochten hervorgehen wie 2008/09. Schließlich werde das Land gut geführt: „Wenn wir etwas können, was andere nicht können, dann erhalten und schaffen wir Wohlstand. Deshalb investieren wir so viel wie nie zuvor in Bildung und Forschung“, so Merkel. Nachfolgerin der studierten Geisteswissenschaftlerin im Bildungsressort wurde eine Ingenieurmathematikerin. Die Kanzlerin präsentiert sich noch in dieser Personalie und nach einer Panne wie eine Inkarnation des Fortschritts.

Allerdings: Wo Rauch aufsteigt, ist auch Feuer. Die schwarz-gelbe Koalition wurde in drei Landtagswahlen gestürzt, und in den Umfragen auf Bundesebene verharrt die FDP unter fünf Prozent. Objektiv liegt es im Interesse der Union, dass die Linkspartei im Bundestag bleibt, denn dann hätte Steinbrück keine Kanzlermehrheit. Dem Restrisiko einer rot-rot-grünen Koalition hat die SPD so massiv abgeschworen, dass es fast schon gerichtsfest ist, auch durch die Nominierung ihres Frontmannes. Die Union wird sie im Wahlkampf in diesem Punkt als unglaubwürdig hinstellen, und die SPD wird ihre Beteuerung wiederholen müssen. Der neu aufgelegte Evergreen über Gysis angebliche Verstrickungen mit der DDR-Staatssicherheit liegt im Kalkül beider Lager: CDU und CSU brauchen einen Gottseibeiuns, vor dessen Koalition mit Rot-Grün gewarnt werden muss, und Trittin/Göring-Eckardt/Steinbrück müssen wünschen, dass die Linke aus dem Bundestag fliegt. Geht dieses Kalkül nicht auf, wären im September — falls das Wahlergebnis jetzigen Umfragen entspricht – nur zwei Varianten möglich: Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün. Merkel könnte mit jeder Option leben.

Denkbar ist, dass sich bis zur Wahl noch viel ändert, etwa infolge unvorhersehbarer Großereignisse, nach denen selbst Peer Steinbrück einer rotgrünen Mehrheit nicht mehr im Wege stünde. Das hätte aber mit den aktuellen angeblichen oder tatsächlichen Fehlstarts nichts zu tun.

Georg Fülberth ist Publizist und Politikwissenschaftler in Marburg

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